Sir Simon Rattle ist angekommen in München – und wie! Mit neuem Schwung ist das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in die laufende Saison gestartet. Jetzt überrascht Rattle mit einem rein französischen Programm. Zeit für eine kleine Zwischenbilanz mit drei Orchestermitgliedern: Auskunft geben Konzertmeister Thomas Reif, Flötistin Natalie Schwaabe und Oboistin Melanie Rothman, jüngster Neuzugang im BRSO.
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BR-KLASSIK: Wie würdet Ihr Rattles Probenarbeit, seinen Probenstil beschreiben?
Melanie Rothman: Was ich gerne mag an Simon: Er macht unglaublich viel mit uns, fragt viel, aber man hat nicht das Gefühl, dass er viel fragt (lacht). Und wie er Sachen beschreibt, finde ich als Engländerin oft sehr lustig, er erinnert mich manchmal an einen Schuldirektor, wenn er sagt: "I have said it once before – I wouldn’t say it again!" (lacht) bei Piano-Stellen oder solchen Sachen. Und er hat eine ganz genaue Vorstellung von Dynamik und Klangfarben – und immer den Überblick, wie die verschiedenen Elemente in Zusammenhang stehen. Für mich gehen die Proben immer unglaublich schnell vorbei.
Thomas Reif, Konzertmeister im BRSO | Bildquelle: BR-SO Thomas Reif: Ich finde es so positiv unnachgiebig, wie er probt. Es gibt nie diesen Moment, wo man einfach nur vor sich hin spielt, so ein bisschen mit dem Gefühl: Naja gut, das proben wir dann morgen. Sondern er schafft die perfekte Balance, indem er uns zwar spielen lässt. Aber wenn dann eine Stelle irgendwie nicht ganz passt oder wenn wir am ersten Probentag sind, dann wird sofort an der Klangfarbe gearbeitet. Und dann will er das wirklich unnachgiebig, bis es fast nicht mehr hörbar ist im vierfachen Pianissimo. Das will er dann am ersten Tag, da gibt es nichts wie: Ja, bis zum Konzert macht man das schon. Dadurch haben wir von Anfang an eine Spannung auf der Bühne mit ihm bei den Proben, die ich sonst nicht oft erlebt habe – das ist schon einzigartig.
Natalie Schwaabe: Man hat das Gefühl, er ist so unheimlich strukturiert und klar, man erfasst sofort diesen Bogen, wo er hinmöchte. Und dann hat er auch eine herrliche Flexibilität. Als wir zum Beispiel letzte Woche Wiedenhofer geprobt haben, war gerade eine Klasse von Fünftklässlern aus der Realschule dabei. Und dann hat er gesagt: Ach, wir sind doch alle so müde. Ich glaube, wir fangen jetzt erst mal mit der Zugabe, dem Slawischen Tanz von Dvořák an! Und dann hat das Orchester das mal durchgespielt, und die Realschüler haben getobt. Die waren total begeistert, haben applaudiert. Erst dann haben wir mit dem Wiedenhofer angefangen, und da war dann plötzlich auch eine Konzentration in dieser Schulklasse da, das war genial. Also Simons Flexibilität, schnell mal was umzustellen, finde ich auch faszinierend.
BR-KLASSIK: Wie sieht Euer Fazit zur Halbzeit aus? Ich finde eigentlich so imponierend, dass Rattle alles macht, was Chefsache ist. Er hat zu Beginn gleich den BR-Chor miteinbezogen, ein musica viva-Konzert dirigiert, ein Konzert der Orchesterakademie, das Bayerische Landesjugendorchester oder das SZ-Benefizkonzert ...
