Wieder mal ein ziemlicher Brocken: Auf seinem neuen Album "Fantasia" durchsteigt Igor Levit den pianistischen Himalaya, dessen vier Gipfel in diesem Fall Bach, Liszt, Busoni und Berg heißen. Das ist manchmal anstrengend, oft aufregend und gewährt vor allem atemberaubende Aussichten.
Bildquelle: Sony Classical
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"Fantasia" nennt Igor Levit sein neues Doppelalbum, und etwas Fantastisches hat die Sammlung von vier Gipfelwerken der Klavierliteratur auch. Ein bisschen böse ließe sich die Kombination von Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge, Liszts h-Moll-Sonate, der Sonate Alban Bergs und Busonis monumentaler "Fantasia Contrappuntistica" als leicht hypertroph, mindestens als ganz schön ehrgeizig bezeichnen.
Dieses Album muss man allein schon deshalb haben, weil ...
... es mit Ferruccio Busonis Fantasia Contrappuntistica eines der tollsten Werke des frühen 20. Jahrhunderts bietet.
Dieses Album lohnt sich, weil ...
... sich hier ein klug durchdachtes Programm mit exzellentem Klavierspiel verbindet.
Dieses Album lädt dazu ein, ...
... sich noch viel intensiver mit Busoni zu beschäftigen. Der ist immer noch zu entdecken.
Ein Treffen der Giganten, auch wenn Bach wie Berg nur rund zehn Minuten dauern. Levit braucht eben die Achttausender, wählt sie aber stets sehr reflektiert. Seine Ausflüge in die Musikgeschichte gleichen Gletschertouren, Expeditionen in eisige Höhen. Gewaltmärsche für den Pianisten, doch auch für das Publikum nicht ohne Anstrengung zu bewältigen. Enorm spannend ist allerdings jede dieser Reisen.
Die vier Werke trennen Jahrhunderte. Was sie verbindet, ist die genau kalkulierte Mischung aus Formbewusstsein und kompositorischer Freiheit. Egal ob Bach, Liszt, Berg oder Busoni, keine Note könnte anders geschrieben sein. Und doch vermittelt sich nie das Gefühl, hier würden formale Vorgaben erfüllt. Form und Freiheit verschmelzen ideal.
Was sagt Igor Levit selbst über sein neues Album? Das erfahren Sie hier.
Igor Levit durchmisst die anderthalb Stunden, die diese vier Werke dauern, unfassbar souverän. Bachs Chromatische Fantasie wirkt unerhört klar, fantastisch virtuos ohnehin. An Liszts h-Moll-Sonate interessiert Levit mehr das weit in die Moderne Weisende, Ungezähmte. Die poetischen Momente kommen nie unterkühlt, aber sicher nicht überromantisiert daher, was dem Werk in meinen Ohren guttut. An Romantik bleibt ohnehin genug bei Liszt.
Alban Bergs Opus 1 gehört zu den Werken, auf die Liszts h-Moll-Sonate vorauswies. Tief verwurzelt in der Romantik, formal an die Klassik anknüpfend, erzählt Bergs einsätzige Sonate von einer neuen Welt, atmet Stefan Georges "luft von anderem planeten". In seiner Mischung aus formaler Strenge und tiefer Ausdruckskraft ein echter Wurf eines Dreiundzwanzigjährigen – und damit genau das Richtige für Levit.
Als pianistischer Extrembergsteiger hat sich Igor Levit immer wieder gezeigt. Auch auf seinem letzten Album "Tristan". Hier geht's zur Rezension.
Mit Ferruccio Busonis "Fantasia", einer großen Hommage an Johann Sebastian Bach, schließt Levit den Kreis. Dieser 1910 entstandene Versuch, die letzte, Fragment gebliebene Fuge aus Bachs "Kunst der Fuge" zu vollenden, hat selbst etwas utopisch Offenes, Unvollendetes. Völlig zu Recht verehrt Igor Levit Busoni, einen der spannendsten Künstler des frühen 20. Jahrhunderts. Was Levit aus der riesenhaften "Fantasia contrappuntistica" macht, ist atemberaubend in seiner Transparenz, genauen klanglichen Abmischung, Ernsthaftigkeit und geistigen Durchdringung. Ohnehin schwer, sich an diesem Meisterwerk satt zu hören. Levits kongeniale Interpretation macht das unmöglich.
Igor Levit – "Fantasia"
Johann Sebastian Bach:
Chromatische Fantasie & Fuge d-moll BWV 903
Johann Sebastian Bach / Alexander Siloti:
"Air" aus der Orchestersuite Nr. 3
Franz Liszt:
Klaviersonate h-moll
Franz Schubert / Franz Liszt:
"Der Doppelgänger"
Alban Berg:
Klaviersonate op. 1; Klavierstück h-moll
Ferruccio Busoni:
Fantasia contrappuntistica BV 256; Nuit de Noel BV 251
Igor Levit (Klavier)
Label: Sony Classical
Sendung: "Piazza" am 30. September 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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