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Albrecht Mayer: "Bach Generations" Bachs unbekannte Verwandtschaft auf CD

Wenn Oboist Albrecht Mayer eine CD plant, dann beginnt seine Arbeit mit einer tiefgreifenden Recherche. Für sein neues Album "Bach Generations" ging es dabei um die Familie Bach. Die hat noch Einiges an unbekannter Musik zu bieten.

Albrecht Mayer steht in weißem Anzug und mit seiner Oboe vor einem verschommenen orange-farbenen Baum. | Bildquelle: © Matt Dine

Bildquelle: © Matt Dine

BR-KLASSIK: Albrecht Mayer, wieviel Sherlock Holmes-Tätigkeit steckt in Ihrem neuen Album "Bach Generations"?

Albrecht Mayer: Jeder, der meine Alben kennt, weiß, dass ich mindestens zwei Jahre bevor das Baby zur Welt kommt, recherchiere, wie und auf welche Art und Weise es zur Welt kommen sollte. Also es steckt sehr, sehr viel Recherche dahinter. Ich habe natürlich einen wunderbaren Mitstreiter an meiner Seite mit Michael Maul (Anmerk. d. Red.: Leipziger Musikwissenschaftler). Jemand, der sich mit Bachs Zeit und seinen Kompositionen, seinem Oeuvre mehr auskennt als jeder andere auf diesem Planeten. Und die Hauptzeit habe ich mit der Recherche zu den Werken von Carl Philipp Emanuel und Johann Christoph Friedrich Bach zugebracht. Die beiden Söhne von Johann Sebastian Bach, die aus zwei unterschiedlichen Generationen stammen.

BR-KLASSIK: Nehmen Sie uns mal mit, wie genau läuft das ab: Sie finden ein Konzert, finden es ganz toll, aber es ist leider nicht für Oboe komponiert. Was ist Ihr nächster Schritt?

Albrecht Mayer lehnt mit seiner Oboe lässig an einem dicken Baumstamm, die geschlossenen Augen in Richtung Abendsonne.  | Bildquelle: © Matt Dine Oboist Albrecht Mayer | Bildquelle: © Matt Dine Albrecht Mayer: Ich muss natürlich ausholen. Es gibt ja mindestens zwei Originalwerke von Carl Philipp Emanuel Bach für Oboe und Orchester. Und wenn die mir so gefallen hätten, hätte ich die auch aufs Album genommen. Aber tatsächlich ist es so, dass Philipp Emanuel Bach ja über 50 Werke für ein Tasteninstrument und Orchester geschrieben hat, wahrscheinlich für Fortepiano, nicht für Cembalo. Und die werden so selten gespielt, dass ich mir dachte, lass mich doch mal in dieses Oeuvre von Carl Philipp Emanuel Bach reinschauen. Vielleicht finden wir ein Werk, was er noch nicht für Flöte, noch nicht für Oboe oder noch nicht fürs Cello bearbeitet hat – was er selber ja auch gerne getan hat.

Die Oboe als geschmeidiges Konzertinstrument

BR-KLASSIK: Und das ist das, was wir jetzt auf der neuen Platte bekommen?

Albrecht Mayer: Ganz genau. Frei nach dem Motto "Das Bessere ist der Feind des Guten" habe ich so lange gesucht bis ich dachte: Das ist so dramatisch oder so elegant oder so wunderschön empfindsam, das muss ich mit aufs Album nehmen. Und dann haben wir geschaut: Passt das überhaupt? Kann man aus diesem Konzert für ein Tasteninstrument ein Oboenkonzert machen? Da ist das Gute, dass es viele Analogien gibt. Carl Philipp Emanuel Bach hat ja selber seine Cembalokonzerte oder seine Fortepianokonzerte für Flöte, für Cello und für Oboe bearbeitet. Insofern musste man nur den umgekehrten Weg gehen.

Singen und die Menschen wirklich berühren – das kann die Oboe vielleicht besser als die meisten anderen Instrumente.
Albrecht Mayer

BR-KLASSIK: Also hören wir auf dieser Einspielung ein Konzert, das eigentlich für ein Tasteninstrument geschrieben wurde, mit Oboe. Was macht denn die Oboe so geschmeidig? Ist sie vielleicht sogar insgeheim ein Chamäleon, das sich so perfekt an alles anpassen kann?

Albrecht Mayer: Ich sage immer, ein bisschen mit einem zugedrückten Auge: Natürlich gibt es sehr viele Instrumente – gerade die Geige, die Klarinette oder das Klavier – die sehr viel mehr können als die Oboe. Sie können schneller spielen, manchmal lauter spielen, manchmal leiser. Aber singen und die Menschen wirklich berühren, ihr Herz zum Schwingen bringen, da sind wir Oboisten, würde ich sagen, ganz vorne dran. Das kann die Oboe vielleicht besser als die meisten anderen Instrumente.

