Im Stil einer Netflix-Serie will der junge Regisseur Valentin Schwarz Wagners "Ring" in Bayreuth erzählen: als Familiensaga, die in unserer Gegenwart spielt. Eingesprungen für den an Corona erkrankten Dirigenten Pietari Inkinen ist Cornelius Meister. Gestern hatte das "Rheingold" Premiere.
Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Premierenkritik zum Anhören
Ziemlich ungezogen ist er, dieser Ring. Und zwar im Wortsinn: Der Ring, der Macht über die ganze Welt verleiht, ist bei Regisseur Valentin Schwarz nämlich kein Bühnenrequisit, kein Ding, sondern ein kleiner Junge. Und zwar ein richtig übler, asozialer kleiner Racker. Im Kinderhort spritzt er mit Malfarbe um sich, versaut alles und tyrannisiert die Mädchen. Der Ring ist also ein Mensch. Und der Nibelungenhort, der sagenhafte Goldschatz, ist ein Kinderhort. Das ist die Grundidee, und die muss man erstmal schlucken.
Die Geschichte spielt in einem schwerreichen Familienclan. Und das Objekt der Begierde, also der Ring, ist der Erbe. Schließlich heißt es bei Wagner: Wer den Ring hat, bekommt "der Welt Erbe". Das Erbe ist hier eben der Erbe. Gleich am Anfang, wenn Alberich das Rheingold stiehlt, sehen wir statt Goldraub eine Kindesentführung am Pool eines Luxusanwesens. Die Rheintöchter sind Kindermädchen. Alberich, Jeans, Cowboystiefel, Lederjacke, stammt aus der prolligen Verwandtschaft, die man lieber ignorieren würde.
Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Mit vorgehaltener Pistole entführt er einen gelb angezogenen kleinen Jungen. Diesen Gold-Jungen braucht ganz dringend Götterboss Wotan. Bei Valentin Schwarz ist der Clan-Chef Mitte 50 und trägt weißes Tennis-Outfit zu fetten weißen Sneakern. In seiner nagelneuen Luxusvilla herrscht miserable Stimmung. Die Bauunternehmer machen Druck und wollen als Bezahlung die attraktive Tochter des Alten abschleppen. Gerade noch rechtzeitig kommt Feuergott Loge, ein anderer etwas peinlicher Verwandter, der immer so tuntig mit den Hüften wackelt und dabei mit den Händen durch die langen, fettigen Haare fährt.
Hier finden Sie die Premiere vom "Rheingold" bei den Bayreuther Festspielen zum Anhören.
Regisseur Valentin Schwarz verzichtet konsequent auf alles Märchenhafte: Wettergott Donner schwingt nicht den Hammer, sondern den Golfschläger und kriegt prompt einen Hexenschuss. Das alles ist ganz unterhaltsam, aber jetzt auch nicht wahnsinnig witzig. Und vor allem wenig ertragreich. Dabei steckt in der Idee, den "Ring" als Familiensaga zu erzählen, durchaus Potential. Wagners Götter-Zwergen-Menschen-Mischpoke und unsere modernen Patchwork-Familien haben ganz sicher einiges gemeinsam. Jeder erfährt die Herkunfts-Familie als lebensbestimmende Größe, und tatsächlich geht es bei Wagner ständig um Erziehungsprobleme. Deshalb ist der Beginn verheißungsvoll: Während des Vorspiels sieht man in einer Filmprojektion zwei Embryonen im Mutterleib. Der eine schlägt mit seinem kleinen Schädel an das Auge seines Zwillingsbruders. Kain und Abel, Romulus und Remus: Die Familienkonstellation bestimmt unser Schicksal. Zumal das Private bekanntlich ohnehin politisch ist.
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Arnold Bezuyen (Mime) | Schülerstatisterie
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Egil Silins (Wotan)
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Danile Kirch (Loge)
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R. Nolte (Donner) | Ch. Mayer (Fricka) | E. Taige (Freia)
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E. Taige (Freia) | A. Glaser (Froh) | Ch. Mayer (Fricka)
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Ólafur Sigurdarson (Alberich) | Schülerstatisterie
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E. Silins, A. Glaser, E. Teige, R. Nolte, D. Kirch, Statisterie
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Okka von der Damerau (Erda) | Schülerstatisterie
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Elisabeth Teige (Freia)
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Christa Mayer (Fricka)
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Doch von der realen Welt heutiger Familien bleibt diese Klischee-Story um einen Kinderhändler-Ring Lichtjahre entfernt. Was wir sehen, ist eine lauwarme Krimikomödie um Kindesentführung in einem Milliardärsclan. Wie soll das bloß drei lange weitere Abende tragen? Valentin Schwarz stellt Wagners Grundidee auf den Kopf. Wagner war zwar ein nationalistischer Antisemit, aber eigentlich ein Linker, jedenfalls verstand er sich als Antikapitalist. Seine Botschaft ist: Das Geld zerstört alles. Die Liebe, die Natur und die Menschen. Denn Geld reduziert alles Lebendige auf abstrakte Tauschwerte. Im "Rheingold" bringt Wagner diese Kritik am Geld sehr anschaulich auf die Bühne: Die Gestalt der Göttin Freia wird vom aufgetürmten Gold zum Verschwinden gebracht – erst, wenn man nichts mehr von ihr sieht, ist sie freigekauft. Das Geld macht den Menschen unsichtbar. Valentin Schwarz dreht den Spieß um: Er lässt das Geld von einem Menschen verkörpern, eben jenem Goldjungen. Der Ring ist kein übergeordnetes Symbol, sondern eine Figur unter anderen. Ein riskanter Einfall, der auch im guten Sinn frag-würdig sein könnte. Allerdings muss er in den nächsten drei Teilen dringend sehr viel mehr daraus machen als im "Rheingold".
