Erstmals kommen bei den Bayreuther Festspielen AR-Brillen zum Einsatz – in der Eröffnungspremiere "Parsifal", inszeniert von Jay Scheib. Im Gespräch mit BR-KLASSIK erzählt der Regisseur, warum er Wagners Werk um eine digitale Ebene erweitert.
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BR-KLASSIK: Jay Scheib, fangen wir mal mit der Frage aller Fragen an: Wer ist der Gral?
Jay Scheib: (lacht) Wer ist der Gral, wer ist der Gral, so fragte Parsifal. Für uns hat der Gral damit zu tun, dass man ein Problem hat und überall nach der Lösung sucht, bis man schließlich verstehen muss: Ich bin selbst das Problem. Man selbst ist Teil des Problems, das man zu lösen versucht. Bei den großen Klimaproblemen beispielsweise gibt es verschiedene Lösungen, wie die Elektromobilität, die aber wiederum andere Probleme hervorrufen. Zum Beispiel der Kobaltabbau in Afrika, der für die Herstellung von Batterien essentiell ist, aber unter schrecklichen ausbeuterischen Arbeitsbedingungen stattfindet. Elektroautos scheinen eine gute Lösung für unser Klimaproblem zu sein, aber das hat zugleich auch seinen Preis.
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Für uns hat der Gral also mit Gemeinschaft zu tun und mit der Frage, woher eine Gemeinschaft ihre Energie bekommt. Mit dieser Idee haben wir angefangen und davon ausgehend dann ganz unterschiedliche Wege beschritten. Letztendlich ging es vor allem um Rohstoffe wie Kobalt oder Lithium, die eine zentrale Rolle für die Energiespeicherung und -verteilung von heute und morgen übernehmen.
BR-KLASSIK: Das ist der Gral?
Jay Scheib: So ungefähr (lacht).
BR-KLASSIK: Die Oper "Parsifal" bietet sehr viele verschiedene Anknüpfungspunkte. Was ist denn Ihr Weg dadurch, worum geht es in Ihrem "Parsifal"?
Jay Scheib: Man lernt sehr schnell im "Parsifal", dass jeder irgendein Loch im Herzen hat, jeder hat sein eigenes Trauma, seine eigene Wunde. Man lernt zu vergeben. Für mich geht es in "Parsifal" um Mitleid, Empathie, Vergebung.
BR-KLASSIK überträgt live im Radio und im Video-Livestream die Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele 2023: "Parsifal" von Richard Wagner - ab 15:05 Uhr.
BR-KLASSIK: Wir müssen natürlich über den Einsatz der Augmented Reality (AR-Brillen) sprechen. Der Einsatz von neuer Technologie im Theater ist Ihr zentrales Thema, denn Sie sind Professor am MIT (Massachusetts Institute of Technology) für Musik und Theaterkunst – spielte dort AR schon eine Rolle?
Jay Scheib: AR ist schon sehr lange ein Thema. In den letzten zwei Jahren beschleunigte sich diese Entwicklung, aber wir beschäftigen uns schon eine ganze Weile damit.
BR-KLASSIK: Und jetzt binden Sie das in Ihre "Parsifal"-Inszenierung ein. Sie haben mal gesagt, das passe sehr gut zu Wagners Gesamtkunstwerk, warum?
Opernbesuch mit AR-Brille. Die Bayreuther Festspiele und Regisseur Jay Scheib machen's möglich. | Bildquelle: Bayreuther Festspiele Jay Scheib: Seit ich Student war, war Wagner und seine Idee des Gesamtkunstwerks, die Verbindung von verschiedenen Disziplinen aus den Kunstformen für mich eine große Inspiration. Das hat eine bestimmte poetische Kraft und ich bin schon lange daran interessiert. AR kann für die Idee des Gesamtkunstwerkes einiges leisten: Es ist eine visuelle Erweiterung, manchmal auch sehr poetisch, wie Visionen, oder Schock-Träume, die sichtbar gemacht werden. Es eröffnet eine Riesentraumwelt.
BR-KLASSIK: In welchen Momenten wird in der Inszenierung AR eingesetzt?
Jay Scheib: Interessanterweise in jedem Moment (lacht). Es gibt verschiedene Animationen, Figuren tauchen auf, Gewitter ist zu sehen – das ganze Stück lang, also vier Stunden AR.
BR-KLASSIK: Bei so einer überwältigenden Visualität wie die Brillen sie ermöglichen – besteht möglicherweise die Gefahr, dass die Technik zum Selbstzweck wird? Also dass man es nur macht, weil man es kann. Wie verhindert man das und wie schafft man, dass das alles noch dem Werk dient?
Jay Scheib: Wir müssen Technologien poetisch mitdenken, sonst werden sie uns denken und dann hätten wir nur einen See aus Banalität. Also aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, dass wir Wege finden, wie wir neue Technologien, neue Ideen, KI oder was auch immer, einbeziehen können und mit ihrer Hilfe eine Methode oder einen poetischen Ausdruck finden. Wir müssen einen eleganten Umgang mit diesen Mitteln finden, sonst wird unsere Welt langweilig.