Der "Bückeburger" Bach: Johann Christoph Friedrich Bach

BR-KLASSIK: Ich war ein bisschen überrascht über ein Mitglied der Bach-Familie auf ihrem Album: Johann Christoph Friedrich Bach. Der mir noch nie begegnet.

Johann Sebastian Bach im Kreise seiner Familie' (Bach mit seiner Familie bei der Morgenandacht). Lichtdruck, spaetere Kolorierung, nach dem Gemaelde, 1870, von Toby Edward Rosenthal (1848-1917), ehemals im Museum zu Leipzig | Bildquelle: picture-alliance / akg-images | akg-images J.S.Bach im Kreise der Familie | Bildquelle: picture-alliance / akg-images | akg-images Albrecht Mayer: Das ist der sogenannte "Bückeburger" Bach. Dadurch, dass er 18 Jahre jünger war als Carl Philipp Emanuel Bach, bedient er einen ganz anderen Stil. Carl Philipp Emanuel Bach ist ja schon relativ bekannt geworden durch seinen galanten oder empfindsamen Stil. Und bei Johann Christoph Friedrich Bach ist mehr Sturm und Drang mit der Tendenz zur Klassik. Also man hört schon ein bisschen klassische Elemente heraus, aber sehr viel Sturm und Drang, sehr viel Virtuosität, sehr viel Verrücktheit. Man kennt aber trotzdem nichts davon.

BR-KLASSIK: Wo haben Sie denn den "Bückeburger" Bach ausgegraben?

Albrecht Mayer: Tatsächlich durch Michael Maul, diesen fantastischen Kollegen und Freund von mir aus Leipzig. Und durch meinen Cembalisten Julian Vital Frey aus der Schweiz, der gerade dieses Konzert von Johann Christoph Friedrich Bach gespielt hat und gesagt hat: Guck dir das mal an. Und dann habe ich mir das Konzert angeschaut und habe gedacht: Das ist wirklich fantastische Musik!

Albrecht Mayer als Sprachrohr der Komponisten

BR-KLASSIK: Wird man vielleicht neidisch untereinander oder ist es völlig okay, wenn man sich da adaptiert?

Albrecht Mayer: Das ist eine super Frage. Vielleicht ist man ein bisschen neidisch. Aber natürlich … wie soll ich das jetzt verpacken, um höflich zu bleiben … Also wenn man die Chance bekommen hat vom Schicksal, so wie ich sie bekommen habe, dass ich diese Stücke auf meinem Instrument spielen darf, dann muss man es auch tun. Weil ich tue ja etwas für diese Komposition. Ich tue etwas für die Komponisten, die man eben sonst nicht hören würde und auch gar nicht kennen würde. Tatsächlich ist dieser wahnsinnige Hype um Carl Philipp Emanuel Bach, der in seiner Zeit entstanden ist, schon lange wieder verebbt. Von den über 50 Klavierkonzerten, die er geschrieben hat, werden ja nur ganz wenige überhaupt gespielt. Insofern sehe ich das auch ein bisschen als meine Aufgabe. Ich darf diese Bach-Söhne in die Öffentlichkeit hinaustragen – auch wenn es für die Puristen mit dem vermeintlich falschen Instrument passiert.

INFOS ZUR CD

"Bach Generations"

Mit Werken von Johann Sebastian Bach, Johann Christoph Friedrich Bach, Johann Christoph Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Wilhelm Friedemann Bach und Gottfried Heinrich Stölzel.

Albrecht Mayer
Berliner Barock Solisten

Label: Deutsche Grammophon

Sendung: "Leporello" am 21. August 2023 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

Kommentare (2)

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Donnerstag, 24.August, 14:43 Uhr

Helga Rickken

Außergewöhnlich

Die neue CD von Albrecht Mayer ist wieder grandios. Nicht nur sein unvergleichliches Spiel, nein auch die Werkauswahl zeugt davon, was er für ein Ausnahmemusiker ist.
Danke für das Gespräch mit ihm!

Dienstag, 22.August, 19:30 Uhr

Trappe

Bester Oboist

Hier sind gewiss Superlative bei dem Oboisten Albrecht Mayer angebracht. Für mich gibt es keinen Besseren, eingedenk, dass Leleux gewiss auch sehr gut spielt. Aber diesen ergreifenden und blind herauszuhörenden solistischen Ton hat niemand auf der Welt. Dagegen fallen letztlich alle ab.
Dennoch bin ich kein Freund der Barocksolisten und ihrer Stilistik, die künstlich auf Darmsaiten jene Oberflächlichkeit mitbringen, wie sie eben heute alle sogenannten Barock"spezialisten" haben. Wobei der Unterschied ist, dass die Mitglieder der Berliner Philharmoniker ja alle an sich wirklich spielen können. Die Meisten greifen ja zur Barockschiene, um eben eine Nische mangels technischer Entwicklung zu finden, in der sie mittun können. Und Berühren tut diese Art der Hängemattenmusik leider nicht. Und wenn Musik eines sollte, ist es doch zu berühren.

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