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Wagner-Festspiele Bayreuth Ring-Regisseur Valentin Schwarz vereint Mythos und Realität

Schon als Neunjähriger hat sich Valentin Schwarz mit Wagners "Ring des Nibelungen" beschäftigt – und das Werk hat ihn seither nicht mehr losgelassen. Für die Bayreuther Festspiele 2022 versetzt der junge Regisseur die monumentale Tetralogie ins Hier und Heute. Und besonders die Figuren des Wontan und der Brünnhilde haben es ihm angetan.

Bildquelle: dpa-Bildfunk/Sebastian Kahnert

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BR-KLASSIK: Der "Ring" ist ein immenses Werk, allein schon von seiner Länge mit diesen vier Teilen, aber natürlich bei all dem, was psychologisch, was philosophisch drinsteckt, derartig dicht und raumgreifend, dass es einfach heraussticht aus dem ganzen Repertoire. Wie hast Du dich genau diesem Opus Magnum, diesem Opus Summum genähert? Und: unterscheidet sich diese Annäherungsweise vielleicht auch davon, wie Du Dich einer Oper oder Operette näherst, die beispielsweise eine Spielzeit von drei Stunden hat?

Valentin Schwarz: Absolut. Das ist natürlich ein Mammutwerk, ein Riesending. Und das braucht Vorbereitung über Jahre und Jahrzehnte. Es gibt eine schöne kleine Geschichte über mich, wo ich als Neunjähriger tatsächlich schon in einen Klavierauszug vom "Rheingold" schaue und – ich glaube – eine Aufnahme von Solti mitsinge. Die Beschäftigung mit dem "Ring" hat eigentlich nie aufgehört und hat mich immer begleitet, auch im Studium der Musiktheaterregie. Und der "Ring" ist etwas, woran man als Regisseur nicht vorbeikommt. Da geht es wirklich darum, eine Position und eine Haltung zu finden, vielleicht auch in Widerwillen, aber vielleicht auch in großer Liebe. Und der "Ring" wächst mit einem: Aus einem kleinen Kern, einem Nukleus, entsteht eine erste Idee und drumherum wuchert es dann sozusagen. Oder wie bei einem Baum, der immer mehr Äste und Blätter kriegt, kommen dann die ganzen Details dazu. Es ist eine Welt, die man erfindet.

Am 'Ring' kommt man als Regisseur nicht vorbei.
Valentin Schwarz

BR-KLASSIK: Du hast Deine Liebe zu diesem Stück angesprochen. Aber vielleicht gibt es in so einer Entwicklung ja auch Durststrecken, die man mit dem Stück hat – Momente, wo man hadert, wo man aber auch diese Liebe ganz besonders spürt?

Der Regisseur Valentin Schwarz steht vor dem Festspielhaus. Der «Ring»-Regisseur Schwarz, dessen Inszenierung des «Ring des Nibelungen» schon 2020 Premiere feiern sollte, wegen Corona aber auf 2022 verschoben wurde, wird dieses Jahr bei den Festspielen dabei sein. | Bildquelle: picture alliance/dpa | Daniel Karmann Bildquelle: picture alliance/dpa | Daniel Karmann Valentin Schwarz: Der Ring ist ein Werk der Weltgeschichte, wie andere große Romane des 19. oder 20. Jahrhunderts – ich denke da beispielsweise an James Joyces "Ulisses". Da gilt es, so viele Facetten zu finden, und es gibt so viele Anknüpfungspunkte, an denen man sich orientieren kann oder sich das Interesse entzündet. Und immer wieder sieht man die eine Szene, an der man glaubte, zu scheitern, in der 20 Minuten angeblich nichts passiert. Und so mag es in manchen Inszenierungen vielleicht tatsächlich auch der Fall sein … Gerade da sind dann ungeahnte Perlen. Wagner ist ja ein ungemeiner Psychologe, weit seiner Zeit voraus, man kann sagen, noch vor Freud hat er wirklich verschiedenste Stimmungen in Musik und Töne gesetzt, verschiedenste Gefühlsregungen plastisch herausgearbeitet. Und diesen Gefühlen auf der Bühne nachzuspüren und dem zu vertrauen, was Wagner uns da musikalisch anbietet, das war mir immer wieder ein Vergnügen. Die Durststrecken, die waren dann ganz, ganz kurz.