BR-KLASSIK: Es gibt Leute, die befürchten, das würde zu sehr von der Bühne oder der Musik ablenken.
Regisseur Jay Scheib trägt im Bayreuther Festspielhaus eine AR-Brille. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Jay Scheib: Es braucht viele Nerven, mit etwas Neuem zu arbeiten. Manchmal finden wir die perfekte Balance, manchmal nicht – und dann müssen wir weiter daran arbeiten. Die Entwicklung einer Technologie hat eine Timeline. Und das ist eine andere, als die einer Opernproduktion. Wir arbeiten rund um die Uhr, um diese Balance zu finden, bei der man nicht von der Musik oder der Bühne abgelenkt wird und alles zusammen funktioniert. Es ist ein bisschen so, wie wenn man in einer normalen Produktion das Licht verändert: Manches verschwindet im Dunkeln und manches wird hervorgehoben. AR funktioniert auf dieselbe Weise.
BR-KLASSIK: Es gibt etwas, was mir in ganz vielen "Parsifal"-Inszenierungen auffällt, auch wenn die, wie Sie, das Setting ganz woanders hin verlegen, kommt an dieser Fußwaschung, der Taufe und der Segnung im dritten Aufzug, keine Inszenierung vorbei. Wieso haben Sie sich dazu entschieden, die auch zu inszenieren?
Jay Scheib: Ich habe es auf verschiedene Weisen probiert, wir haben geprobt und alles Mögliche versucht. Wir haben uns gefragt: Ist es überhaupt okay, dass Kundry getauft wird? Sie wurde nicht vorher gefragt, sie wird einfach getauft. Zuerst dachten wir, wir können etwas anderes machen. Aber dann fanden wir es doch wichtig, Fußwaschung, Taufe und Segnung Schritt für Schritt zu erzählen, denn nur dann können wir verstehen, was am Ende kommt. Das macht es nämlich stärker, wenn Parsifal am Schluss in seiner Rolle aufgeht. Dann war die nächste Frage: Soll Kundry am Schluss sterben, oder woanders hingehen und ihr "best life" leben?
BR-KLASSIK: Wir haben mit einer zentralen Frage angefangen und ich würde auch gerne mit einer zentralen Frage aufhören. Gibt’s Erlösung?
Jay Scheib: Ja doch. Aber es gibt nicht nur eine.
Sendung: "Bayreuther Festspiele live" am 25. Juli 2023 ab 15:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (4)
Sonntag, 30.Juli, 17:41 Uhr
Karin Beier
Der Gral
Ich glaube , dass der Gral hier für den Zusammenhalt der Ritter der Gralsrunde steht. Das war alles solange gut, bis ein Aussenseiter seine eigene Welt geschaffen und die Gralsgemeinschaft durch Abwerbung Einzelner und Verführung gestört hat. Spätestens da war der Friede unter den Gralsrittern empfindlich in Mitleidenschaft gezogen. Wie kann man es sich ansonsten erklären, das Parsifal zum Ende den Gral zerschmetterte? Der Gral hatte seine Macht verloren, er konnte nicht mehr Jeden erreichen. Also war er untauglich als Mittel geworden um die Ritter zu stärken und zu einen. Ich habe die Aufführung gesehen und kann nur so schlussfolgern. So ist es auch im heutigen Leben, Mittel können bzw.müssen sich ändern. Es muss eine neue Vision, Form oder Methode gefunden werden, um ein friedvolles Miteinander der Menschen zu schaffen. Mir hat Parsifal nicht in allem gefallen, aber sehr zum Nachdenken angeregt. MfG aus Sachsen
Sonntag, 23.Juli, 12:05 Uhr
Euphrosine
Ich stimme den Ausführungen des Regisseurs zum Thema Energie durch sehr aus; aber wenn er daraus eine gute Parsifal-Inszenierung basteln kann, ist er echt ein Genie.
Was die AR betrifft, so mag ich persönlich im Theater nicht im Kino sein, und ich schätze es gerade, dass (resp. wenn) dort eben nicht alles überbebildert wird. Prima la musica, und dazu angeregte Freiräume für Verständnis des Stückes und meine Phantasie (so ließe sich vielleicht andeuten, was ich mir wünsche)
Samstag, 22.Juli, 09:22 Uhr
Alexander Störzel
Ein neuer "Parsifal" in Bayreuth
In jedem Fall wünsche ich dem ganzen Team sehr viel Glück bei der Realisierung, keine weiteren Ausfälle mehr und positives Denken.
Premiere abwarten.
Samstag, 22.Juli, 05:54 Uhr
Beate Schwärzler
P-AR-sifal
Ich weiß nur, nach dem Lesen dieses Artikels, daß ich mir d i e s e n P-AR-sifal im Radio
nun erst recht nicht antun werde.
Und: Ich habe das Gefühl, daß beim Verfassen dieses Artikels KI schon dabei war.
Ich k o m m e von der Sprache.
D i e s e hier - hat k e i n e Poesie.