Fast 20 Jahre ist es her, da sorgte der Popsänger Sting in der Klassik-Welt für Aufsehen, weil er ein ganzes Album mit Liedern des Renaissance-Komponisten John Dowland herausbrachte. Nun ist Sting wieder auf einem Album mit Alter Musik zu hören: Er steuert einen Song bei auf der neuen CD des französischen Originalklang-Ensembles "Thélème". Das ist für seine unkonventionellen Programme bekannt und kombiniert diesmal John Dowland mit dem Avantgarde-Komponisten John Cage. Von dem stammt auch der Titel des Albums: "All we get is life".
Bildquelle: Aparte
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Wenn die Tage kürzer werden und das Licht trüber, wenn der Wind eisig wirkt und der Regen an die Scheibe klopft, wenn man den Blick lieber nach innen richtet als nach außen – dann ist dieses Album genau das richtige. Eine Stimme, unaufdringlich und doch präsent, verletzlich und doch in sich ruhend. Dann gesellt sich eine zweite Männerstimme hinzu, und eine sanfte Laute, alles so dicht aufgenommen, dass man den Sängern an den Lippen hängt und den Fingern beim Zupfen der Saiten zuzusehen glaubt. Dazu später noch, ganz dezent, ein paar elektronische Farbtupfer. Mehr braucht es nicht, um die Aufmerksamkeit über eine Stunde hinweg zu fesseln. Um uns hineinzuziehen in einen Kosmos aus Intimität und Intensität.
Der Bassist Jean-Christophe Groffe und sein Ensemble thélème haben sich mit unkonventionellen, aber geschmackvollen Alte-Musik-Programmen einen Namen gemacht. Auf ihrem letzten Album hatten sie den Renaissance-Komponisten Josquin Desprez mit Synthesizer und Fender Rhodes interpretiert, was überraschend gut funktionierte. Nun bringen sie das "Second Book of Songs" von John Dowland mit den "Song Books" von John Cage zusammen. Vier Jahrhunderte trennen die beiden Johns – trotzdem passen sie hervorragend zusammen. Beide reduzieren ihre Musik auf das Wesentliche, auf das Wechselspiel von Ton und Stille. Beide paaren Melancholie mit Witz, Nachdenklichkeit mit vibrierender Vitalität.
So selbstverständlich wirkt der Dialog zwischen Alt und Neu, dass es einen irgendwann gar nicht mehr wundert, Musik von Cage auf der Renaissancelaute zu hören statt auf dem Präparierten Klavier. Und dass es auch ganz organisch erscheint, wenn am Ende des Albums zu einer gedankenversunkenen Lautenmelodie plötzlich Sting hinzutritt und eine feine Kammermusik-Version seines Songs "Shape of My Heart" beisteuert. Mit "All we get is life" liefert thélème den perfekten Soundtrack für die stille Zeit. Also: Tee aufkochen, Kerze anzünden und dieses wunderbare Album genießen.
All we get is life
Musik von Dowland, Cage und Sting.
Thélème: Jean-Christophe Groffe
Sting
Label: Aparte
Sendung: "Piazza" am 28. Dezember 2024 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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