Salzburger Festspiele
19. Juli bis 31. August 2024
Triumphmarsch oder Tränen? In seiner drittletzten Oper ließ Verdi monumentale Staatsszenen in extremem Kontrast auf intime Seelenschilderungen prallen. Je nachdem, welche Perspektive der Regisseur einnimmt, kann "Aida" als (Sandalen-) filmreifes Pyramidenspektakel inszeniert oder als Studie menschlicher Gefühle in den Zwängen von Krieg und Fanatismus interpretiert werden. Alexandra Maria Dielitz unternimmt einen Streifzug durch mehr als 100 Jahre "Aida"-Historie.
Bildquelle: picture-alliance/dpa
1913 stand Italien vor der Frage, wie der 100. Geburtstag seines Nationalkomponisten Giuseppe Verdi gebührend zu feiern sei. Der Veroneser Tenor Giovanni Zenatello kam auf die Idee, das römische Amphitheater seiner Heimatstadt zu diesem Anlass mit einer der Opern des Maestros zu bespielen. Die Wahl fiel auf "Aida", die sich durch Inhalt und Format für die antike Kolossalarchitektur besonders empfahl. Als sich am 10. August die Pforten der eigens restaurierten Arena di Verona öffneten, erblickten die erstaunten Besucher eine ägyptische Tempelanlage samt Säulenhallen, Palmen und Sphinxen, bevölkert von rund 800 exotisch kostümierten Chorsängern und 30 berittenen Soldaten. Das bis heute wohl berühmteste Open Air Opernfestival der Welt war geboren und seither gehört "Aida" zu Verona wie ein Eis zu einem heißen Sommerabend. Mit goldglänzendem und gigantomanischem Ägyptenkult erwies sich das Verona-Festival besonders durch die Nil-Oper als robustes Bollwerk gegen intellektualistische Übergriffe des Regietheaters. Zum 200. Verdi-Geburtstag sah man sich jedoch sogar hier zur Demonstration eines gewissen Fortschritts genötigt und gelangte 2013 zur aufwändigen Kompromisslösung einer "doppelten" Inszenierung der "Aida": einmal in der historischen Rekonstruktion von 1913 und einmal in der zeitgenössischen Version der katalanischen Eventtheater-Truppe La Fura dels Baus. Diese Produktion verzichtete zwar nicht auf spektakuläre Szenerien, übersetzte sie aber immerhin in futuristische Optik mit Leuchtkugeln, Stahlkonstruktionen und Elefanten auf Rädern.
"Aida"-Inzenierung von Graham Vick, Bergenz 2010 | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Der Rest der Opernwelt stellte sich schon viel früher die Frage, wie viel Pharaonenkitsch und Nilromantik diese Oper überhaupt braucht - ob das rein menschliche Drama einer unmöglichen Liebe in Zeiten von Krieg, Unterdrückung und Gewalt nicht überall spielen könnte. Denn obwohl vom Vizekönig Ismail Pascha persönlich in Auftrag gegeben, einem Szenarium des renommierten Ägyptologen Auguste Mariette folgend und 1871 pompös in Kairo uraufgeführt, ist die Oper so ägyptisch wie eine Pyramide auf der Pariser Weltausstellung. Zumal Verdi sich - einmal abgesehen von der eigens konstruierten "Aida-Trompete" - mit einer musikalischen Verortung zurückhielt. So "entrümpelte" Wieland Wagner schon bei den Berliner Festwochen 1961 seine "Aida"-Bühne von touristischem Mumienzauber und beschwor durch Masken, Totems und Fetische ein mythisches Afrika.
