Berlin, 15. November 1878. Der deutsche Musikkritiker Louis Ehlert schreibt begeistert in der Berliner National-Zeitung über die Notenausgabe der "Slawischen Tänze" von Antonín Dvořák. Kommt nun endlich der Durchbruch für den bereits 37-jährigen Komponisten?
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"Wer dreißig Jahre die Entwicklung zeitgenössischer Musik verfolgt hat, dem stellt sich ein eigenthümliches, wehmütiges Gefühl ein. Man hat so viel mit Viertel- und Achtelbegabungen zu thun, dass man zuletzt das Vertrauen zu jeder neuen Bekanntschaft verliert. Mißmutig vergraben unter einem Haufen von Novitäten saß ich eines Tages, als zwei Werke von einem unbekannten Komponisten meine ganze Aufmerksamkeit erregten."
Noch heute kann man die freudige Spannung spüren, mit der der renommierte Musikkritiker Louis Ehlert in den Noten der "Slawischen Tänze" geblättert haben muss. Da ist ein Riesen-Talent, eine Jahrhundertbegabung, ein Musiker, der das Zeug zur großen Karriere hat. Ehlerts euphorische Rezension bleibt nicht ohne Folgen. Ein "Sturm auf die Musikalienhandlungen" bricht los, Dvořáks Kompositionen werden zu Bestsellern. Es sind die guten, alten Gründer-Zeiten, in denen eigenständiges Musizieren zum bildungsbürgerlichen Ton gehört und Verlage mit gedruckten Noten viel Geld verdienen.
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Dvořák - Slavonic Dances, Op 46 - Kocsis
Als der für ihn bahnbrechende Aufsatz erscheint, ist Dvořák bereits 37 Jahre alt. Eine schier endlose Zeit hat er als Bratschist im Prager Orchester verbracht, er hat Symphonien und Streichquartette komponiert. Vieles davon für die Schublade. Der Durchbruch Dvořáks, dessen Werk plötzlich auch die Tür zum Konzertsaal offen steht, kommt spät, aber er kommt. 1878 liegt er sogar förmlich in der Luft. Deshalb hat der böhmische Metzgersohn seinen Erfolg nicht ausschließlich dem Engagement eines einzelnen Musikkritikers zu verdanken. Dennoch kann Louis Ehlert folgenden unschätzbaren Verdienst in Anspruch nehmen: "...dem wirklichen Talent die dunkle Zeit der Ruhmlosigkeit verkürzt zu haben".
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Sendung: "Allegro" am 15. November 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK