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Bayreuther Festspiele Gesprächsband "WagnerVisionen"

Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler, Katharina Wagner - die Deutungen der Werke von Richard Wagner stehen bei den Festspielen in Bayreuth naturgemäß im Mittelpunkt des Interesses. Der Gesprächsband "WagnerVisionen" präsentiert in Kooperation mit BR-KLASSIK ausgewählte Interviews zu Regiekonzepten seit der Jahrtausendwende.

Buchcover "WagnerVisionen" von Michael Schmidt | Bildquelle: edition text + kritik

Bildquelle: edition text + kritik

Wagners Werk und seine Festspiele, aber auch die Aura des Grünen Hügel haben sich tief ins kulturelle Gedächtnis eingegraben und üben auf viele eine ungebrochen starke Faszination aus – im Schönen wie im Schrecklichen. Zur kulturellen und politischen Wagner-Rezeption gehört der erweiterte Kunstbegriff eines Joseph Beuys ebenso wie das totalitäre Vernichtungsregime Adolf Hitlers. Bis heute üben die Wagner’schen Musikdramen mit ihrem narkotischen Klangzauber eine andauernde Sogwirkung aus. In seiner revolutionären Konzeption des Musikdramas verschmelzen die Einzelkünste zu einem großen Ganzen, was für die nachfolgende Kunst- und Geistesgeschichte kaum hoch genug einzuschätzen ist.

Interviews zu Regiekonzepten sowie Werk und Wirkung Wagners

Entsprechend vielfältig sind auch die Wagner-Deutungen. Der vor kurzem erschienene Gesprächsband WagnerVisionen bei "edition text + kritik" in Zusammenarbeit mit BR-KLASSIK und den Bayreuther Festspielen versammelt acht ausgewählte Interviews zu einigen spektakulären Regie-Debüts bei den Bayreuther Festspielen seit der Jahrtausendwende. Geführt wurden sie für die Pausen der Premieren-Übertragungen von Bayreuther Neuinszenierungen im Radioprogramm von BR-KLASSIK. Es geht darin sowohl um die Regiekonzepte der einzelnen Abende als auch allgemein um Werk und Wirkung Richard Wagners. Der gedankliche und assoziative Reichtum dieser Interviews führte zu der Idee, sie in Buchform zu veröffentlichen. Zeigt sich in ihnen doch aus ganz unterschiedlichen Perspektiven die ungebrochene Aktualität der Kunst Richard Wagners.

Drei Deutungen des Parsifal

Parsifal, Wagners letztes und eigens für das Festspielhaus komponiertes Bühnenweihfestspiel ist im WagnerVisionen–Gesprächsband mit gleich drei Interviews zur Regie vertreten – mit Stefan Herheim, Uwe Eric Laufenberg und Christoph Schlingensief. Für Herheim ist der Parsifal ein Werk, "das total aus dem Leid des 19. Jahrhunderts erwächst, aus dem exzentrischen, anti-sexuellen großen Erlösungstrieb des Wilhelminismus. Das junge Deutschland hatte so viele Chancen und Möglichkeiten und hat so viel hervorgebracht. Doch dann findet es sich im Nationalsozialismus in einer absoluten Perversion des geistigen Potenzials wieder. Diese Nation kann sich scheinbar nur in der Katastrophe wieder sammeln und sich gewahr werden, welche Verantwortung mit dem Begriff 'Erlösung' zusammenhängt."

Christoph Schlingensief empfindet Parsifal dagegen als nicht so eindeutig. "Er ist etwas Zerrissenes. Er kommt mir fast vor wie das Zusammentreffen verschiedenster Religionen und Ansichten, die Wagner wohl bei der Entstehung des Werks im Kopf hatte… Wir sehen z.B. in allen drei Akten eine ganze Strecke, wo diverse Voodoo-Zeichen aus dem Nichts auftauchen, die sich so langsam nach vorne baggern, dass das ganze Licht nur aus diesen Zeichen besteht. Das sind die Eröffnungsgötter des Voodoos, das sind aber auch Liebesgötter oder Götter, deren wahre Absicht man nicht kennt, also Götter, die einen im Positiven wie im Negativen reiten können."

Wagners Parsifal

Szenenbilder von Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung von 2016 sehen Sie hier.

Für Uwe Eric Laufenberg erscheint Parsifal als eine Art Utopie: "Auf der einen Seite soll der Erlöser erlöst werden, von seinem permanenten Leiden, der permanenten Folter, der permanenten Zerstörung des Körpers. Und wenn Sie die Religionskriege betrachten, werden da mit hohem Körpereinsatz Menschen gequält und in Konflikte, in grausame Martern getrieben, die viele nicht überleben. All diesen Aspekten geht Wagner nach, mit einer Musik, die einen das sehr gut mitfühlen lässt. Letztendlich versucht er natürlich auch, das aufzuheben, zu überwinden. Dafür steht die Figur des Parsifal, der das nicht selbst erleben muss, um ein Gefühl des Mitleids, ja eines des Leidens auch an sich wahrzunehmen. Es geht um die größtmögliche Utopie, dass am Ende aller Tage die Menschen vielleicht aufhören, übereinander herzufallen, die Erde zu zerstören, sich selbst zu vernichten, und das alles im Namen irgendeines Gottes, was ja der größte Schwindel ist, den man sich vorstellen kann."

Licht und Energie im Tristan

Ebenso unterschiedlich zeigen sich die anderen Interviews. Die einzige Gesprächsrunde des Bandes zu Tristan und Isolde fand mit dem Regisseur Christoph Marthaler, der Bühnenbildnerin Anna Viebrock und dem Dramaturgen Malte Ubenauf bei einem Mittagessen in einem fränkischen Gasthaus statt. Christoph Marthaler spricht von der Symbiose zwischen Musik und Licht beim Tristan: "Musik ist bei Wagner reine Energie. Das muss man umsetzen. Und da spielt das Licht eine riesige Rolle. Licht ist Energie. Und immer, wenn etwas aufgeladen wird, wird es sich wieder entladen, und je schneller geladen wird, desto schneller entlädt sich das wieder. Es ist mit dem ganzen Universum so. Die Sonne ist irgendwann eine wahnsinnige Explosion gewesen, eine Entladung. Für uns ist sie endlos, ewig. Aber für eine andere Zeitrechnung ist sie vielleicht ganz kurz, ein Verglühen. Und im 'Tristan' geht es auch um verglühende Menschen… Wenn die Musik wieder ganz intensiv wird und Tristan in seinem Fieberwahn Isolde plötzlich ständig sieht, dann kann es vorkommen, dass erloschene Lampen noch einmal flackern. Sie werden nochmal zum Leben erweckt… Diese Lampen könnten auch ohne, dass sie angeschlossen werden, weil sie schon erloschen sind, durch diese Erinnerungs-Energie noch ein bisschen aufflackern. Plötzlich findet man Galaxien und Sterne am Himmel, die tauchen auf, aber die sind längst erloschen."

Die Handlung des Tristan

Kompakt und unterhaltsam zusammengefasst sehen Sie hier.

Die politische Dimension in Wagners Dramen

Auch die Intendantin Katharina Wagner selbst kommt zu Wort mit Die Meistersinger von Nürnberg aus dem Jahr 2007: "Am Ende hat der Sachs wirklich eine Vision - ich lasse zwei Statuen mit den Köpfen von Goethe und Schiller hochfahren - was der Inbegriff der deutschen Kunst sein soll. Und wir haben ja gesehen, wo es hinführt - die Vision von Sachs, wie die heilige deutsche Kunst auszusehen hat… Ich glaube schon, dass man gerade an einem Ort wie Bayreuth diese Schlussansprache schon politisch sehen muss - in Anbetracht dessen, was hier leider rezeptionsgeschichtlich und auch sonst geschichtlich stattgefunden hat. Ich glaube, dass man dazu Stellung beziehen muss und dass ich das auch tue."

