Die English National Opera gehört zu den Kultureinrichtungen in London, die ihre Finanzierung durch den Arts Council England verlieren. Die Gelder für kulturelle Einrichtungen in der Hauptstadt sind insgesamt stark zusammengestrichen worden, stattdessen werden Bibliotheken, Theater und Festivals in der Provinz stärker bedacht, um Infrastruktur-Unterschiede auszugleichen.
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Die Oper "The Yeomen of the Guard" gilt als die düsterste Oper von Gilbert und Sullivan. Sie hatte vergangene Woche im Coliseum in London Premiere. Vielleicht war das schon eine dunkle Vorahnung für die Nachricht, die das Ensemble der English National Opera, kurz ENO, wenige Tage später traf: Das Arts Council England streicht dem Opernhaus die komplette Förderung von zuletzt 12,6 Millionen Pfund. Das ist ein Drittel der Finanzierungsgrundlage.
Auch andere bekannte Kultur- und Schauspielstätten in London wie das Donmar Warehouse, das Gate Theatre in Notting Hill, das Hampstead Theatre und das Barbican verlieren ihre Finanzierung. Andere wie das National Theatre oder die Serpentine Galleries, trifft der Rotstift mit Kürzungen. Die London Sinfonietta bekommt künftig rund 40 Prozent weniger Geld vom Arts Council.
Wir investieren das Geld woanders, damit man Kultur vor der Haustür erleben kann.
Stattdessen wird künftig mehr Geld in Kultureinrichtungen außerhalb der dominanten Hauptstadt gepumpt. Insgesamt 16 Millionen Pfund steuerfinanzierter Subventionen sollten nach Vorgabe des Kulturministeriums aus London abgezogen werden. Das ist ein Fünftel des Etats, der bisher in die Metropole floss. Nicholas Serota vom Arts Council England, das die Gelder zuteilt, erklärt die Philosophie: "Wir investieren das Geld woanders, damit so viele Menschen wie möglich in ganz England Freude an künstlerischer Kreativität haben können, damit man Kultur vor der Haustür erleben kann."
Insgesamt werden englandweit in den kommenden Jahren 990 Institutionen vom Arts Council gefördert. Zu den Profiteuren gehört etwa die Alphabetisierungs-Stiftung "Grimm & Co." in Rotherham, die Kinder ermutigt, eigene Geschichten zu schreiben. Gefördert wird künftig auch das inklusive Paraorchestra aus Bristol, in dem Profis mit und ohne Behinderung gemeinsam musizieren. Außerdem bekommt das Chineke! Orchestra erstmals vom Arts Council England eine Finanzierung. Das Symphonieorchester besteht zum größten Teil aus Schwarzen und Angehörigen ethnischer Minderheiten.
Ethnische Vielfalt in der klassischen Musik! Das hat sich das Chineke! Orchestra auf die Fahnen geschrieben. Erfahren Sie mehr über dieses außergewöhnliche Ensemble.
Die konservative Regierung hat sich unter dem Begriff "Levelling up" die Stärkung der Infrastruktur in den Regionen auf die Fahne geschrieben. Und das bezieht sich offenbar nicht nur auf den Bau von Straßen, Bahntrassen oder Häusern. Langjährige Beobachter der britischen Kulturszene sprechen von der größten kulturellen Mittelumwälzung, die sie in dieser Hinsicht je erlebt haben und einem schwarzen Tag für London. Kulturkritiker Nicholas Kenyon bezeichnet die Entscheidung in einem "Telegraph"-Artikel gar als "eine Attacke auf die Oper".
Bald nicht mehr im Londoner Coliseum, sondern vermutlich in Manchester: Die English National Opera. | Bildquelle: Grant Smith Viele fragen sich, warum es gerade Einrichtungen wie die moderne English National Opera trifft, die etwa mit Aktivitäten bei TikTok am Puls der Zeit agiert. Die ENO rühmt sich, ein besonders diverses und junges Publikum anzusprechen. Unter 21-Jährige kommen umsonst rein. Während der Corona Lockdowns entwickelte die ENO gemeinsam mit Fachleuten ein Fürsorgeprogramm für kurzatmige Coronaerkrankte, die wieder zu Atem kommen sollten. Ein Vorbild für ein ähnliches Therapieprojekt für Long-Covid-Patienten am Hamburger Universitätsklinikum. Diese Argumente bringt auch der Sänger Bryn Terfel ins Spiel. Er hat eine Online-Petition gestartet, um den Arts Council England bezüglich der ENO-Entscheidung zum Umdenken zu bewegen.
Natürlich ist das hart. Aber große Kultur sollte nicht immer nur in der Hauptstadt spielen.
Stuart Murphy ist der scheidende Geschäftsführer der ENO. Er bemüht sich, die Finanzkürzungen als Chance zu sehen: "Natürlich ist das hart, und ich fühle mit dem Arts Council, das diese Entscheidungen treffen musste", so Murphy. "Aber ich denke, große Kunstinstitutionen müssen dynamisch sein und sich ständig verändern, sich den Bedürfnissen des Publikums anpassen."
Verteilt auf die kommenden drei Jahre, erhält die ENO eine Übergangsfinanzierung in der Höhe von 17 Millionen Pfund, um sich außerhalb von London neu zu erfinden, vermutlich in Manchester. Und das wertet Stuart Murphy auch nicht als einen Untergang: "17 Millionen Pfund sind enorm viel Geld. Die Londoner Kulturblase hält einen Umzug nach Manchester vielleicht für den Abstieg in die Hölle. Aber wir treffen dort auf jede Menge Kultureinrichtungen, die schon toll sind", sagt der ENO-Geschäftsführer. "Ich selbst stamme aus Leeds und finde: Große Kultur sollte nicht immer nur in der Hauptstadt spielen."
Sendung: "Allegro" am 8. November 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK