Weltweit gefeierter Star und tiefgründiger Zweifler: Der Bariton Christian Gerhaher ist einer der besten Liedgestalter überhaupt, auf der Opernbühne macht er sich immer noch ziemlich rar. Jetzt steht Gerhaher an der Bayerischen Staatsoper in München auf der Bühne: als Marquis de Posa in Giuseppe Verdis Don Carlo.
Bildquelle: © Thomas Egli
BR-KLASSIK: Sie haben so unterschiedliche Rollen wie Papageno, Wozzeck, Orfeo, Prinz von Homburg, Don Giovanni, Wolfram und Pelléas gesungen - Verdi kam dabei bisher fast gar nicht vor. Ist das Zufall oder gibt es einen bestimmten Grund?
Christian Gerhaher: Er kam gar nicht vor - außer einmal der de Posa in Toulouse. Und das ist kein Zufall, denn ich bin eben ein ziemlich deutscher Sänger und habe sehr viel Respekt vor dieser Musik. Außerdem fordert die Rolle des Marquis de Posa schon eine gewisse stimmliche Reife.
BR-KLASSIK: Marquis de Posa ist eine zentrale Figur der Oper, er trägt den Idealismus von Schillers Gedankenfreiheit in sich, er ist ein großer Freiheitskämpfer - das wird besonders in der Szene mit König Philipp deutlich, in der De Posa es schafft, den König an seiner gewaltsamen Machtherrschaft zweifeln zu lassen. Es ist eine der spannendsten Szenen, weil - trotz großer Kontraste der Persönlichkeiten - doch so etwas wie eine Annäherung zwischen den beiden Figuren stattfindet.
Christian Gerhaher: Es ist natürlich historisch gesehen eine rein künstliche Situation. Das war sie bei Schiller schon, und bei Verdi vielleicht noch mehr. Trotzdem gibt es hier einen gewissen historischen Wahrheitsgehalt, vor allem bei König Philipp. Die Figur des de Posa hat dagegen überhaupt keinen historischen Hintergrund, der Marquis ist eine reine Kunstfigur, aber durch ihn wird das historische Problem dargestellt - und er ermöglicht erst den Konflikt in dieser Oper.
Denn eine reale Figur, die die Art, wie Menschen in diesem absolutistischen Zeitalter behandelt wurden, angezweifelt hätte, konnte es so nicht geben. Das Problem konnte erst retrospektiv im Zeitalter des Idealismus überhaupt erst ausgesprochen werden. Insofern ist diese Figur ein Sonderling, der als Idealist, den es eigentlich nicht geben kann, zum Freund Philipps wird. Eigentlich ist es irrational, denn Philipp vertraut de Posa, obwohl dieser schreckliche Dinge zum König sagt. Man könnte meinen, die Offenheit und der Mut de Posas sind der Grund, warum sich Philipp für ihn begeistert. De Posa bleibt eine Kunstfigur, die an vielen Fronten kämpft und im Grunde auch an jeder Front scheitert - sein Sterben ist auch ein künstliches.
nach Friedrich Schillers dramatischem Gedicht "Don Karlos, Infant von Spanien"
Schauplatz: der streng katholisch geprägte Spanische Hof Philipps II.
Zeit: Mitte des 16. Jahrhunderts
Don Carlo liebt Elisabeth von Valois, doch sein Vater, der spanische König Philipp II., heiratet die Angebetete seines Sohns aus politischem Kalkül. Don Carlo gesteht seiner neugewonnen Stiefmutter trotzdem seine Liebe - und wird zurückgewiesen. In Marquis de Posa ist Don Carlo ein einziger Freund aus Kindertagen geblieben. Zusammen setzen sich die zwei Freunde für die Befreiung der spanischen Provinzen in Flandern ein. Zwischen König Philipp und seinem Sohn Don Carlo kommt es zu einem Streit um die Freiheit Flanderns, der Sohn zieht das Schwert gegen seinen Vater - und wird daraufhin verhaftet. Der Großinquisitor klagt Don Carlo und den Marquis von Posa der Ketzerei an und verurteilt sie beide zum Tod. König Philipp nimmt das Urteil an. Einige Zeit später vernichtet Marquis de Posa belastendes Material, das Don Carlo mit den Aufständischen in Flandern in Verbindung bringt, und geht für seinen Freund in den Tod. Don Carlo nimmt Abschied von Königin Elisabeth, er will in Flandern für die Sache seines toten Freundes kämpfen.
BR-KLASSIK: Es ist ja keine Neuproduktion in München, sondern eine relativ alte Inszenierung von Jürgen Rose, die leicht historisierend ist. Sie ist düster, karg, kammerspielartig. Fällt es Ihnen leicht, sich da einzufühlen, ist es eine Bildersprache, die Ihnen etwas gibt?
Christian Gerhaher: Das ist eine Bildsprache, die mich ganz zufriedenstellt. Gerade bei stark historisierenden Themenkomplexen etwas ganz auf den Kopf zu stellen fände ich schade, sogar unangebracht. Ich finde, der Mensch ist ein historisches Wesen und kann mit Situationen, die nicht in der heutigen Zeit spielen, gut umgehen, weil er sie reflektieren kann. Allerdings bin ich auch glücklich, dass die Oper nicht zu realistisch inszeniert ist, denn es kann bei der Autodafé-Szene (Anm. der Redaktion: Verkündigung und Vollstreckung eines Urteils der Spanischen Inquisition) ganz schnell peinlich werden. Wenn hier ein Staatsauflauf in entsprechenden Gewändern usw. stattfände, dann würde hier etwas prätendiert - nämlich eine Ernsthaftigkeit der höfischen Etikette - die sich in der Musik meiner Ansicht nach nicht wiederfindet. Ich habe das Gefühl, Verdi hat mit seiner Grand Opera Don Carlo versucht, einen echten Erfolg an der Pariser Oper zu landen und hat dabei zu ein paar Mitteln gegriffen, die er sonst in seiner doch unglaublichen Ehrlichkeit nicht benutzen würde.
Die Fragen stellte Alexandra Maria Dielitz für BR-KLASSIK.
München, Bayerische Staatsoper
Sonntag, 15. Januar, 16.00 Uhr
Donnerstag, 19. Januar, 17.00 Uhr
Sonntag, 22. Januar, 16.00 Uhr
Musikalische Leitung - Paolo Carignani
Inszenierung, Bühne, Kostüme und Lichtkonzept - Jürgen Rose