BR-KLASSIK

Toblach, 20. August 1910: Gustav Mahler ist fassungslos. Wie hatte das nur passieren können? Und wieso hatte er nichts bemerkt? War Alma so unglücklich? Noch vor wenigen Wochen war Mahlers Leben perfekt gewesen: Er hatte täglich komponiert und nebenbei die Uraufführung seiner Achten Symphonie vorbereitet.

"Veni, creator spiritus!" In einem einzigen großen Schaffensrausch hatte Mahler dieses gewaltige Werk niedergeschrieben. Für Wochen war er mal wieder ganz in seine Musik abgetaucht. Und Alma? Seine Frau schwieg. Und litt. Wie schon so lange. Schließlich hatte Mahler ihr das Komponieren verboten – seine Bedingung vor der Hochzeit. Damals hatte Alma das geschluckt. Doch mit der Zeit wurde ihr klar, was diese Opfer für sie bedeutete. Nach acht langen – für Alma wohl auch sexuell – frustrierenden Ehejahren begann sie eine Affäre mit dem jungen Architekten Walter Gropius. Als Mahler davon erfährt, bricht sein gläserner Elfenbeinturm zusammen. Wie blind war er doch gewesen! Und wie egoistisch! Verzweifelt versucht Mahler, die Ehe zu retten, überhäuft Alma mit Gedichten und Liebesbriefchen. "Ich habe die Pantöffelchen tausendmal abgeküßt und bin in Sehnsucht an deiner Thüre gestanden", heißt es da beispielsweise.

Wie ein Ertrinkender

Außerdem erlaubt er Alma – ja fordert sie geradezu dazu auf –, wieder zu komponieren. Alma kann es kaum fassen: "Ich erlebe etwas an meiner Seite, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Nämlich, daß Liebe grenzenlos ist… Gustav ist wie ein krankes, herrliches Kind." Wie ein Ertrinkender klammert sich Mahler an alles, was ihm Hoffnung gibt. Zuletzt legt er Alma seinen ganzen Stolz zu Füßen. Er widmet ihr seine Achte Symphonie mit den Worten: "Meiner lieben Frau Alma Maria".

Die Ehe bleibt Formsache

Doch Mahlers Rettungsversuche kommen zu spät. Zwar bleibt Alma bei ihm, ihre Ehe ist jedoch reine Formsache. Heimlich setzt Alma die Affäre mit Gropius fort. Und Mahler, ohnehin schwer krank, erholt sich von diesem Schlag nicht mehr. Er stirbt ein knappes Jahr später.