SWEET SPOT.
Neugierig auf Musik
Habt ihr eine Dreiviertelstunde Zeit? Dann setzt eure Kopfhörer auf und macht zusammen mit dem isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson eine Reise durch seine nuacenreiche Künstlerseele!
Bildquelle: Jónatan Grétarsson - DG
Er gilt als der Ur-Künstler überhaupt: der Dichter und Sänger Orpheus aus der griechischen Mythologie. Schließlich schaffte er es mit seiner Stimme Menschen und Tiere, ja sogar die Götter zu beeindrucken - und auch noch Naturgewalten zu zähmen und sogar Kriege zu beenden.
Trotzdem gab es für Orpheus kein Happy End: Als seine Liebste Eurydike stirbt, steigt er zu ihr in die Unterwelt und "singt" sie sich vom Gott Hades zurück. Doch beim Verlassen der Unterwelt passiert das Unglück: Da er Eurydikes Schritte nicht hört, wendet er sich zu ihr um – was ihm strengstens verboten war. Sie entschwindet und erst als Orpheus selbst stirbt, sind die Beiden wieder vereint.
Bildquelle: Jónatan Grétarsson - DG Für den Komponisten Jóhann Jóhannsson ist der Orpheus-Mythos, der sich seit Jahrhunderten durch alle Künste zieht, ein Symbol für "das ungreifbare Wesen der Schönheit und ihre mitunter schwierige Beziehung zum Künstler." Er selbst ist vor kurzem von Kopenhagen nach Berlin gezogen. Er hat vieles hinter sich gelassen - und wieder Neues aufgebaut. An "Orphée" hat Jóhannsson ganze sechs Jahre getüftelt, viel Zeit und Liebe reingesteckt. Am Anfang gab's nur einzelne Themen.
Ich verbrachte viel Zeit damit, die Themen zu unterschiedlichen Versionen und Variationen zu formen.
Bildquelle: Deutsche Grammophon Jóhann Jóhannsson beweist auf "Orphée", dass er ein ausgefuchster Klangtüftler ist. Fein aufeinander abgestimmt kombiniert er seine Klavier- und Cellomelodien mit intensiven Streicherteppichen, außerdem rätselhafte Zahlencodes (nach dem Vorbild der "Nummernsender", die während des Kalten Krieges codierte Botschaften ausstrahlten) und elektronische Sounds zu einem sehr dichten Klangbild. Die sphärische Musik kommt dabei sehr viel positiver und hoffnungsvoller daher, als es das grau-schwarze CD-Cover (die Unterwelt lässt grüßen!) vermuten lässt. Trotz der oft ruhigen, melancholischen Tempi bleibt die Musik nicht stehen - die Verschiedenheit der Sounds baut eine Spannung auf, die sich durch das ganze Album zieht.
Ein Highlight auf "Orphée“ ist der letzte Track der CD, die "Orphic Hymn", nach einem Originaltext des lateinischen Dichters Ovid. Jóhannsson verdichtet hier sein Orpheus-Thema in einem motteten-ähnlichen Gesang, der fast schon geistliche Vokal-Musik sein könnte. Davon hätte sein "Orphée" sogar noch mehr vertragen.
Fazit: Ein Muss für alle Filmmusik-Fans, die ihr eigenes Kopfkino mit Tiefgang erleben wollen.
Orphée / Jóhann Jóhannsson
Deutsche Grammophon
VÖ 16.09.2016