"Jetzt oder nie" heißt eine neue Doku über die Cellistin Anastasia Kobekina und ihren Weg auf die Weltbühne. Ab heute ist der Vierteiler in der ARD-Mediathek zu sehen. Im Interview mit BR-KLASSIK verrät sie, was es nicht in die Doku geschafft hat, wie groß ihre Instrumentensammlung ist und was der Überfall ihres Heimatlandes Russland auf die Ukraine in ihr auslöst.
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Wenige Tage nach der offiziellen Presseanfrage für eine große Radiosendung ploppt eine Handynachricht auf: Unbekannte Nummer, kurz und bündig, sehr charmant. Es ist Anastasia Kobekina, mit Vorschlägen für die Musikauswahl zur Sendung. Diese Szene skizziert den Charakter dieser Vollblutmusikerin ganz gut: Unkompliziert, frei heraus, klarer Fokus. Die 1994 in Jekaterinburg geborene Cellistin erobert seit einigen Jahren die Bühnen der Welt, nachdem sie 2015 beim Hamburger Tonali-Wettbewerb erstmals mit internationaler Strahlkraft auf sich aufmerksam gemacht hat. Und bei aller technischen Brillanz und künstlerischen Aussagekraft blitzt immer auch ihre entwaffnende Natürlichkeit durch.
Cellistin Anastasia Kobekina | Bildquelle: BR Gelernt hat sie ihr "Handwerk" in der Familie, beide Eltern sind Profis, die Mutter Pianistin, der Vater Komponist. "Ich habe unter dem Klavier gespielt, zu Hause war immer Musik", sagt sie im BR-KLASSIK-Interview, das man in wenigen weiteren Textnachrichten ausgemacht hat, "und oft bin ich mit meiner Mutter mit in die Musikschule, wenn sie keine Betreuung gefunden hat", so Kobekina weiter über ihre ersten Gehversuche, "und da bin ich von Zimmer zu Zimmer, meistens wurde ich wieder rausgeschickt. Aber beim Cello durfte ich bleiben und sogar ein wenig rumprobieren." Soweit die frühesten Erinnerungen. Richtig ernst wurde es dann im Alter von etwa 10, mit den ersten Wettbewerben. "Da habe ich dann gemerkt, dass man vielleicht nicht nur vor dem Konzert üben sollte", schmunzelt Kobekina.
Wie wird man eigentlich ein Klassikstar? Und welche Rolle spielen dabei das Label, die Agentur, die eigenen Erwartungen und der Druck des Marktes? Begleiten Sie die Cellistin Anastasia Kobekina auf ihrem aufregenden Weg vom ersten Solo-Album bis zu den BBC Proms in London. Die vierteilige Doku-Serie gibt es ab sofort in der ARD Mediathek.
Wohin sie das Üben dann gebracht hat, das erfährt man dann unter anderem in der aktuellen Doku-Serie über sie. "Jetzt oder nie" heißt die vierteilige Produktion, die in Kooperation mit dem WDR, dem SWR und dem BR entstanden ist. Dafür wurde Kobekina eineinhalb Jahre von einem Kamerateam begleitet: "Am Anfang war ich sehr aufgeregt, aber schon nach dem dritten Mal wurde es entspannter", sagt sie lächelnd, und kommt dann laut ins Lachen, wenn sie über Szenen spricht, die es nicht in den Final-Cut geschafft haben. "Plätzchenbacken mit meiner Freundin, keine gute Idee, das beim ersten Mal gleich vor Kamera zu probieren." Statt Lämmchen wurden es eher "Tiere von einem anderen Planeten", wie sie zugibt, aber geschmeckt hätten sie trotzdem. Ihr Anliegen bei der Doku sei es gewesen, Situationen nicht nachzustellen, sondern so einzufangen, wie sie spontan sich ereignen. Daher ist diese Doku nicht nur eine schöne Erfolgsstory einer hochbegabten Cellistin, sondern zeigt auch vor allem die oft ausgeblendeten Facetten einer Profi-Laufbahn und dem PR-Irrsinn dahinter.
Nach Anfangsjahren am Moskauer Konservatorium kommt sie mit Stipendium an die Kronberg Academy in den Taunus, wo sie drei Jahre bis 2015 bleibt. Zur selben Zeit mischt sie erstmals beim legendären Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau mit, wohin sie 2019 erneut reist, um mit einem 3. Preis zurückzukehren in ihre Wahlheimat Deutschland. Mittlerweile ist das Verhältnis zu ihrer alten Heimat Russland stark getrübt, der Angriffskrieg auf die Ukraine überschattet vieles in Kobekinas Alltag. "Ich bin zerstört, entsetzt und wütend über das, was schon seit fast drei Jahren passiert", sagt sie mit bebender, aber sehr dünner Stimme, "ich fühle mich so hilflos." Sie sei immer in Kontakt mit ukrainischen Freunden, könne es nach wie vor jeden Tag nicht fassen, was vor sich gehe, so die Cellistin weiter. In derart sprachlosen Momenten helfe dann die Musik, denn "die kann spiegeln, was man im Innern empfindet und helfen, wo Worte hilflos sind."
Ein Teil ihrer "inneren Empfindungen" ist in das Debüt-Album bei Sony geflossen: "Venice" heißt es schlicht, als Verbeugung vor der berühmten Lagunen-Stadt, mit einer Reise quer durch die Epochen, von der Renaissance ins Heute, von Monteverdi zu Radiohead. Kein Wunder, dass das historische Klagelied, das "Lamento" den roten Faden bildet und in die Kriegs-Gegenwart reicht: eines ihrer Lieblings-Stücke, das sie auch immer wieder im Konzert spielt, ist die "Abendserenade" des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov, ein tief nach innen gekehrtes Tasten und Streicheln, ein Wähnen und Hoffen, das Gefühle transportiert und auslöst, für die Cellistin ein Grundpfeiler jeder guten Musik.
Anastasia Kobekina bei der Verleihung der Opus Klassik Awards am 13 Oktober 2024 im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin. | Bildquelle: picture alliance / ABBfoto Seit einigen Jahren nimmt Kobekina auch Unterricht bei einer Koryphäe der "Alten Musik", Kristin von der Goltz. Das Repertoire und das entsprechende Musizieren auf Darmsaiten sei "ein neues Atmen, ein neues Abenteuer" für sie gewesen, sagt Kobekina schwärmend. "Im Barock lag in der Dissonanz ein ganzes Drama – das hat mir auch viel geholfen für das Verständnis von Schostakowitsch etwa. Ich habe die Akkorde und Töne wieder ganz neu gehört", so die Cellistin, die sich auch hin und wieder an einer Viola da Gamba probiert, der historischen Kniegeige. Auch andere Verwandte des modernen Cellos probiert sie munter aus, mittlerweile ist ihre private Sammlung auf 7 Instrumente angewachsen. Ihr Hauptinstrument ist auch ein historisches Cello, ein sehr berühmtes dazu: ein Stradivari aus dem Jahr 1717, eine Leihgabe, in die sich Kobekina aber sofort verliebt habe: "Nach nur 3 Tagen habe ich ein Konzert gespielt, es war unglaublich, was für Emotionen in dem Cello stecken." Die alle im Detail kennenzulernen, sie mit sich selbst zu vereinen, das sei jetzt Aufgabe für die Zukunft. Und die scheint ähnlich, wie die Periode des legendären italienischen Instrumentenbauers von damals: golden.
Sendung: "Meine Musik" am 1. Februar 2025 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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