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Dokufilm "Dancing Pina" Pina Bausch in Afrika

Pina Bausch war eine der einflussreichsten Choreografinnen des 20. Jahrhunderts. Als die Frau, die das Städtchen Wuppertal weltberühmt gemacht hat, im Jahr 2009 starb, hat sie 55 Choreografien hinterlassen. Der Film "Dancing Pina" von Florian Heinzen-Ziob zeigt gleich zwei von Pina Bauschs Frühwerken aus den 1970er Jahren. Einstudiert werden sie auf zwei Kontinenten – ein Hin und Her zwischen Afrika und Europa. Sehenswert!

Bildquelle: Mindjazz Pictures

Filmkritik

"Dancing Pina"

Eine Tänzerin im schwarzen langen Shirt liegt auf dem Boden, Gesicht nach unten. Sie schmirgelt die Fläche mit den Händen – eine simple Bewegung. Kann jeder. Aber: zu zaghaft, findet Malou Airaudo. Sie soll wirklich fühlen, was sie da tut, nicht bloß mit den Fingerkuppen herumwischen! Malou ist eine von mehreren ehemaligen Mitgliedern des Wuppertaler Tanztheaters, die nun anleiten und ihre Erfahrungen weitergeben an die junge Generation. Malou Airaudo hat Pina Bausch in New York kennengelernt. „Das war so 1970. Sie kam rein und sagte ganz leise 'Hallo… hallo….' und von dem Moment an waren wir wie Schwestern. Pina hat mich geliebt, wie ich bin."

Nur was ich spüre, kann ich zeigen

Szene aus Dancing Pina | Bildquelle: Mindjazz Pictures Nur was ich spüre, kann ich zeigen... Pina Bauschs Choreografien zu erarbeiten, ist hart und schweißtreibend für die Tänzer*innen. | Bildquelle: Mindjazz Pictures Die Hände anheben fallen lassen, spüren und atmen…. Irgendwie verlockend ist das, was da Harmloses auf der Leinwand passiert. Es verlockt zum Nachdenken. Wie ist das, wenn ich was anfasse, mich drehe und nach einem Glas greife. Bin ich mir meiner Bewegung bewusst? Null. Ich will etwas, deshalb setze ich die Füße voreinander. Aber spüre nicht den Boden unter mir, die Luft, die ich mit jedem Schritt verdränge. Was sich nach Räucherstäbchen- und Selbsterfahrung-auf Teufel-komm-raus - anhört, ist viel mehr, es ist die zentrale Haltung im Tanz bei Pina Bausch und das Thema in "Dancing Pina". Nur was ich spüre, kann ich zeigen.

Zwischen Spiegelsaal und Bretterbühne

Wie hart, wie komplex, wie schweißtreibend das für jeden Einzelnen, für jede Einzelne ist, das zeigt der Film an zwei unterschiedlichen Orten, mit zwei komplett anders aufgestellten Compagnien. Im Schwenk zwischen dem steril anmutenden Spiegelkabinett, also dem Ballettsaal der Semperoper in Dresden, und einer Bretterbühne. Der Blick schweift hier erst mal in die Ferne auf eine karge Landschaft, Vögel zwitschern wie irre, die Tanzfläche wird mit einer Zeltplane vor der Sonne geschützt. Wir sind in der École des Sables in einem Fischerdorf im Senegal, unweit von Dakar. So gegensätzlich wie die Orte, so unterschiedlich auch die Tänzer-Körper: die einen weiß, filigran. Perfektionsgetriebene Ballerinen aus aller Welt in Dresden. Die anderen von schwarzer Hautfarbe, sichtbare Muskulatur, aus dem traditionellen Tanz und aus ganz Afrika kommend, ohne klassischer Ausbildung.