Thomas Reif: Genau, jetzt ist Zeit für eine Zwischenbilanz, die halbe Saison ist rum – und eigentlich sind all diese Projekte schon passiert in dieser ersten Phase! Und gleichzeitig hat er in unseren Abo-Wochen schon das breiteste Programm abgedeckt von Haydns "Schöpfung" und Mozarts "Idomeneo" über Mahler und Elgar bis hin zur französischen spätromantischen Musik in dieser Woche. Das ist faszinierend, weil er ein so breites Repertoire hat, aber auch jedes Repertoire ganz natürlich erarbeitet. Das ist schon toll.
Natalie Schwaabe: Ich sehe Simon auch als Orchestererzieher. Wir kennen uns ja schon länger, aber er muss ja auch seinen Klangkörper formen. Wir haben mit Haydn und Mahler begonnen, Sachen, die wir natürlich draufhaben, so als deutsches Traditionsorchester. Und die musica viva ist ja auch schon quasi Standard, obwohl es immer wieder was Neues ist. Und jetzt gehen wir in diese französische Musik hinein, wo der Zugang wieder ein ganz anderer ist, das ist eine ganz spezielle Arbeit und verlangt eine ganz spezifische Klangkultur. Das finde ich nicht nur spannend, sondern anregend und fordernd, weil man dadurch auch "erzogen" wird – also im Positiven meine ich das.
BR-KLASSIK überträgt das Konzert in der Isarphilharmonie München am Freitag, 2. Feburar um 20:05 Uhr live und in surround
BR-KLASSIK: Simon Rattle ist natürlich auch eine Galionsfigur in der Konzerthaus-Frage. Er hat auch schon in London für einen neuen Saal gekämpft. Ich denke, auch für dieses Projekt ist er ein wichtiger Unterstützer?
Melanie Rothman, Oboisten im BRSO | Bildquelle: Astrid Ackermann Melanie Rothman: Ja, in Birmingham war er wirklich eine Säule, ein Leuchtturm – damals, als er beim City of Birmingham Symphony Orchester war. Das spürt man in der Stadt immer noch. Ich habe dort öfter als Gast Solo-Oboe gespielt, und das ist schon Wahnsinn dort: Dieses ganze Orchesterzentrum, das CBSO Centre, wurde mehr oder weniger durch Simon realisiert. Und wir haben jetzt so ein Glück, dass er bei uns in München ist und für dieses Projekt kämpft, das brauchen wir unbedingt.
BR-KLASSIK Nach einer langen "Denkpause" der bayerischen Staatsregierung enthält jetzt der aktuelle Koalitionsvertrag zwar ein klares Bekenntnis zu einem neuen Konzertsaal im Münchner Werksviertel. Aber da steht auch drin: "Mit Blick auf die sich abzeichnenden Kosten werden wir die Planungen überarbeiten und redimensionieren." Was heißt denn das, was erwartet Ihr da?
Natalie Schwaabe: Ich finde dieses immer längere Warten und Warten traurig. Die Sachen werden einfach nur noch teurer. Ich unterhalte mich sehr viel mit Menschen, die ich in München kennenlerne, die den Interimssaal der Isarphilharmonie ganz großartig finden und sagen: Mensch, das geht doch so günstig – wieso macht man das so teuer? Die Isarphilharmonie ist eine wunderbare Zwischenlösung. Ich habe einen Lehrauftrag an der Münchner Musikhochschule. Wir sind ja auch aus dem Gasteig rausgezogen in die Isarphilharmonie. Es gibt einen kleinen Konzertsaal, den konnte man während des Sommersemesters wegen eines Wasserschadens nicht nutzen. Der wurde behoben – Ende November ereignete sich der zweite Wasserschaden, der Saal ist wieder bis Ende Februar gesperrt.
Für viele Menschen wäre ganz wichtig zu wissen, dass eine Interimslösung auch Baumängel mit sich bringt, die nach zwei Jahren auftauchen. Deswegen ist diese ganze Debatte, dass man jetzt an allem sparen will, also dass man das kleiner dimensionieren möchte, unehrlich. Ich merke nämlich: Viele Leute verstehen gar nicht, dass München keinen symphonischen Saal hat. Der Gasteig war einer, der ist ja jetzt gerade dicht oder wird nur interimsmäßig genutzt. Weder die Isarphilharmonie noch der Herkulessaal sind große symphonische Säle. Was zum Beispiel vielen Leuten nicht bewusst ist: Wenn es bei uns in einem Programm heißt: Soundsoviele Schlagzeuger werden benötigt, dann wir brauchen oft doppelt so viele Schlagzeuger. Wir haben gar nicht genug Platz haben auf der Bühne, um die Setups da hinzustellen. Für ihr Instrumentarium brauchen die aber Platz, und der ist nicht vorhanden. Also teilt man diese Stimmen, und dann braucht man anstatt vier Spielern acht Spieler, verteilt auf verschiedene Positionen. Das ist ein extremer Kostenfaktor, der aber wegen dieser Situation immer weiter so praktiziert wird.
Das ist der eine Punkt. Auf der anderen Seite würde ich mir so sehr wünschen, dass die Staatsregierung uns klipp und klar sagt: Soundsoviel Geld steht zur Verfügung, der Rest muss vielleicht über Sponsoring eingesammelt werden. Dann könnte man endlich loslegen. Aber im Augenblick sind uns die Hände gebunden, weil diese andauernde Politik des Abwartens herrscht. Und dann wird alles immer nur noch teurer.
BR-KLASSIK: Nun ist das BRSO ja auch Teil einer Rundfunkanstalt – als weltweites Aushängeschild bayerischer Hochkultur. Aber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk weht derzeit ein eisiger Wind entgegen. Ein Teil der Politik will ihn verschlanken oder gar abschaffen. Macht Euch das Sorge?
Thomas Reif: Es macht einem schon Sorge, wenn man solche Sachen von ganz hohen politischen Positionen hört. Was einen traurig macht, ist, dass offensichtlich ganz oft das Verständnis für die klassische Kultur – und da meine ich nicht nur die Musik, sondern die ganze Kulturwelt, in der wir leben – einfach nicht so vorhanden ist. Wenn man sich vielleicht persönlich auch nicht so sehr dafür interessiert, dann ist auch nicht das Bewusstsein dafür da, dass es eigentlich die ganze Gesellschaft interessiert oder auch interessieren sollte. Und zur Vision eines Konzerthauses gehört eben auch zu sagen: Ich warte jetzt nicht, bis irgendwo eine Nachfrage entsteht aus irgendeinem Grund heraus und dann baue ich da was hin. Sondern: Was für eine Gesellschaft schwebt mir eigentlich vor? Denn man weiß ja, dass Kultur eine Gesellschaft verbindet und auch zum Positiven hin entwickelt. Diese Vision, die wünsche ich mir von den Politikerinnen und Politikern, dass die dann sagen: Okay, so etwas wollen wir haben, so etwas wollen wir unserer Bevölkerung auch in Bayern zeigen.
Und wenn man dann sagt, man solle die Orchester einfach halbieren, wenn man bedenkt, dass gerade mal 41 Cent des Rundfunkbeitrags in alle ARD-Orchester reinfließen – da denke ich mir schon: Was geben wir denn eigentlich der Gesellschaft zurück, wenn wir da ins Bundesland reingehen und so viele Projekte machen, unter anderem diese Schultourneen? Das ist so viel, was in den letzten Jahrzehnten erarbeitet wurde, was da geleistet und an die Gesellschaft zurückgegeben wird – dafür ist das eigentlich ganz schön günstig, würde ich sagen. Diese Information, die steckt da nicht drin, da wird einfach so dahingesagt: Ach, das schafft man ab, das ist dann einfach ein Brocken weniger. Das finde ich schon sehr schade.
