SWEET SPOT.
Neugierig auf Musik
Bildquelle: Daniel Koch / Semperoper Dresden
Ich sitze in einer Parfümwolke. Nicht in meiner eigenen, sondern in einer, die nach verschiedenen Generationen duftet. Irgendwie riecht es aber auch nach Räucherstäbchen – das muss der Nebel sein, der über die Bühne kriecht, als sich der Vorhang hebt.
Und da geht sie los, die Party der überdimensionierten Möbel. Als erstes ein weißes Monster-Sofa, auf das man hinaufklettern muss, wenn man sich so gemütlich dort räkeln will, wie die Hauptfiguren Daisy und Jordan. Ich läge da jetzt auch gerne rum, es sieht sehr bequem aus.
Statt aber gemütlich zu ruhen, rutsche ich in meinem Sitz herum und versuche, meinen Blick zu koordinieren – von den Übertiteln über der Bühne rechtzeitig runter auf's Geschehen auf der Bühne, mal links, mal rechts am Kopf meiner Vorderfrau vorbei. Ganz schön stressig. Aber viel stressiger haben es eindeutig die Musiker: mal erinnert John Harbisons Oper von 1999 an die aufgewühlte orchestrale Musik aus schwarz-weiß Krimis, dann wieder tauchen Ragtime, Jazz und klassische moderne Elemente auf. Die Staatskapelle Dresden spielt ihren Part mit Wums und auch die Sänger lassen ihre Stimmen ganz schön durch die Gegend hüpfen – trotzdem bleibt es elegant. Passend dazu wippt weiter vor mir eine Feder auf einem Damenkopf dezent hin und her. Dem Publikum macht es offensichtlich Spaß, sich passend zum Klassiker "The Great Gatsby" auch wie in den wilden 20ern herauszuputzen – in der Pause sehe ich ein paar Mädels mit Glitzerstirnbändern eher brav als wild durch die edlen Säulengänge der Semperoper wandern. Die Säulen wiederum würden auch in Gatsbys schickes Haus passen – so kennt man das ja aus den Filmen.
Pause vorbei, weiter geht der Glitzerrausch auf der Bühne. Auch riesige Monster-Stühle tauchen wieder in verschiedenen Farben und Formen auf. Ein letztes Highlight im Bühnenbild: das Monster-Cocktailglas, in das Gatsby vor Ende zum Baden steigt – was für ein herrliches Bild! Dann noch ein paar knallende Schüsse und da ist es schon, das tragische Ende.
Ein Blick ins Programmheft auf dem Weg zur Garderobe holt mich endgültig zurück in die Realität: Auf einer Seite steht in großen Druckbuchstaben "Refugees Are Welcome Here!". Darunter ein Statement, in dem sich das Theater deutlich gegen die Ansichten der Pegida ausspricht und für ein weltoffenes Dresden plädiert. Zum Glück ist heute nicht Montag.
The Great Gatsby von John Harbison
11.12.15
Semperoper Dresden
(Basierend auf dem Roman von F. Scott Fitzgerald)
Oper in zwei Akten (in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln), Europäische Erstaufführung
Musikalische Leitung: Wayne Marshall
Inszenierung: Keith Warner
Bühnenbild: Johan Engels