London, 4. Februar 1972. Steve Reichs Komposition "Drumming" erlebt in London ihre europäische Erstaufführung. Damals war diese Art von Minimal Music noch neu und wurde vom musikalischen Establishment belächelt. Heute ist sie in den Konzertsälen zu Hause – und "Drumming" ein Klassiker.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
Die Sendung zum Anhören
Große leuchtende Rechtecke, orange oder flammend rot. Und rasant pochende Trommelrhythmen, pulsierend, hypnotisierend. In der Hayward Gallery, dem stylischen neuen Betonbau direkt oberhalb der Themse, werden gerade Bilder von Mark Rothko ausgestellt. Und heute sind vor den geheimnisvoll schillernden Farbflächen außerdem riesige Xylophone aufgebaut, kleine Bongos, silbrige Glockenspiele. Zwölf Musiker klopfen, klöppeln, pfeifen ein neues Stück eines jungen amerikanischen Komponisten, zum ersten Mal in Europa zu hören: "Drumming" von Steve Reich.
Erst Ende der 70er sollten die Leute begreifen: Der ist gar nicht verrückt!
"Für das musikalische Establishment war ich damals ein Außenseiter", erinnert sich Steve Reich. "Zu meinen Konzerten kamen Maler, Bildhauer, Filmemacher, Choreographen – aber kaum Komponisten oder Leute aus der klassischen Musik. Erst Ende der 70er sollten die Leute begreifen: Der ist gar nicht verrückt!" Auch wenn die Klassik-Szene und die Avantgarde 1972 die Nase rümpfen über diese "Minimal Music": Das Publikum in der Hayward Gallery gerät schnell in den Sog der pulsierenden Klänge. Aus kleinen rhythmischen Patterns setzt Steve Reich ein schillerndes einstündiges Mosaik zusammen. Weil ihm das Geld fehlt, um sein eigenes Ensemble aus den USA einzufliegen, hat er junge Musiker aus England zusammengetrommelt, "jeder auf seine Weise berühmt, wenn auch nicht als Schlagzeuger!“
YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.
Steve Reich - Drumming
In der Tat: Die Liste der Mitspieler liest sich aus der Rückschau wie das Who is Who der Minimal Music. Gavin Bryars ist dabei, heute bekannt für seine meditativen Grenzgänge zwischen Rock und Avantgarde. Oder der Komponist Cornelius Cardew, die spätere Galionsfigur der englischen Linken. Oder Michael Nyman, der als Filmmusik-Komponist Karriere machen sollte. Karriere gemacht hat auch Steve Reichs "Drumming". Heute wird das Stück nicht mehr in Galerien gespielt, sondern in den großen Konzertsälen der Welt. Und wenn Steve Reich dann im Publikum sitzt, wird er fast eifersüchtig: "Die jungen Musiker heute spielen meine Musik viel besser als wir damals!"