Natalie Schwaabe: Und wenn man mal was kaputt macht oder zerschlägt, ist es nicht wieder aufbaubar. Das sieht man in europäischen Nachbarländern, wo man diese Rundfunkkultur mit den Orchestern zerschlagen hat. Ich finde, Deutschland hat da eigentlich einen Schatz an Kultur. Natürlich ist es wichtig, dass wir uns öffnen, dass wir uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Und deswegen finde ich das so großartig mit Simon, weil er einfach ein tiefes Interesse hat an den Menschen, die hier leben, und dass man diese Kultur teilt, dass man wegkommt von dem Elitegedanken, den wir schon seit Jahren nicht mehr pflegen. Aber ich finde es so kurzsichtig zu sagen: Nur weil jetzt die nächste Wahl kommt und ich wiedergewählt werden möchte, muss ich irgendwo Kürzungen durchführen.
Melanie Rothman: Als internationales Mitglied des Orchesters finde ich das sehr traurig – auch mir macht das Angst. Deutschland war mir immer als musikalisches Land bekannt, wo Musik geschätzt wird und geschützt ist. Dass man jetzt das Gefühl hat, das gerät in Gefahr, ist beunruhigend.
Sir Simon Rattle | Bildquelle: Astrid Ackermann BR-KLASSIK: Kommen wir noch zum Schluss auf was Positives: Das BRSO feiert in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag. So ein Jubiläum ist natürlich Anlass, Rückblick zu halten, zurückzuschauen auf eine große Tradition mit sechs Chefdirigenten und vielen prominenten Gästen, ist aber auch Anlass für einen Ausblick in die Zukunft. Welche Visionen habt Ihr für Euer BRSO? Was würdet Ihr Euch wünschen?
Thomas Reif: Es gibt jetzt so einen kleinen Generationswechsel im Orchester. In den letzten Jahren sind einige Leute in Rente gegangen. Da werden jetzt natürlich neue Leute besetzt und neue Leute gesucht. Das neueste Mitglied in unserer Runde ist die Melanie. Da bin ich jetzt gespannt: Wo sind wir denn in fünf Jahren? Das sind fantastische Leute, die uns jetzt verlassen, und das ist dann manchmal ein bisschen traurig. Und dann freut man sich wieder, wenn jemand Neues kommt, denn das ist ja eigentlich der Kern des Orchesters – das sind die Leute, die da spielen.
Melanie Rothman: Man kann definitiv sagen: Wir sind ein Weltklasse-Orchester, und ich wünsche mir einfach, dass es auf diesem Niveau weitergeht. Und dass wir unsere Musik, unser Talent und unsere Emotionen weiterhin mit Menschen überall in der Welt teilen können, natürlich auch in Bayern. Und ich finde es ganz wichtig, dass wir uns mit dieser reichen Kultur noch mehr und vielfältiger einbringen können.
Natalie Schwaabe: Ich wünsche mir, dass wir zu unserem hundertsten Geburtstag ein Heim haben. Einen Saal, wo wir Räume haben, wo wir Gäste einladen können, von klein bis groß, also für Kinder und Senioren, ein Haus für Musikvermittlung, wo man mit denen Musikprojekte veranstalten, kreativ sein kann, wo man Komponistinnen und Komponisten einladen kann, mit denen man arbeiten kann, und Räumlichkeiten hat, wo sich alle wohlfühlen. In dieser Runde bin ich diejenige, die schon am längsten hier im Orchester ist. Und ich liebe dieses Orchester. Es ist ein Teil meiner Familie, aber es bleibt dieses Gefühl, nie wirklich irgendwo zuhause zu sein. Wir waren zum Beispiel in Leipzig, und da merkt man, das Gewandhausorchester hat sein Haus, man hat sich so willkommen gefühlt. Und diese Willkommenskultur würde ich mir so sehr auch für uns wünschen.
Zur Sendung: Der Konzertabend am Freitag, 02. Februar um 20:05 Uhr live auf BR-KLASSIK
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