Eine Meldung wie ein Paukenschlag, auch wenn viele in der Klassikszene sie irgendwann erwartet haben. Daniel Barenboim tritt als Generalmusikdirektor der Staatsoper zurück. Zum 31. Januar bittet er den Kultursenator um die Auflösung des Vertrages. Aus gesundheitlichen Gründen.
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Mit Beethovens Neunter Sinfonie endete zum Jahreswechsel Daniel Barenboims Zeit als Generalmusikdirektor an der Staatsoper Berlin nach über 30 Jahren. Seine schwere Erkrankung seit dem Sommer ließ viele zweifeln, ob er das lange Werk von mehr als 80 Minuten überhaupt noch durchhalten könne. Aber Daniel Barenboim steht seit seinem sechsten Lebensjahr auf der Bühne, er liebt es, so erzählte er mir einmal, vor Publikum zu spielen. Es strengte ihn nie an, er kannte kein Lampenfieber: "Die Leute denken, dass man müde wird beim Musizieren, Dirigieren oder Spielen. Das Gegenteil ist der Fall, man bekommt Energie von der Musik. Von jedem Konzert, jeder Probe bekomme ich Energie."
Oft bin ich müde vor einem Konzert – aber danach bin ich absolut frisch.
Deshalb hat es ihn ungeheuer geschmerzt, die Neuproduktion von Wagners "Ring des Nibelungen" im Herbst nicht dirigieren zu können und sein Konzert zum 80. Geburtstag im November ausfallen lassen zu müssen. Barenboim hat diesen Klangkörper, die Staatskapelle geformt. Das Ensemble mit seinem dunklen, dennoch strahlenden Klang konnte zu einem Spitzenorchester wachsen und sowohl in der Staatsoper als auch auf zahlreichen Tourneen weltweit umjubelte Erfolge feiern. Mit dabei seit vielen Jahren ist die Geigerin Susanne Schergaut. Sie war lange im Orchestervorstand: "Was verbinde ich mit Daniel Barenboim? 30 Jahre großartiges Musizieren. Ich hoffe, dass er zufrieden und glücklich auf sein Lebenswerk gucken kann. Es ist unfassbar, was er erreicht hat."
Er hat ein Leben für drei geführt.
Die Bratscherin Sophie Reuter hat den Chefdirigenten ebenfalls geachtet wegen seiner Führungsstärke und seiner genialen Musikalität: "Wenn ich an Daniel Barenboim denke, denke ich an die größtmögliche Leidenschaft für die Musik, an absolute Selbstdisziplin für sich und andere. Und ich denke an die Musik in jeglicher Form, im Gesang, in der Kammermusik, als Solist, im Orchester. Ich denke an die wundervollste Version von "Tristan und Isolde", die ich selbst miterlebt habe. Und ich denke an einen Menschen, der für die und in der Musik lebt."
Nicht alle Orchestermusikerinnen und -musiker haben Daniel Barenboims Führung geschätzt. Musikalisch unangreifbar, galt er im menschlichen Umgang hie und da als schwierig. Er selbst führte dies auf sein argentinisches Temperament zurück. Fest steht: Es gab viele Vorwürfe, er habe Menschen vor anderen gedemütigt. Diese Probleme setzten Barenboim in den vergangenen Jahren sehr zu. Auch gesundheitlich. Sein Pensum war immer extrem. Der Intendant der Staatsoper, Matthias Schulz, verbindet mit Barenboim den Begriff "Weltkünstlerpersönlichkeit".
Barenboim dankt in seinen Rücktrittsworten explizit nicht nur dem Orchester, sondern auch Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, beide hätten ihn, wie auch Kultursenator Klaus Lederer, immer unterstützt. Beispielsweise bei der Gründung der Gründung der Barenboim Said Akademie und beim Bau des Boulezsaals. Barenboims Aura und sein Ruf haben Berlins Klassikszene stark geprägt. Wer ihm folgen wird, das ist noch nicht sicher, die Diskussionen laufen schon länger. Alle Namen wären Gerüchte. Heute ist es an der Zeit, dem 80-jährigen Daniel Barenboim zu danken für alles, was er dieser Stadt als genialer Generalmusikdirektor gegeben hat.
Bildquelle: Monika Rittershaus
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Maria Ossowksi (rbb) zum Rücktritt von Daniel Barenboim
Kommentare (4)
Samstag, 07.Januar, 11:34 Uhr
Gufo
Rücktritt
Wer sich mit 80 aus dem Berufsleben zurückzieht, muß dankbar für die lange Schaffenskraft sein. Und wenn es ein Perfektionist und musikalischer Allrounder wie Barenboim ist, muß man ihm dafür dankbar sein, dass man seine musikalische Genialität so lange erleben durfte.So verwundert es nicht,dass ihm in Berlin von politischer Seite viele Wünsche, die auch finanziell unterfüttert werden mußten, erfüllt wurden.
Samstag, 07.Januar, 11:34 Uhr
Steffen
@Elli7
Wie hier letztens zu lesen war hat dieser "bewunderndernswerte Pazifist" zusammen mit seiner damaligen Frau Jacqueline du Pré zur moralischen Stärkung der israelischen Truppen während des 6-Tage-Krieges (ein lupenreiner Angriffskrieg nebenbei) vor isreelischen Soldaten gespielt.
Wenn Sie Barenboim musikalisch höher bewerten als ich, der ich ihn teilweise durchaus schätze (ich habe für mich sehr gelungene Aufnahmen genannt), dann ist das eben so. Ich gönne Ihnen auch Ihre beglückenden Live-Erlebnisse, aber tue mir darum nicht leid.
Über den musikalischen Geschmack lässt sich halt nur teilweise sinnvoll streiten (über Politik freilich auch). Man muss akzeptieren, dass es verschiedene Meinungen gibt.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Samstag, 07.Januar, 02:39 Uhr
Elli7
Zum Glück...
war Daniel Barenboim "beileibe kein Solti oder Karajan", denn er war und ist viel mehr als einer der beiden Herren. Er hat mehr musikalisches Talent als die genannten und noch einige mehr zusammen. Wer das nicht hört und erkennt, kann mir nur leid tun.
Ob er als Furtwängler-Nachfolger gesehen werden kann oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich Furtwängler nie live erleben konnte. Gerade das Live-Erlebnis hat aber bei Barenboim immer eine besondere Qualität.
Was sein humanistisches Wirken betrifft, so war und ist er immer ein Vorbild, ein bewundernswert Pazifist ohne jeglichen Hang zum Opportunismus.
Ich danke ihm für viele musikalische Erlebnisse, für Sternstunden auf der Opernbühne und im Konzertsaal und werde ihn sicher sehr vermissen.
Freitag, 06.Januar, 15:55 Uhr
Steffen
Dreissig Jahre...
...sind für jeden Dirigenten eine (zu) lange Zeit, um einen wichtigen Klangkörper zu leiten. Und Barenboim war vom musikalischen Talent her beleibe kein Solti oder Karajan.
Dass er sich irgendwie als spirituellen Erben von Furtwängler gesehen hat, ist beim Nachhören seiner Beethoven- und Bruckneraufnahmen absolut nicht nachvollziehbar. Seine wenigen für mich sehr guten Aufnahmen - Mahler 7 (SK Berlin), Verdi-Requiem (Scala), Sacre (Chicago) waren außerhalb des Furtwängler-Repertoires.
Auch sein politisches Engagement, das von den Medien so unendlich gehypt wird, kann man auch anders sehen.
Ich bin froh, dass die Barenboim-Ära endlich vorbei ist.