Der tschechische Dirigent Jakub Hrůša startet in seine erste Saison als neuer Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. Das bedeutet jede Menge Tradition: von Mahler über böhmischen Klang bis zu fränkischem Bier. BR-KLASSIK hat darüber mit ihm gesprochen.
Bildquelle: Prager Philharmonia
BR-KLASSIK: Jakub Hrůša, Sie stammen aus Brünn, einer Stadt der Kreativität: Schikaneder, Dvořák, Smetana, Janáček, Jiří Bělohlávek, Mies van der Rohe, ... unzählige Künstler aller Genres sind mit dem Namen dieser Stadt verbunden. Woher kommt dieser kreative Geist, der durch Ihre Heimatstadt zu wehen scheint?
Jakub Hrůša: Da gibt es wohl mehr als eine Antwort. Eine ist sicherlich, dass Brünn immer ein Ort war, der sehr gerungen hat um seine kulturelle und politische Identität. Auch ist diese Stadt nach wie vor eine Kreuzung zwischen Böhmen, Österreich, Ungarn und der Slowakei. Brünn liegt in einer Region, in der viele volksmusikalische Traditionen noch immer sehr lebendig sind - Traditionen, die besonders wichtig und prägend waren für Janáček, aber auch für Dvořák. Und natürlich ist die Stadt ein kulturelles Zentrum mit Universitäten, Museen, vielen Galerien und so weiter. Dies schafft für die Menschen eine besondere Atmosphäre, in der Kultur wichtiger ist als in einer sehr großen Stadt. Brünn war immer viel mehr als Prag zweisprachig - tschechisch und deutsch, wobei die deutschsprachigen Teile sogar zeitweise in der Mehrzahl waren. Und diese "Kreuzungslage", wo interessante und ganz unterschiedliche Dinge irgendwo in der Mitte zusammenkommen, bringt immer etwas Gutes. Und das führt uns natürlich nach Bamberg.
Ich habe niemals allzu nationalistisch gedacht.
BR-KLASSIK: Zu Ihrem Einstand als Chefdirigent wird terminlich passgenau eine erste CD mit Ihnen und den Bamberger Symphonikern erscheinen, in Co-Produktion mit BR-KLASSIK. Und welches Werk hätte sich für diese Debüt-CD besser geeignet, als Bedřich Smetanas Symphonische Dichtungen "Má Vlast" - "Mein Vaterland"? Was bedeutet Ihnen Ihr Vaterland? Sie wohnen ja nach wie vor in Prag.
Jakub Hrůša: Im Allgemeinen versuche ich immer, einfach einen wahren Ausdruck für meine Gefühle gegenüber meinem Land zu finden. Ich habe niemals allzu nationalistisch gedacht - irgendwie genieße ich es, um die ganze Welt zu fahren. Aber der eigentliche Anziehungspunkt ist meine Heimat, mein Vaterland. Wenn ich in Amerika, in Japan oder in Australien bin, fühle ich immer, dass Deutschland, Österreich, Böhmen, Mähren, Ungarn, dass diese ganze mitteleuropäische Region genau der Ort ist, wo ich mich zu Hause fühle. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe neben dem Musikalischen, warum Bedřich Smetanas "Má Vlast" in all diesen Ländern, die ich erwähnt habe, zu Hause ist und nicht nur in der Tschechischen Republik allein.
BR-KLASSIK: Ihre Karriere verlief von Anfang an sehr glücklich und zielstrebig. Wann hat sich denn in Ihnen zum ersten Mal der Wusch geregt, Dirigent zu werden?
Die Bamberger Symphoniker | Bildquelle: Peter Eberts Jakub Hrůša: Da gab es mehrere Stadien. Zunächst war da ein kleiner Traum, als ich ein Kind von sieben, acht Jahren war. Allzu lang hat er nicht gedauert. Mir hat einfach gefallen, wie ein Dirigent seine Arme und Hände bewegt. Ich denke, viele Kinder, die das erste Mal einen Dirigenten bei der Arbeit sehen, fühlen diese Art von Faszination. Ernsthafter wurde es dann schon als ich 14, 15 wurde. Es war in der Zeit, als ich ans Gymnasium ging und mir ernsthaft überlegte, welchen Beruf ich wählen sollte. Da ich mich eigentlich immer schon mit Musik beschäftigt hatte, erkannte ich schließlich, dass Musik ein zentraler Teil meines Lebens sein sollte. Ab da begann ich, mich wirklich ernsthaft mit Musik zu beschäftigen.
