Schon vor längerem hat sich Anne-Sophie Mutter als Filmmusikfan geoutet. Sie verehrt vor allem John Williams, mit dem sie eng zusammenarbeitet. Der schreibt aber auch absolute Musik und hat für die Stargeigerin ein eigenes Violinkonzert komponiert. Darin finden sich viele Anklänge an den Jazz.
Bildquelle: Hilary Scott / Deutsche Grammophon
BR-KLASSIK: Anne-Sophie Mutter, heute erscheint Ihre neue CD mit Musik von John Williams. Sie hatten ihn gebeten, für Sie ein Violinkonzert zu schreiben. Und er hat es getan. Ist man da als Interpretin dem Komponisten komplett ausgeliefert oder hatten Sie Mitspracherecht?
Anne-Sophie Mutter: Man ist dem Komponisten immer ausgeliefert. Das bin ich bei Mozart und Beethoven auch. Da ist es noch schlimmer.
BR-KLASSIK: Aber Sie wissen, worauf Sie sich einlassen, wenn Sie "ja" sagen.
Anne-Sophie Mutter: Das ist richtig. Da könnte ich natürlich ein Werk einfach nicht aufführen – ohne in eine Diskussion treten zu müssen. Aber man begibt sich immer in den Gewahrsam eines Komponisten. Man wird quasi zu seinem Instrument. Das ist bei einem lebenden wie auch bei einem toten Komponisten eigentlich der gleiche Vorgang. Nur: Das Positive an der Beziehung zu einem lebenden Komponisten ist das Feedback, auch wenn es ein kritisches ist. Dieser wirklich lebendiger Austausch – in dem Fall zwischen Muse und Schöpfer – ist schon eine enorme Bereicherung. Man weiß, man hat eine Phrase, vielleicht auch das ganze Werk erfasst, und der Komponist begrüßt das. Für ihn ist diese Ansicht wertvoll, auch wenn sie vielleicht von seiner eigenen Meinung divergiert.
BR-KLASSIK: War das tatsächlich so ein Ping Pong zwischen Ihnen und John Williams?
Anne-Sophie Mutter: Ich glaube, viele Komponisten haben beim Schreiben einen Interpreten im Kopf beziehungsweise im Ohr. Nicht alle, aber viele. John Williams beschreibt sein Werk übrigens äußerst ungern, und ich fühle mich auch nicht dazu befähigt, aber ich will versuchen, es seinen Vorgaben folgend zu tun: Das Violinkonzert ist ja auch eine Hommage an den Jazz. John Williams wollte eigentlich Pianist werden. Aber er hatte dann in seiner Jugend den Eindruck, es gebe schon so viele gute Pianisten und es sei leichter, Komponist zu werden. Ich finde es eigentlich schwieriger, aber gut. Nun ist John Williams seit 60, 70 Jahren einer der ganz großen Komponisten.
Im Februar 2022 feierte John Williams seinen 90. Geburtstag. Zu dem Anlass sprach Anne-Sophie Mutter in einem Interview über die erste Begegnung mit seiner Musik, wunderbare Erinnerungen an ein gemeinsames Konzert und welches besondere Kompliment John Williams ihr gemacht hat. BR-KLASSIK widmete dem Komponisten außerdem ein ausführliches Porträt.
Anne-Sophie Mutter und John Williams im Januar 2020 mit den Wiener Philharmonikern | Bildquelle: Deutsche Grammophon John Williams ist aber eben auch ein begnadeter Pianist und Jazzmusiker. Und er weiß auch um meine Liebe für den Jazz, spätestens seit wir "Cinderella Liberty" aufgenommen haben - für das Album "Across The Stars". Das ist das einzige Jazz-Thema, das ich bisher aufgenommen habe. Und ich erinnere mich, wie John Williams nach der Probe zu mir sagte, dass ihn meine Interpretation gerade dieses Werkes sehr überrascht habe. Er vermutete, dass jemand, der im Schwarzwald groß geworden ist – größer kann der Abstand zu New Orleans ja nicht sein –, könnte vielleicht keinen wirklichen zugang zum Jazz haben. Doch letztlich ist aus unserer Liebe zum Jazz die Keimzelle des Violinkonzerts entstanden.
Das Violinkonzert ist eine Hommage an den Jazz.
Es beginnt quasi mit einer ausgeschriebenen Improvisation. Und was die Cluster und die harmonische Entwicklung des Werkes angeht, gibt es sehr viele Referenzen an Claude Thornhill. Der war ein begnadeter Arrangeur, Jazzmusiker und Komponisten in den 40er und 50er Jahren. Also der Jazz ist schon mal so eine Entstehungszelle, eine Inspiration, die das Violinkonzert in eine Sonderstellung hebt.
Dieses Werk hat zwei fantastische Kadenzen. Die eine ist für Harfe, die hier neben der Geige sowieso eine herausragende Solorolle einnimmt, und Schlagzeug. Und John Williams platziert dann beispielsweise auch in dem eher träumerischen zweiten Satz ein Leitmotiv, mit dem das Werk dann auch sehr elegisch endet. Dazwischen kommt aber im dritten Satz, dem Scherzo, dieser sehr sarkastische Walzer. Das ist kein Wiener Walzer, sondern ein sehr grotesk satirischer, dunkler Walzer. Das ganze Werk ist geprägt von einem langen musikalischen Atem, aber unglaublich vielen, ganz unterschiedlichen Stimmungen.
BR-KLASSIK: Und das Violinkonzert ist ja auch aufgeteilt auf vier Sätze, also ganz klassisch im Grunde.
Anne-Sophie Mutter: Es ist absolut klassisch. Auch was die gedankliche Verfolgung des thematischen Materials angeht. Da ist es sehr lang gesponnen und in großen Zusammenhängen gedacht. Es besteht auch nicht aus schnell aneinandergereihten Klangeffekten, sondern es erzählt wirklich eine musikalische Geschichte - ganz im klassischen Stil. Es zeigt eine klare Architektur.
BR-KLASSIK: Trotzdem: Wenn man die Musik von "Star Wars" im Kopf hat, dann ist man total überrascht, dass man hier plötzlich einen doch sehr vielseitigen und avancierten Stil bei John Williams kennenlernt. Wie empfinden Sie das?
Anne-Sophie Mutter und John Williams | Bildquelle: Dario Acosta Anne-Sophie Mutter: Wenn man ganz analytisch ein paar seiner Filmthemen anschaut, beispielsweise Harry Potters "Hedwig" und die Kadenz, die er in der Geigenversion für mich geschrieben hat - das ist reine Zwölftonmusik. Da darf es uns eigentlich nicht überraschen, dass dieser Mann ein begnadeter Komponist ist. Einerseits natürlich im Bereich der Filmmusik. Aber das macht ihn nicht minder hyperintellektuell und wissend, wenn es um die absolute Musik geht. Seine Meisterschaft im Film besteht nicht nur darin, dass er Szenen versteht und umsetzt - mit den Emotionen, die uns die Bilder zeigen. Es ist weit mehr: Wenn ich das Bild ausstelle, dann entsteht plötzlich so etwas wie absolute Musik.
BR-KLASSIK: Gibt es für Sie einen Lieblingssatz?
Anne-Sophie Mutter: Im Violinkonzert? Es geht ja fließend ineinander über. Das wäre, wie wenn Sie einen Menschen lieben und sagen müssten, dass Sie den linken Arm mehr lieben als den rechten Fuß. (lacht) Nein, es ist natürlich der ganze Körper, den man liebt.
BR-KLASSIK: Gut gekontert. Sind denn die drei süffigen Filmmusikausschnitte aus "Star Wars" oder "Indiana Jones", die auch auf der CD drauf sind, so etwas wie der Kontrapunkt zu diesem avanchierten Williams-Stil?
Anne-Sophie Mutter: Das eine bedingt das andere. Und das andere ist Teil der absoluten Musik. Dieses Violinkonzert ist ja kein Erstlingswerk von John Williams. Sein erstes Violinkonzert entstand in Erinnerung an seine früh verstorbene Frau. Das war in den 70er Jahren. Und dann hat er natürlich auch ein fantastisches Cellokonzert für Yo-Yo Ma geschrieben, das kürzlich revidiert wurde und in Teilen wirklich ganz neu ist. John Williams hat für jedes Orchesterinstrument geschrieben. Darüber sehr viel symphonisches Material. Also er ist in beiden Welten zuhause.
Meine Liebe zum Film ist ja nichts Neues.
Nur ist er natürlich für die Filmmusik bekannter, weil es da ein größeres Publikum gibt. Und auch meine Liebe zum Film ist ja nichts Neues. Als meine Kinder kleiner waren, bin ich natürlich mit ihnen ins Kino gegangen. Jetzt sind sie erwachsen und wir gehen immer noch hin. Und meine Tochter arbeitet ja auch in der Film- und Theaterindustrie. Also Filme haben für mich als Mutter genauso eine Bedeutung wie für jede andere 58-jährige Mutter, die mit ihren Kindern "Harry Potter" oder "Star Wars" gesehen hat. Und die Musiken von den meisten bedeutenden Filmen stammen nun mal von John Williams. Deshalb ist es für mich als Mutter, als Frau und auch als Musikerin eine besondere Freude, immer wieder in diese Filmthemen einzutauchen.
Die neue CD von Anne-Sophie Mutter und John Williams erscheint am 3. Juni 2022. | Bildquelle: Deutsche Grammophon Und auf der CD mit dem zweiten Violinkonzert von John Williams ist eben auch das Liebesthema drauf, Marions Thema aus "Indiana Jones". Dann das vielleicht noch etwas bekanntere "Han solo and the Princess" aus "Star Wars". Und ein Thema, das bestimmt fast niemand kennt: "The Long Goodbye". Ich kannte es noch nicht. Das ist ein Film aus den 70er Jahren im Stile von Raymond Chandler. Und wie jedes Lied sich besonders gut für Geige eignet, so ist "The Long Goodbye" auch wieder eine dieser wunderschönen melancholischen Jazz-Nummern, die man lieben muss. Daraus wird sicher eine meiner Lieblingszugaben, wenn ich wieder ein Recital spiele.
BR-KLASSIK: Wie hat denn das Publikum in Tanglewood auf die Uraufführung reagiert?
Anne-Sophie Mutter: John kommt auf die Bühne und muss gar nix tun. Er könnte auch "Hänschen klein" dirigieren - oder eben sein zweites Violinkonzert. Wir lieben und bewundern ihn einfach. Die Emotionen, die Freude, und die Erlebnisse, die wir durch ihn in einer Gemeinschaft erleben durften. Und wir lieben ihn auch, weil er Brücken baut - zwischen den verschiedenen Sprachen der Musik. Er ist ein großartiger Komponist, egal in welchem Stil er schreibt. Und davon gibt und gab es schon immer wenige: Leonard Bernstein etwa oder André Previn. Wir müssen also dankbar sein für vielleicht den letzten Großen, den wir noch haben.
Ich wünsche mir mehr Verschmelzung zwischen Filmmusik und absoluter Musik.
John Williams bringt so viel Freude in den Konzertsaal. Und er lockt auch ein anderes Publikum in den Goldenen Saal des Musikvereines. Wir entwickeln ein anderes Gespür füreinander. Diese Freude an der Musik ist so raumübergreifend. Da landet dann vieles, was aus cineastischer Liebe ins Konzert geht, auch wieder bei der nicht-cineastischen Musik. Ich bin ja ein Fan von beidem. Und deshalb würde ich mir mehr Verschmelzung wünschen. Dann ist die Welt noch schöner.
Am 3. Juni 2022 erscheint die neue CD von Anne-Sophie Mutter mit dem zweiten Violinkonzert von John Williams und ausgewählten Filmmusikthemen. Es spielt das Boston Symphony Orchestra, John Williams dirigiert.
Sendung: "Leporello" am 3. Juni 2022 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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