Pet Halmen versuchte rund 35 Jahre später am selben Ort eine Distanzierung, indem er die gesamte Handlung ins ägyptische Museum in Kairo versetzte und die Figuren in Schaukästen verbannte. Den radikalsten Schritt in der neueren Inszenierungsgeschichte der "Aida" unternahm zweifellos Hans Neuenfels 1981 in Frankfurt: Radames begann in Hemd und Krawatte eine archäologische Ausgrabung im eigenen Arbeitszimmer, Aida trat als Putzfrau des perversen Luders Amneris auf und beim Triumphmarsch wurden die Gefangenen Äthiopier als unzivilisierte Wilde vorgeführt. Zur Belustigung eines aufgedonnerten Theaterpublikums auf der Bühne warf man ihnen Brathähnchen zum Fraß vor, die alsbald als Hühnerklein den Chorsängern um die Ohren flogen. Die Folge waren Publikumstumulte, Flugblätter und Bombendrohungen - kurz: einer der größten Theaterskandale der Nachkriegszeit.
Dennoch war besonders Neuenfels' Denunzierung des Triumphmarsches als martialische Manifestation kolonialistischer Überlegenheit wegweisend: Peter Konwitschny verlegte 1994 in Graz die lärmende Massenszene konsequent auf die Hinterbühne, um im Vordergrund die verheerenden Auswirkungen dieser öffentlichen Fassade auf die Psyche der Protagonisten zu inszenieren. Immer wieder wurde der Triumphmarsch seither als Metapher von Gewaltbereitschaft und Schlüsselszene der Handlung begriffen, verortet an jeweils aktuellen Schauplätzen von Krieg und Besetzung: sei es Jugoslawien in John Dews Hamburger Inszenierung von 1993 oder der Irak in David McVicars Londoner Produktion von 2010. Graham Vick auf der Bregenzer Seebühne, die aus Trümmern der Freiheitsstatue bestand (2009), und Tatjana Gürbaca am Zürcher Opernhaus (2014) sparte nicht mit Anspielungen auf Guantánamo und Abu Ghraib.
"Aida"-Inzenierung in Luxor, 1987 | Bildquelle: picture-alliance/dpa Lange genug schien "Aida" jene These Theodor W. Adornos zu illustrieren, nach der die Oper des 19. Jahrhunderts als "Platzhalter" des noch ungeborenen Kinos fungierte. Mittlerweile werden Märsche und Massenszenen jedoch meist nicht mehr als Selbstzweck begriffen, sondern als szenische Verdeutlichung politischer und religiöser Machtstrukturen. Daher wird immer öfter auf das Cinemascope-Format verzichtet, zugunsten einer Konzentration auf das von Verdi musikalisch so subtil gezeichnete Seelenleben der Figuren. Über Projekten, die unverbesserlich auf Bombast setzen, scheint ein "Fluch des Pharao" zu liegen: So wurde der 1987 unternommene Versuch, "Aida" am vermeintlichen "Originalschauplatz" im ägyptischen Luxor aufzuführen und als touristisches Fünf Sterne-Paket dem internationalen Jetset zu verkaufen, genauso ein "Triumphmarsch ins Fiasko" ("Der Spiegel"), wie Plácido Domingos jahrelang vorbereitete "Aida"-Tour. Der Ex-Tenor wollte hier am Pult einer Produktion im bewährten Tutanchamun-Stil stehen, wie er sie bereits 2014 an der Metropolitan Opera dirigiert hatte - nur noch viel größer: Ab 2018 sollten 800 Beteiligte ein Breitwandbühnenbild bevölkern, das in einem Konvoi von 90 Lastwagen quer durch Europa von Stadion zu Stadion transportiert worden wäre, wenn der Veranstalter nicht inzwischen Insolvenz angemeldet hätte.
Gemessen an den internationalen Aufführungszahlen der "Aida" sieht ihre Rezeptionsgeschichte in Salzburg eher mager aus: Dieses Jahr steht die Nil-Oper erst zum zweiten Mal auf dem Spielplan der Festspiele, nach der Karajan'schen Produktion von 1979/80, die sich in Bühnenbildern Günther Schneider-Siemssens durchaus zum ägyptologischen Ausstattungspomp bekannte. Derartiges war von der iranischen Filmemacherin und Videokünstlerin Shirin Neshat nicht zu erwarten. Als im Exil lebende Iranerin vermittelt Neshat einen sehr persönlichen Blick auf Aidas Tragödie und braucht dazu keine Pyramiden, Elefanten oder Brathähnchen.