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Musikalisch ist die Bilanz gemischt an diesem Abend. Einige Nebenrollen sind stark besetzt, etwa Attilio Glaser als Froh und Okka von der Damerau als ungewöhnlich hell klingende, leidenschaftliche Erda. Großartig gestaltet auch Christa Mayer als Fricka – ihre Stimme ist herb, charaktervoll und hat viel zu erzählen. Ihr Gatte Wotan, gesungen von Egils Silins, bleibt dagegen immer rund und sonor – das klingt sehr eindrucksvoll, vermittelt aber wenig von den Zweifeln und Ängsten der Figur. Ganz auf stimmliche Kraftprotzerei setzt Olafur Sigurdarson als Alberich, gesund klingt das nicht, gefährlich erst recht nicht, immerhin laut. Der Mime von Arnold Bezuyen flüchtet sich dagegen ins Greinen – man hatte gehofft, diese pseudokomödiantische Unsitte sei außer Mode gekommen. Daniel Kirch als Loge macht seine Sache nicht schlecht, bleibt aber etwas blaß und reizt seine Rolle als Spielmacher noch nicht aus.
Eine insgesamt starke Leistung zeigt Dirigent Cornelius Meister. Die Tücken der besonderen Bayreuther Akustik bewältigt er gut, ziemlich sicher hält er Sänger und Orchester zusammen. Nur die Ambosse der Nibelingen-Schmiede stolpern hinter den Takt. Dafür hört man viele Details und ein reaktionsschnelles, quicklebendiges Orchester in meist angenehm raschen Tempi. Wenn's die Regie nicht bringt, muss der Dirigent retten. Doch das Spiel ist ja noch völlig offen. Wer weiß, was aus dem ungezogenen Goldjungen wird, wenn er groß ist...
Sendung: "Allegro" am 1. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (8)
Samstag, 06.August, 12:40 Uhr
Platzer
Götterdämmerung
Find ich generell super, alles mal ganz anders zu kreieren, ganz im Sinne Wagners, aus dem über Nacht, o Wunder ein "Schwarzner" wurde. Nun weis ich nicht wirklich wohin diese Kulturreise geht soll, denn naheliegend wäre es doch nach diesem frischen Auftakte z.B. Beethovens Werke, mit einer Kreissäge
( Nebenwink als Kritik gegen Abholzung der Wälder) neu zu intonieren oder auch in der Bildenden Kunst die Museen dafür zu öffnen einen Graffiti-Künstler einzuladen um einen Rembrandt oder einen van Gogh per Sprühdose umzukreieren gerne per livestream um die Sache mal "revolutiönär" ganz im Sinne Picassos...zu handeln, man könnte dazu seine Hauptwerke als Start verwenden, denn Kunst ist Revolution was er von Wagner wohl übernommen hat um neu zu erfinden. Weltkulturerbe Ahoi? So what?
Mittwoch, 03.August, 16:43 Uhr
Groener, Hannes
Übertragung „Siegfried“ aus Bayreuth
Normalerweise bringen Sie im Anschluss an die Übertragung ein Gespräch mit Kritikern über die Aufführung. Diesmal offensichtlich nicht. Warum?
Danke für Ihre Antwort. H. Gröner
Antwort von BR-KLASSIK:
Die Kritiker-Runde zum "Ring" gibt es nach dem zweiten Aufzug der "Götterdämmerung"-Übertragung im Radio am Freitag ab 20.04 Uhr.
Dienstag, 02.August, 14:05 Uhr
Böhm-Agrelli
der neue Ring-
Der Stuhl des Wotan ist gestern zusammengebrochen.
Meiner - bildlich gesprochen- in Bayreuth vorerst auch.
Wie wird man eigentlich Musikjournalistin ohne Wagner wirklich zu kennen?
Dienstag, 02.August, 09:30 Uhr
Klaus Thiel
Der neue RING in Bayreuth
Ich bin kein Jurist: gibt es eigentlich den § "Grober Unfug" noch ?
Montag, 01.August, 21:31 Uhr
Musikjournalistin
Vergleich mit Patchworkfamilie?
Hallo Herr Neuhoff. Was meinen Sie damit, daß Wagners Menschenmischwesen Patchworkfamilien ähnlich sind? Das ist ein sehr verquerer "Zusammenhang", den Sie bitte erklären müssten. Und was den Golfschläger angeht, wollte der Regisseur V. Schwarz vielleicht Wagner etwas durch den Kakao ziehen. Schadet nicht, so wichtig-schwulstig der ganze "Wagnerisme" ist; es schreit nahezu danach, veräppelt zu werden. Gibt genug Parodien zu den Nibelungen - zu Recht.
Montag, 01.August, 11:59 Uhr
Frederic Fuchs
Rheingold
Wie kann man Wagners Weltendrama so banal inszenieren? Schade! Also, kein Besuch in Bayreuth nächstes Jahr und so wird es vielen gehen...
Montag, 01.August, 11:29 Uhr
Heinz Weryringer
Rheingold
Endlich einmal ein Regisseur der das „Gold“ im Ring weiter denkt und es als Erbe wichtiger sieht. Schön auch das es einer der jüngsten Regisseure ist…. das lässt große Hoffnung für die weitere Wegstrecke aufkommen…!
Montag, 01.August, 11:26 Uhr
Herby Neubacher
Bayreuth Ring
Denen hilft kein Arzt mehr in Bayreuth. Die haben wirklich jeden Bezug zum Werk Wagners verloren. Auf den Müll mit dieser Intendanz. Es wird höchste Zeit für Beine Rückbesinnung und Neuausrichtung