BR-KLASSIK: Ihr Lehrer und Mentor ist Jiří Bělohlávek. Was verdanken Sie ihm, was hat er Ihnen mit auf Ihren Weg gegeben?
Jakub Hrůša: Jiři Bělohlávek war ein Dirigent, den ich schon persönlich kennengelernt habe, als ich noch ein Teenager war. Mir war sofort klar, dass dieser Künstler viel mehr zu bieten hatte, als irgendjemand anderes in jener Zeit. Und das Tollste war, dass er an der Kunstakademie lehrte als Professor. Irgendwie verkörperte er die Verwirklichung meiner Wünsche. Später wurde ich sein Student, und ich kann mir bis heute keinen besseren Lehrer vorstellen. Er widmete sich uns so intensiv. Zwar hatte er nicht so viele Studenten, aber die wenigen mochte er wirklich, schenkte ihnen viel Zeit. Er nahm uns zu Proben und Aufnahmen mit und zu schönen Abendessen, und wir haben die ganze Zeit über Musik gesprochen.
BR-KLASSIK: Gustav Mahler war einer der ganz zentralen Komponisten in der Ära Ihres Vorgängers Jonathan Nott bei den Bamberger Symphonikern. Nun eröffnen Sie Ihre Chefdirigentenzeit in Bamberg unter anderem mit Mahlers Erster Symphonie. Welche Bedeutung wird das Schaffen Gustav Mahlers in Ihrer Amtszeit spielen?
Jakub Hrůša | Bildquelle: BR/Andreas Herzau Jakub Hrůša: Gustav Mahler ist zuallererst eine ganz wichtige musikalische Erscheinung für mich. Und auch wenn Jonathan Nott und alle meine Vorgänger in Bamberg noch zehn Mal mehr Mahler dirigiert hätten, wäre ich sehr traurig, wenn ich mit diesem Komponisten nicht in Berührung bleiben könnte. Ich denke, Gustav Mahler ist ein Beispiel für dieses Zusammentreffen von Kulturen, über das wir im Zusammenhang mit Brünn gesprochen haben. Er war ein jüdischer, deutschsprachiger Böhme, sozusagen. Ich denke auch, dass im Werk Gustav Mahlers das Komponieren für Orchester einen Höhepunkt erreicht hat. Dieser Höhepunkt betrifft gleichermaßen die Technik wie die geistige, emotionale Aussage. Wenn man Musik von Gustav Mahler interpretiert, bietet dies die einzigartige Gelegenheit, einem Orchester ganz nahe zu kommen. Und den Bamberger Symphonikern sogar noch näher, weil sie über so eine große Tradition in Sachen Mahler verfügen. Diese Tradition wollen wir gemeinsam fortsetzen.
BR-KLASSIK: Auf der Homepage der Bamberger Symphoniker findet sich in Ihrer Vita ein Zitat von Ihnen, in dem es heißt: "Mit den Bamberger Symphonikern kann jedes noch so kleine musikalische Detail zu einem Wunder werden, und jedes Konzert verwandelt den, der es hört." Das ist eine sehr tief empfundene Liebeserklärung an Ihr neues Orchester. Was ist für Sie das Besondere an diesem Klangkörper?
Jakub Hrůša: Heutzutage scheint sich die Öffentlichkeit vor allem für die äußeren Aspekte von Kunst, von Musik zu interessieren. Vorab für die Haltung eines Künstlers, für seine Gesten, seine körperliche Erscheinung, seine Körpersprache. Wie führt der Künstler das Publikum optisch durch ein Stück? Das sind "Makro-Aspekte" von Musik. Und diese sind nur mehr oder weniger wichtig. Die Körpersprache des Künstlers ist nicht so entscheidend - bedeutend ist, wie er die große Architektur des Stücks herausarbeitet. Aber irgendwie denke ich, dass wir alle, die wir uns auf diese oder eine andere Weise der Musik verschrieben haben, dies vor allem aus einer Liebe zu Details taten. Und die Bamberger Symphoniker sind ein Orchester, das wirklich offen und aufmerksam gegenüber Details ist - für Phrasierung, Atmung, Farbgebung, Artikulation, Stilistik. Man merkt, wie dieses Orchester wirklich ein offenes Ohr dafür hat, was man als Dirigent bis ins kleinste Detail herausarbeiten möchte. Das ist es, was ich an diesem Orchester so sehr liebe.
BR-KLASSIK: Sie sind 35 Jahre jung, führen aber ein in der Branche übliches, sehr durchgetaktetes Leben mit vielen Terminen an den unterschiedlichsten Orten der Welt. Zugleich habe ich in einem Interview von Ihnen gelesen, lieben Sie es überhaupt nicht, von einem Ort zum anderen zu hetzen, sondern sehen Ihre Arbeit viel mehr darin, lange genug an einem Ort bleiben zu können, um Teil des Teams zu werden. Wie versuchen Sie, diesen Spagat dennoch zu schaffen?
Konzerthalle Bamberg | Bildquelle: picture-alliance/dpa Jakub Hrůša: Zunächst einmal ist eine Voraussetzung, um bei dieser schwierigen Aufgabe erfolgreich zu sein, dass man eine längere Verbindung zu einem Orchester hat, das von höchster internationaler Qualität ist. Denn nur wenn man mit einem Orchester länger als nur eine Woche oder ein Jahr zusammenarbeitet, kann man diesen Tiefgang der Musik oder seiner ganzen künstlerischen Tätigkeit erreichen. Die andere ist, dass man sich mit einem Orchester im Gefühl für Musik wirklich auf derselben Wellenlänge befindet. Weil dies mit den Bamberger Symphonikern der Fall ist, bin ich mehr als glücklich, meine hektische internationale Tätigkeit ein bisschen zu bremsen und nur das zu tun, was wirklich wichtig ist. Ich bin dazu bereit, viel Zeit in die Bamberger Symphoniker zu investieren. Trotzdem werde ich weiter viel um die Welt reisen - aber eben auch mit den Bambergern.
BR-KLASSIK: "Aufbruch" – so lautet auch das Motto Ihrer ersten Saison als Chefdirigent der Bamberger Symphoniker. Jakub Hrůša, in welche Richtung brechen Sie auf?
Jakub Hrůša: Es ist schwer das in Worte zu fassen. Ich denke, wir sind in einer Art Wunderland, in dem die ganze, reiche, vielfältige Tradition der Bamberger Symphoniker vital und lebendig ist. Das soll so bleiben, ergänzt um meine Handschrift als neuer Chefdirigent. Ich strebe wirklich nach einem idealen Gleichgewicht zwischen der Erhaltung der Tradition und Identität der Bamberger Symphoniker und einem kühnen, frischen Musikmachen, verbunden mit meiner Person. Auch wenn es ziemlich allgemein klingt - mein Motto lautet: das Alte zu bewahren und nichts vom Guten zu verlieren, zugleich neue Qualitäten zu kultivieren und neue Horizonte zu eröffnen.
Die erste Wahl nach einem Konzert ist natürlich ein Bier.
BR-KLASSIK: Kommen wir noch einmal auf Brünn und auf Prag zu sprechen: In der ersten Stadt sind Sie geboren, in der zweiten haben Sie studiert und leben Sie. Brünn ist bei Wein-Liebhabern bekannt durch seinen hervorragenden frischen Grünen Veltliner. Prag ist eine Stadt des Bieres. Das hat Prag mit Ihrer neuen künstlerischen Heimat Bamberg gemeinsam. Bamberg, Oberfranken ist Bierfranken. Wo schlägt Ihr Herz höher? Beim Wein oder beim Bier?
Jakub Hrůša: Ich denke, die erste Wahl nach einem Konzert ist natürlich ein Bier. In dieser Hinsicht gehöre ich tatsächlich zu diesem tschechischen Musikantentum, das nicht ohne ein Bier nach einer Aufführung leben kann. Aber wenn mein Durst gestillt ist, bin ich dazu bereit, nicht die Quantität eines Getränks zu schätzen, sondern seine Qualität in kleiner Quantität. Und dann gehe ich zum Wein über.
Das Gespräch führte Ursula Adamski-Störmer
Übersetzung aus dem Englischen: Klaus Meyer
Antrittskonzert bei den Bamberger Symphonikern
Freitag, 30. September, 19.30 Uhr
Meine Musik
Samstag, 01. Oktober, 11.05 Uhr