Der "Ring des Nibelungen" – eine Serie aus vier Episoden

BR-KLASSIK: Es gibt Punkte, an denen sich etwas entzündet, hast Du vorhin so schön gesagt. Was waren denn so Schlüsselstellen und Schlüsselmomente, wo Du das Stück aufgesperrt hast? Was waren so die großen Kernmomente, wo Du an dieses Werk angedockt hast?

Valentin Schwarz: Das waren die Familienstellen, wo man merkt, dass Generationen aufeinandertreffen, wo unterschiedliche Ansichten clashen, aber nicht durch Streit und Gewalt gelöst werden, sondern durch Diskussion, wo Menschen miteinander reden wollen. Und manchmal schweigt der eine dann vielleicht zehn Minuten, und der andere sagt nichts, aber gerade auch durch dieses Aussprechen von innerfamiliären Problemen, von Traumata der Vergangenheit, von Kindheitserinnerungen, die andere wieder einholen, passiert schon der erste Schritt. Der erste Schritt ist bei Wagner ein Faszinosum gewesen, weil man sieht, dass hier tatsächlich ein Charakter entsteht. Und der "Ring" ist eine Serie aus vier Episoden, um diesen Figuren über die Zeit und über die Generationen hinweg zu folgen. Da gibt es eben nicht nur diese eine Figur beispielsweise eines Cavaradossi bei einem Opernabend mit "Tosca", sondern es gibt im "Ring" einen Wotan, eine Brünnhilde oder einen Siegfried. Die machen über mehrere Abende Entwicklungen durch, wie wir es eigentlich sonst nur aus Serien kennen.

BR-KLASSIK: Wenn wir uns mal in diesem Familiendrama die einzelnen Figuren anschauen: Wotan war beispielsweise jahrzehntelang der noble und strahlende Held, der Göttervater. Durch Patrice Chereau hat dann dieses Heldenbild sicherlich etwas Sprünge bekommen, indem er ihn auch als scheiternden dargestellt. Wie siehst Du diese Figur?

Valentin Schwarz: Wotan ist tatsächlich eine so vielgestaltige Figur, die wir da über diese drei Abende beobachten. Er beginnt eigentlich als ein großer Fantast. Er entwirft eine Welt, er denkt sich Walhall aus einen Wall gegen die Zeit, etwas Neues, was so noch nie dagewesen war. Damit nicht unähnlich einem Künstler, der ja auch mit seinen Visionen erstmal eine Welt entwirft und dann gegen die Wirklichkeit stößt. Und nach und nach merkt er, wie er zwischen diesen beiden Polen künstlerische Freiheit und Selbstentfaltung, sowie den Gesetzen, die er ja selber institutionalisiert hat, scheitert und sich dazwischen aufreibt. Und in diesen Reibungsverlusten scheitert er nicht nur, sondern muss auch selber Opfer bringen. Und durch diese große Fallhöhe – er selber opfert seinen Sohn, muss Siegmund ermorden lassen, um seiner treuen Ehegattin Fricka zu gehorchen – kommt uns diese Figur unglaublich nahe und rührt uns an. Und diese strahlenden Momente sind eigentlich immer nur so kleine Blitzlichter im Dunkel der Figur, weil man merkt, wie tief eigentlich da auch diese Schmerzen sitzen.

Wir lieben Wotan, obwohl er ein schrecklicher Mensch ist.
Valentin Schwarz

Mir ging es mit Wotan eigentlich wie mit fast jeder Figur im "Ring": Je mehr ich darüber nachdenke, je mehr ich da mit den Sängern daran arbeite und diese Figur auch aus verschiedensten Perspektiven neu anschaue, umso näher kommt sie mir auch persönlich. Und ich merke: Genau vor dieser Schlüsselstelle, wo die Figur jetzt steht, stand ich auch mal selber im Leben. Diese Momente vielleicht auch in Zuschauer und Zuschauerin ein bisschen herauszukitzeln, ein offenes Ohr dafür zu schaffen, sich selber in diesen Figuren auf der Bühne zu erkennen – dafür bietet einem der "Ring" sehr, sehr viele Chancen.

BR-KLASSIK: Fühlst Du dich der Figur des Wotan am nächsten?