Mit den geschichtlichen Vorkommnissen zur Zeit Wagners beschäftigt sich auch Hans Neuenfels drei Jahre später in seinem Lohengrin, doch eher im Hintergrund: "Da ich Wagners Opern für Kunstwerke halte, finde ich darin nichts Faschistoides. Mich interessiert die Betrachtung über das Faschistoide, die Wagner bewusst aufwirft, weil es ja von Wagner als ein Thema gestaltet und verwandelt worden ist, das einen Teil unseres Menschseins betrifft. Wir haben faschistoide Züge, die in unseren Genen liegen, ob wir es wollen oder nicht und die oft durch die Gesellschaft potenziert werden… Ich finde, das Großartige an Lohengrin und auch beim Gral ist, dass es der letzte Versuch ist, die Kommunikation einer Welt gänzlich zu verändern, also die herkömmlichen gesellschaftlichen Umgangsformen umzuwandeln. Und dieser Versuch misslingt. Ich finde es ist ein positiver Versuch, Vertrauen vorauszusetzen. Ich meine, in einer ausweglosen Situation wäre Vertrauen manchmal besser als Kontrolle. Die Welt im 'Lohengrin' ist ausweglos, öde und verstrickt. Aber dann kommt jemand und sagt: ‚Das versuchen wir einmal ganz anders‘."

Die Handlung des "Lohengrin"

Kompakt zusammengefasst im Wagner-Crashkurs

Widersprüche in den Figuren machen sie psychologisch lesbar

Fern ab von einer politieschen Dimension äußert sich Sebastian Baumgarten über die psychologische Komponente seines Tannhäuser: "Der Konflikt zwischen Exzess und Sucht auf der einen und Ordnungswahn auf der anderen Seite – diese beiden Welten, die sich da kontrastiv gegenüberstehen. Und dann vor allen Dingen natürlich das Individuum, die Figur Tannhäuser, die sich im Dauerprozess zwischen beiden Polen bewegt. Elisabeth hat andeutungsweise auch solche Widersprüchlichkeiten in sich, wahrscheinlich auch Wolfram von Eschenbach. Ansonsten scheint es doch so, dass alle anderen Figuren klar positioniert sind auf der apollinischen Seite der Wartburg. Einer Welt der Ordnung, des Traumes. Und auf der anderen Seite die dionysische Welt. Da sind dann die Venus und all ihre göttlichen Gestalten drum herum… Dadurch hat man große Grundwidersprüche und in den Figuren jeweils die individuellen Widersprüche. Und die führen die Figuren weg von einer rein mythologischen Betrachtung und machen sie psychologisch lesbar…"

Über die Schuld im "Ring"

Und zu guter Letzt spricht Frank Castorf über die Götterdämmerung und den Ring des Nibelungen: "Die Schuld ist am Anfang schon gegeben. Wir wissen, dass Wotan ein Frauenheld war. Er hat die einfachsten, abgrundtiefsten Bedürfnisse, die jeder Gott und wahrscheinlich auch jeder Mensch hat. Und dass da Menschen, die Riesen sind, betrogen werden sollen, um sich etwas zu erschleichen, da liegt eine Urschuld darin und die wird man nicht loswerden. Es gibt auch viele andere Momente, zum Beispiel das Gold, das die Menschen nicht glücklich machen wird… Feuer ist da und Wasser ist da, also diese Elemente. Luft ist wahrscheinlich das Ätherische der Musik. Das kommt mit einem Mal bei Hagen zusammen: Er guckt nach links, da sitzen lüstern die Rheintöchter, auf der anderen Seite ist eine Tonne mit Feuer und da ist dieser Ring drin. Und er muss sich entscheiden, gehe ich nach links, gehe ich nach rechts, gehe ich in den Tod, gehe ich in dieses kapitalistische Verwertungsgefühl, dass ich mehr daraus machen muss, oder bekomme ich so eine kontemplative Größe, bei der ich mich einer anderen Sphäre aussetze. Das ist ein offener Schluss, wie ich ihn oft mache."

Deutungsansätze in Wagners Ring

Ein Essay zur Rolle des Schicksals in Wagners Ring lesen Sie hier

Sendehinweis BR-KLASSIK

Die Sendung "Wagnervisionen" am 1. Juli 2023 in KlassikPlus ab 14:05 Uhr versammelt Ausschnitte aus Pausengespräche zu Bayreuther und Münchner Wagner-Inszenierungen. Darunter finden sich auch die im Gesprächsband vertretenen Regisseur*innen Christoph Schlingensief, Sebastian Baumgarten, Katharina Wagner, Christoph Marthaler mit Anna Viebrock und Malte Ubenauf, Hans Neuenfels sowie Stefan Herheim.

Sendung: "Allegro" am 26. Mai 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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