Zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren spielen die Münchner Philharmoniker unter anderem Góreckis "Symphonie der Klagelieder". Ein emotionaler Moment für den polnischen Dirigenten Krzysztof Urbański.
Bildquelle: Sabrina Ceballos
BR-KLASSIK: Herr Urbański, Ihr Konzert mit den Münchner Philharmonikern findet im Vorfeld des Gedenktags zum Ende des Zweiten Weltkriegs statt. Wie geht es Ihnen als Pole bei diesem ungewöhnlichen polnischen Programm?
Krzysztof Urbański: Dieses Programm ist besonders schwierig und emotional für alle auf der Bühne, besonders die Symphonie von Henryk Górecki, die sogenannte "Symphonie der Klagelieder". Es gibt nicht viele Noten, aber der emotionale Inhalt ist enorm. Ich denke, man kann gerade hier hören, dass Trauer wirklich universell ist. Die drei Sätze erzählen drei verschiedene Geschichten aus unterschiedlichen Zeiten. Trotzdem treffen Sie auf jede Zeit und jede Situation in der Welt zu.
BR-KLASSIK: Die “Symphonie der Klagelieder” ist für Sopran und Orchester komponiert. Worum geht es in den gesungenen Texten?
Krzysztof Urbański: Der erste Text stammt aus dem 15. Jahrhundert. Maria weint vor dem Kreuz und sendet Jesus letzte Abschiedsworte. Den Text des zweiten Satzes fand Górecki in einem Gestapo-Gefängnis in Polen. Ein 18-jähriges Mädchen wurde entführt, eingesperrt und von der Gestapo zum Tod verurteilt. In ihrer Zelle schrieb sie dieses Gedicht, sie ritzte es tatsächlich mit ihren Fingernägeln in die Wand. Diese Zeilen sind besonders bewegend, weil sie schreibt: "Mama, weine nicht." Der dritte Satz ist schließlich ein Volkslied aus dem 19. Jahrhundert, in dem eine bäuerliche Mutter in Wahnsinn umherwandert und versucht, den Körper ihres geliebten Sohnes zu finden, der während der polnischen Aufstände verschwunden ist. Drei verschiedene Frauen, getrennt durch Hintergrund, Raum und Zeit, aber vereint in universeller Trauer durch die größte Tragödie: einen geliebten Menschen zu verlieren.
Wir haben alle geweint, auch ich beim Dirigieren.
BR-KLASSIK: Schon wenn Sie das nur erzählen, ist es sehr bewegend. Kann man das Stück überhaupt proben und aufführen, ohne von der emotionalen Wucht überwältigt zu werden?
Krzysztof Urbański: Wir haben diese Symphonie zusammen mit unserem wunderbaren Trio von Sängerinnen und einem Sänger letzte Woche mit dem Sinfonieorchester Bern aufgeführt. Dies war das erste von mehreren Projekten, die wir zusammen mit der Dritten Symphonie von Górecki machen. Und ich stimme Ihnen absolut zu: Ich hatte auch nicht erwartet, dass es so eine intensive Erfahrung wird. Wir haben alle geweint, auch ich beim Dirigieren. Darum haben wir beschlossen, hier in München das Publikum zu bitten, am Ende des Konzerts nicht zu applaudieren, in Stille zu gehen. Weil diese Musik so viel Leere hinterlässt, dass es einfach unmöglich ist, zurück auf die Bühne zu kommen. Nach den Konzerten letzte Woche konnte ich nicht einschlafen, weil ich noch so voller Emotionen war. Das ist die größte Herausforderung dieser Musik.
Mittwoch, 30. April 2025, 19:30 Uhr
Isarphilharmonie, München
Als Vorbote zum Gedenken an den 80. Jahrestag des Kriegsendes erklingen in diesem Konzertprogramm als Verneigung vor der Geschichte und Kultur unseres östlichen Nachbarlandes ausschließlich Werke polnischer Komponisten.
Wojciech Kilar: "Krzesany«, symphonische Dichtung
Frédéric Chopin: "Grande fantaisie sur des airs polonais« für Klavier und Orchester A-Dur op. 13
Frédéric Chopin: "Krakowiak", Konzertrondo für Klavier und Orchester F-Dur op. 14
Henryk Mikołaj Górecki: Symphonie Nr. 3 für Sopran und Orchester op. 36 "Symphonie der Klagelieder"
Dirigent: Krzysztof Urbański
Klavier: Jan Lisiecki
Countertenor: Michał Sławecki
Sopran: Edyta Krzemień
Sopran: Anna Federowicz
Münchner Philharmoniker
BR-KLASSIK: Steckt nicht auch Hoffnung in Góreckis Symphonie?
Krysztof Urbanski dirigiert die Münchner Philharmoniker. Auf dem Porgramm stehen ausschließlich Werke polnischer Komponisten. | Bildquelle: Marco Borggreve
Krzysztof Urbański: Der Text des dritten Satzes gibt Ihnen die Antwort darauf. Denn am Anfang drückt die bäuerliche Mutter ihre Wut aus. Sie sagt: "Ihr bösen Menschen, warum habt ihr meinen geliebten Sohn getötet?" Aber dann geht sie in ihren Träumen in die Erinnerungen an die Zeiten zurück, als der Sohn jung war, in ihren Armen, und sie ihm ein Wiegenlied sang. Das geschieht nur in ihrer Vorstellung. Und Górecki hat es wunderschön dargestellt, indem er die Stimmung des Satzes von sehr traurigen Moll-Akkorden zu A-Dur wechselt. Und dieses A-Dur klingt wirklich wie eine Himmels-Erleuchtung, es bringt tatsächlich einen Moment des Trosts. Danach kommt zwar wieder die Trauer zurück. Aber glücklicherweise endet die Symphonie in A-Dur. Und ich glaube, Górecki hat versucht zu zeigen, dass in so einer Ausnahmesituation alle Emotionen, zu denen Menschen fähig sind, gemeinsam wirken.
Polen wird immer meine Heimat sein.
BR-KLASSIK: Sie stammen aus Polen, sind aber viel international unterwegs. Was ist Heimat für Sie?
Krzysztof Urbański: Ich bin in Polen geboren und dort aufgewachsen. Meine Frau ist auch Polin. Tief in meinem Herzen wird Polen also immer meine Heimat sein, auch wenn wir derzeit in Italien leben und hauptsächlich im Ausland arbeiten. Während der 15 Jahre meiner bisherigen Karriere haben wir Polen wirklich vermisst. Deshalb bin ich so glücklich, dass wir endlich auch beruflich und künstlerisch zurückkehren können. Denn ich habe kürzlich als Künstlerischer Leiter des Polnischen Nationalorchesters, der Warschauer Philharmonie, angefangen. Es fühlt sich gut an, wieder zu Hause zu sein!
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Gorecki - Symphony No. 3 - Movement 1. Lento - sostenuto tranquillo ma cantabile. Op. 36 (1976) [HQ]
Sendung: "Allegro" am 30. April 2025 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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