Traurig und lustig zugleich ist Mozarts "Così fan tutte". Nach knapp drei Jahrzehnten gibt es an der Bayerischen Staatsoper nun eine Neuinszenierung dieser letzten opera buffa Mozarts. Zwei Offiziere testen die Treue ihrer Verlobten. Für eine von ihnen wird das zum Leidensweg: Fiordiligi, wörtlich "Blume der Treue". Grund genug, einen Blick auf die wichtigste Frauenrolle dieser Oper zu werfen.
Bildquelle: W. Hösl
Menschen am Fuße des Vesuv, im sinnenfrohen Neapel, am Meeresufer. Etwa eine halbe Stunde nach Spielbeginn seiner Oper "Così fan tutte" beschwört Mozart in diese Szenerie sein mirakulöses Terzettino "Soave sìa il vento" herauf. Eine Naturimpression bei azurblauem Himmel. Den Windhauch und das Säuseln des Windes über den Wellen schildern gedämpfte Geigen in Terzen. Das Terzettino schwebt als statisches Tableau in sanfter Schönheit einher, zart schattiert und schwerelos. Ein feingefügtes Tongewebe von kristallklarer Anmut, von weitgeschwungener Kantabilität und strömendem Wohllaut. Die Musik wirkt inspiriert und raffiniert, das farbige harmonische Chroma ist von erotischem Reiz. Alles wirkt sehr feminin. Auf Samt und Seide gebettet, singt Fiordiligi an der Seite ihrer Schwester Dorabella, so leise, als würden die beiden flüstern. Da stehen zwei Frauen, winken ihren Verlobten nach, von denen sie glauben, dass sie in den Krieg ziehen. Doch das Terzettino enthält auf dem Wort "desir" (in der Mitte des Ensembles zweimal nacheinander) eine gedehnte Dissonanz, einen von süßem Schmerz sprechenden Klang. Ist das hier ein unwiderruflicher Abschied von allen Selbsttäuschungen? Die Musik weiß, es gibt kein Zurück mehr. Ein alter Philosoph beobachtet das, und er scheint gerührt.
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Cosi Fan tutte 1996 - Trio "Soave il vento"
Wie ein Fels in der Brandung will Fiordiligi allen Stürmen der Seele widerstehen. Sie scheint fest entschlossen, ihrem Verlobten Guglielmo während seiner Abwesenheit die Treue zu halten. Doch ihre vermeintliche Unerschütterlichkeit ist gefährdet. In ihrer sogenannten Felsen-Arie, "Come scoglio", wird das durch übergroße Intervallsprünge evident. Welch übersteigerte Emphase! Die Felsen-Arie zeichnet Berg-und-Tal-Linien nach, als Ausdruck einer pathetischen, ans Lächerliche grenzenden Demonstration kategorischer Ablehnung. Technisch betrachtet, enthält die Arie das Maximum dessen, was Mozart einer Sängerin zumuten konnte. Das zeigen signifikant auch Triolenkoloraturen. Beinahe parodistische Züge tragen Fiordiligis weitschweifige Beteuerungen der "costanza", der Beständigkeit.
In eine Gebetshaltung begibt sich Fiordiligi in ihrer zweiten Arie, "Per pietà". Seelisch verwirrt, gesteht sie sich den Mauerriss in ihrem Luftschloss ein. Äußerlich mag sie den Attacken auf ihre Tugend widerstanden haben - doch Ferrando hat ihr inneres Gleichgewicht vehement ins Wanken gebracht. Mozart hat Mitleid mit Fiordiligi, schenkt ihr innige Musik für den Moment der Erkenntnis, dass ihr Herz für einen Neuen in Flammen steht. Erliegt Fiordiligi einem kompletten Identitätsverlust? Die Intervallsprünge des Gesangs wirken nicht mehr affektiert wie in der Felsen-Arie, sondern als Ausdruck der inneren Verlorenheit. Eine leidgeprüfte Frau sieht sich mit einer Welt ohne Moral konfrontiert. Sobald sie in Gedanken an Guglielmo Halt sucht, verweisen zwei Solohörner im Orchester auf seinen gleichzeitigen Treuebruch: Akkordbrechungen werden zum Hahnrei-Gespött. Voll von Idealen, will Fiordiligi sich vor dem drohenden Treuebruch retten, will - als Soldat verkleidet - Guglielmo in den Krieg folgen. Als würde sich da jemand in letzter Minute zur Ordnung rufen wollen, an einen Rettungs-Anker geklammert. Dabei greift Fiordiligi jedoch die Uniform Ferrandos - ein Freudscher Missgriff?