Für mich als streng klassische Ballerina ist das, als ob ich neu laufen lernen muss.
Tänzerin Sanguen Le über Pina Bauschs Choreografie

Szene aus Dancing Pina | Bildquelle: Mindjazz Pictures In Dresden arbeitet die Tanzcompagnie Pina Bauschs Ballettoper "Iphigenie auf Tauris". | Bildquelle: Mindjazz Pictures In Dresden arbeitet man an Pina Bauschs Ballettoper "Iphigenie auf Tauris" zu Musik von Christoph Willibald Gluck. "Mehr Zeit für all die neuen Schritte" braucht die Solistin Sanguen Le. "Für mich als streng klassische Ballerina ist das, als ob ich neu laufen lernen muss." Im Senegal arbeitet man an "Le Sacre du Printemps" mit Musik von Strawinsky. Das Überraschende: Keine der beiden Truppen ist besser oder schlechter, graziler oder plumper, schneller im Lernen oder langsamer. "Sacre ist eine Reise, es geht nicht um Perfektion", erklärt ein Tänzer und schiebt sein Stirnband zurecht. Beide Gruppen müssen extrem hart arbeiten, sie drehen sich, flattern, wedeln, krabbeln, springen, hüpfen, stampfen, kippen und fallen. Ja  - fallen, das gehört dazu, bei Pina Bausch. Fallen steht für Loslassen. "Ihr bekommt das super hin, Jungs, euch fallen zu lassen", sagt einer der Pina-Experten, "die klassischen Tänzer schaffen das nicht so schnell, weil sie alles mit dem Kopf kontrollieren wollen."

Kopieren kann man bei Pina Bausch nicht

Der Schweiß fließt in Dresden wie im Senegal, die Haut glänzt, man möchte allen am liebsten die Tropfen von der Stirn wischen. Und sagen, wie gut sie das machen. Denn die ehrwürdigen Pina-Bausch-Profis und -Solisten von damals, sie sind streng. Und unerbittlich darin, die Tänzerinnen und Tänzer zu sich selbst zu geleiten. Weil: Kopieren kann man Pina Bausch nicht. Jeder muss seine Persönlichkeit, seine Motivation, sein Gefühl einbringen. Selbst wenn Iphigenie nur den kleinen Finger windet.

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DANCING PINA   Trailer  Kinostart 15.09.2022 | Bildquelle: mindjazzpictures (via YouTube)

DANCING PINA Trailer Kinostart 15.09.2022

Schritt für Schritt ist man dabei, wenn die Tänzerinnen und Tänzer mutiger werden, natürlicher. Die klassischen Ballerinas ihre hochmütige Kühle ablegen und unfassbar fragil werden. Wenn die afrikanischen Frauen an Selbstbewusstsein gewinnen, kraftvoll aufblühen unter den Rhythmen von Strawinsky. "Hier will niemand, dass wir Frauen mit 25 heiraten, Familie haben, wir müssen auf Niemanden Rücksicht nehmen, auch nicht auf Konventionen, dürfen uns einfach ausdrücken, und selbst spüren, stolz sein, Frau sein", sagt eine Tänzerin.

Strawinsky am Strand

Szene aus Dancing Pina | Bildquelle: Mindjazz Pictures Die afrikanische Tanzcompagnie wollte eigentlich mit der neuen Choreografie auf Tournee gehen. Dann kam Corona dazwischen. | Bildquelle: Mindjazz Pictures In Dresden kommt die "Iphigenie" im Dezember 2019 auf die Bühne. Die Tournee der afrikanischen Compagnie wird gecancelt. Es ist März im Jahr 2020. Corona. Die Niedergeschlagenheit, die Traurigkeit, als die Botschaft kommt, die ist spürbar und nimmt einen mit. "All die Länder in Europa, in Afrika, Ghana, Burkina Faso, Kenia, wo wir hin wollten… so kann doch nicht das Ende sein?", fragt eine Tänzerin. Nein, es ist nicht das Ende. Trotz des Verbots führt die Compagnie "Le sacre du printemps" auf. Sie tanzen am Strand – zu Musik von Strawinsky.

Sendung: "Allegro" am 15. September 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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