Das "finnische Dirigentenwunder" ist fast schon eine Art Markenprodukt. Klaus Mäkelä zum Beispiel. Mit nur 28 Jahren ist er designierter Chef in Amsterdam und Chicago. Und jetzt, heißt es, kommt schon der nächste Wunderknabe aus Finnland. Tarmo Peltokoski ist mit nur 24 Jahren noch jünger und angeblich noch besser. Jedenfalls hat er einen Exklusivvertrag bei der Deutschen Grammophon – als jüngster Dirigent in der Geschichte des Labels. Drei Symphonien von Wolfgang Amadeus Mozart sind auf dem gerade erschienenen Debütalbum von Tarmo Peltokoski.
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Neues Album
Tarmo Peltokoski dirigiert Mozart
Manchmal möchte ich Künstler vor ihrem Marketing schützen. Die Debüt-CD des 24 Jahre jungen finnischen Dirigenten Tarmo Peltokoski bei der Deutschen Grammophon wird unter größtmöglichem Tamtam angekündigt. Mit Zitaten aus hymnischen Kritiken schmückt man sich natürlich gern. Vom "Jahrhundert-Talent" ist die Rede, und: "Aufgepasst – hier kommt ein Genie!" Peltokoski, verheißt das Cover, sei ein "verzückt umjubeltes Phänomen." Der Booklet-Text gerät vor lauter Ergriffenheit förmlich ins Stammeln: "So entstehen Es-kann-gar-nicht-anders-sein-Interpretationen."
Der arme Peltokoski. Es gibt prinzipiell keine "Es-kann-gar-nicht-anders-sein-Interpretationen", schon gar nicht bei Mozart. Und vor allem erwartet niemand von einem 24-Jährigen irgendwas Definitives, Unabänderliches. Im Gegenteil: Das ist ja gerade das Tolle an diesem Alter, dass alles noch offen ist. Und nein, leider ist diese Aufnahme in vielem vielversprechend, aber keineswegs umwerfend. Mit den gerade entstehenden Mozart-Gesamteinspielungen etwa von Riccardo Minasi oder Maxim Emelyanychev kann sie nicht mithalten. Aber der Reihe nach. Wer ist Tarmo Peltokoski?
Geboren im April 2000 in der finnischen Hafenstadt Vasa, hochbegabter Pianist. Seit er 14 ist, hatte er Unterricht beim legendären Dirigier-Professor Jorma Panula. Der ist der Vater des finnischen Dirigentenwunders. Zu Panulas Schülern zählen so gut wie alle Stardirigenten aus Finnland. Eigentlich war der berühmte Professor schon im Ruhestand, aber den jungen Peltokoski fand er so gut, dass er ihn trotzdem unter seine Fittiche nahm. Mit 22 wurde Peltokoski Chef des Lettischen Nationalen Sinfonieorchesters und dirigierte Wagners kompletten "Ring". Ein Senkrechtstarter. Und, soweit man das aus YouTube-Aufnahmen beurteilen kann, ganz offensichtlich wirklich eine phänomenale Begabung.
Dirigent Tarmo Peltokoski hat sein erstes Album bei der Deutschen Grammophon veröffentlicht, mit Symphonien von Mozart. | Bildquelle: Peter Rigaud Mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen hat er nun drei Mozart-Symphonien aufgenommen: Die "Haffner-Symphonie", die "Linzer" und die große g-Moll-Symphonie. Peltokoski liebt es scharfkantig und sehr direkt, und das gefällt mir. Jedenfalls in den schnellen Sätzen. Aber es fehlt mir am Ausdruck, am Gespür für das Ungeheuerliche, das sich so oft in dieser Musik ereignet. Im langsamen Satz der g-Moll-Symphonie etwa. Da gibt es so viele Gänsehaut-Stellen, eigentlich. Harmoniewechsel, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen müssten, Beklemmung, Abgründe – und dann wieder unfassbar tröstliche Takte. In seinem sympathischen Misstrauen gegen falsches Pathos geht Peltokoski allzu sachlich und beiläufig darüber hinweg.
Das Orchester spielt sehr agil und durchsichtig, wird aber aufnahmetechnisch nicht gerade im besten Licht präsentiert: Das Klangbild ist dumpf und intransparent. Von der Deutschen Grammophon erwartet man Besseres. Dafür entfaltet Peltokoski in den Finali mitreißenden Drive. Sein Mozart hat Pfeffer. Das mit dem Genie bewahrheitet sich also noch nicht so ganz, das mit dem Jahrhundert-Talent könnte stimmen. Und das ist ja auch schon eine Menge!
Sendung: "Leporello" am 12. Juni 2024 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Samstag, 15.Juni, 09:22 Uhr
Alexander Seidel
Mozart CD
Leider kann ich mich dem Rezensenten nur anschliessen. Ich habe ehrlich selten ein schlechteres Debut von einem so hochgepriesenen jungen Dirigenten gehört. Er rettet sich oft ins Staccatto, wo keine Anweisungen über den Noten stehen oder wird schloicht schnell. Sehr schnell. Nun denn: ich habe die ganze Aufnahme angehört um mir ein ganzes Bild zu machen. Aber abschlaten wollte ich schon in der Mitte des ersten Satzes, alles dieses nichtssagende Mezzoforte Staccatto im Seitenthema begann. Kurzum: dieser Trend, alles zu übernhöhen, nur noch das Beste, Teuerste, Schnellste, Grandioseste anzupreisen wirkt auf abstossend und erzeugt in mir den Impuls, mehr Abstand halten zu wollen mit dem sog. internationalen Musikbetrieb.