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Gruberova - Per pietà - Così fan tutte
Als dramaturgischen und emotionalen Höhepunkt der Oper kann man das Duett zwischen Fiordiligi und Ferrando betrachten: "Fra gli amplessi in pochi instanti". Der Antrieb, den Verführer zu spielen, ist für Ferrando seine verletzte Eitelkeit wegen des Treuebruchs Dorabellas. Nach einiger Selbstüberwindung scheint er seinen Liebes-Traum tatsächlich auf Fiordiligi zu projizieren. Sein zuvor nur gespieltes Gefühl wird wahr. Die tenorale Larghetto-Kantilene "Volgi a me pietoso il ciglio" verfehlt ihre Wirkung auf die Umworbene nicht. Ihr Glücksempfinden drückt eine Oboen-Kantilene aus. Ebenso unbedingt wie die Gegenwehr Fiordiligis zuvor war, scheint nun ihre Bereitschaft zur Hingabe an den Neuen. Da werden glücksselig anmutende Terzen und Sexten gesungen; und signalisieren die aufrichtige Verbundenheit des neuen Paares, das nach einem Lernprozess offenbar ein neues Verständnis für das Wesen der Liebe erlangt.
Szene aus "Così fan tutte" bei den Salzburger Festspielen 2016. | Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Kurz vor der Hochzeit Fiordiligis mit Ferrando und Dorabellas mit Guglielmo wirkt der Kanon "E nel tuo" wie eine Erinnerung an das Terzettino "Soave sìa il vento". Der Trinkspruch Fiordiligis ertränkt das Geschehene – einige Zentimeter über schwankendem Boden. Durch ihren Toast erklärt die frisch neu verliebte Frau den Wein zum Vergessens-Trank. Sie zitiert die Melodie, mit der Ferrando sie kurz zuvor im Duett erobert hat und erinnert sich der wehmütigen Sinnlichkeit seines Werbens – ebenso wie im nächsten Augenblick er selbst. Was soll man der allgemeinen Verwirrung Gutes abgewinnen, wenn nicht die Vereinigung der eigentlich zusammengehörigen Paare? Passen Ferrando und Fiordiligi nicht besser zusammen als Fiordiligi und Guglielmo? Sind Dorabella und Guglielmo nicht wie füreinander geschaffen? Vielleicht entscheidet Mozart sich für den überraschend feierlichen Tonfall inmitten aller Turbulenz, weil er die maskierten Paarbeziehungen in Ordnung oder sogar besser als die ursprünglichen findet.
Doch welche Bedeutung hat es dann, dass der Kanon nur drei Figuren in einem musikalischen Rauschzustand zeigt, während die vierte uns schimpfend auf den Boden der harten Bühnenrealität zurückholt? Hadert Guglielmo hier nur deshalb, weil er merkt, dass ihm als Bariton der Kanon zu hoch liegt? Nein, sein männliches Ego scheint stark lädiert. Die innere Verstörung aufgrund des Vorgefallenen ist bei Guglielmo größer als bei Ferrando. Wenn dieser Querulant musikalisch aus dem Kanon ausschert, einen Kontrapunkt in die strenge Imitation einbringt, kann man das, wenn man will, sogar als Hinweis auf sein Schuldbewusstsein werten. Und sobald der Betrug der Männer während der letzten Minuten der Oper unwiderruflich auffliegt, gibt es noch mehr offene Fragen: War alles nur ein kalkuliertes Gleichnis, eine Parabel der Selbsterkenntnis, Chiffre für die wechselhafte Natur des Menschen? Nur ein geometrisch angelegtes Schachspiel auf der Landkarte der Liebe?
Kommentare (1)
Dienstag, 25.Oktober, 11:37 Uhr
Ulrich von Wrochem
BR Klassik Cosi fan tutte
Es ist doch der Widerspruch , in dem sich der Mensch-nicht das Tier- zeitlebens befindet und ihn zu lösen versucht, indem er gezwungen ist, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden. Einen Kompromiß zu finden, gelingt dem Erfolgreichen, eine Balance und einen Weg heraus aus diesem ewigen Konflikt zu finden, gelingt nur einem Genie, wie Mozart in „Cosi van tutte“ uns mit seiner Musik beweist.
Ulrich von Wrochem