Valentin Schwarz: Ich hoffe nicht, denn er muss ja scheitern! Die "Götterdämmerung" ist auch ein Scheitern seines eigenen Plans. Aber Scheitern gehört natürlich in der Kunst auch dazu. Und Scheitern ist ein großer Teil unseres Lebens. Sich aber trotzdem mit Feuereifer und Obsession reinzustürzen, nötigt wirklich Bewunderung ab. Und deshalb lieben wir Wotan, obwohl er ein schrecklicher Mensch ist.

BR-KLASSIK: Du hast viel von den Entwicklungen im Stück gesprochen, auch der Figuren. Brünnhilde entwickelt sich ja auch extrem – von der völlig unbedarften, wilden, jungen Frau, die einfach mal drauf los prescht, über die Schlafende, die sich dann in Siegfried verliebt, bis hin zur Götterdämmerung, wo sie sich am Schluss ganz opfert und quasi ins Feuer geht. Ihr wird ja sehr übel mitgespielt. Wie würdest Du sie als Figur charakterisieren? Wie hast Du zu ihr den Schlüssel gefunden?

Valentin Schwarz: Ja, da hat Wagner eine irre Frauenfigur entworfen: Sie ist zunächst die Lieblingstochter Wotans, wird aufgezogen als Götterkind, die die Familie auch unterstützen und den Job des Vaters übernehmen soll und wird dann unendlich bestraft und für Jahrzehnte weggesperrt. Und die dann in der "Götterdämmerung" eine Leidensgeschichte durchmacht. Die "Götterdämmerung" ist ja eigentlich auch eine große Tragödie einer Frau. Und was Wagner hier geschafft hat, ist unglaublich modern: Er liefert dieser Frau trotz dieses Schicksals die allerschönsten Momente und gibt ihr eine solche Größe - trotz all dieser Verletzungen, trotz all dieses Ballasts der Familie, der Geschichte, der Traumata. Und daraus zu erwachsen und eben nicht zu scheitern, unterzugehen oder die Waffen zu strecken – das gibt große Hoffnung.

Mit Brünnhilde hat Wagner eine irre Frauenfigur geschaffen.
Valentin Schwarz

BR-KLASSIK: Du hast verständlicherweise im Vorfeld nicht viel zu Deiner "Ring"-Inszenierung verraten. Durchgesickert ist die Netflix-Serie. Dieses Bild erzeugt ja auch in jedem ein Bild des Realismus. Bei sehr realistischen Inszenierungen besteht ja auch leicht die Gefahr, in eine Realismusfalle zu tappen, weil die Logik einfach stringent durchgezogen werden muss. Wenn man es eher abstrahiert, verzeiht man vielleicht auch mehr … Ist Dir das in der Arbeit an Deiner "Ring"-Inszenierung auch begegnet?

Valentin Schwarz: Der "Ring" spielt im Hier und Heute. Das sind Figuren von jetzt, die uns interessieren. Diese innerfamiliären Konflikte und Schicksale finden jetzt statt und haben eine unglaubliche psychologische Spannung. Und ich glaube, Realismus und Mythos schließen sich überhaupt nicht aus. Ich glaube tatsächlich, dass man den Mythos hier als Leitmedium der Gesellschaft und der Gesellschaftskritik auch durch das Musiktheater Richard Wagners wieder neu einführen kann. Und in dieser Kombination aus dieser sehr berührenden Psychologie gemeinsam mit dem wirklich mythologischen Fundament, was Wagner uns da bietet, darf dieser "Ring" sehr universell sein.

Kommentare (2)

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Samstag, 06.August, 18:25 Uhr

Heribert Bludau

Ring

Herr A. Walter war wohl im falschen Stück. Er hat nicht mitbekommen, wie Wagner zerrissen und lächerlich gemacht wurde. Sein großer Regisseur hat nur vergessen, sich andere Texte für seinen Ramsch schreiben zu lassen.
Der Ring insgesamt: Eine Frechheit, eine Blamage. So etwas gehört nicht nach Bayreuth

Samstag, 30.Juli, 11:08 Uhr

A. Walter

Ring

Endlich ein Regiseur der weiss auf was es ankommt. Nämlich auf die Musik eines grossen Meisters und nicht ein Regiseur der nur seine Hirngespinste und sich selbst verwirklichen will.

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