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Tony Bennett, Lady Gaga oder Aki Takase Unsere Top Ten Jazzalben 2021

Was haben Enrico Rava, Lady Gaga und Tony Bennett sowie Aki Takase gemeinsam? Sie alle haben es in unsere Top Ten der Jazzalben 2021 geschafft – ausgesucht von Beate Sampon, Ulrich Habersetzer und Roland Spiegel aus der Jazzredaktion von BR-KLASSIK: Musik zum Verschenken, Selbst-Hineinversenken – oder einfach nur zum Entdecken.

Jazz-Alben des Jahres 2021 | Bildquelle: BR/IMPULSE!/Columbia/Fine Music/Blue Note

Bildquelle: BR/IMPULSE!/Columbia/Fine Music/Blue Note

Tony Bennett & Lady Gaga: "Love for sale" (Columbia 00602435492766)

Cover Tony Bennett & Lady Gaga: Love for sale | Bildquelle: Columbia Tony Bennett & Lady Gaga: Love for sale | Bildquelle: Columbia Sie: ein Superstar, 150 Millionen verkaufte Alben, als Schauspielerin 2019 für den Oscar nominiert, gerade im Kino in "House of Gucci" zu sehen. Er: eine Legende! Manche sagen Entertainer zu ihm, andere Crooner, für mich ist er ein Jazzer durch und durch. Wenn Tony Bennett, im Sommer wurde er 95 Jahre alt, auf Lady Gaga, 35, trifft, dann kommt dabei herrlich swingender, lustvoller, augenzwinkernder Jazz heraus, den man einfach gehört haben muss!
"Love for Sale" ist schon ihr zweites Album. In der hübschen Deluxe-Box ist als Zuckerl noch eine Live-Version ihres ersten Albums "Cheek to cheek" dabei. Für "Love for sale" wurden nur Kompositionen des genialen Cole Porter ausgewählt, für sich schon Meisterwerke. Marion Evans und Jorge Calandrelli haben die Bigband- und Orchesterarrangements zu den Stücken geschrieben und beide haben richtig gute Arbeit geleistet. Oldschool, aber nicht altbacken, witzig, aber nie klamaukig sind die Arrangements, das ist hohe Kunst. Und wenn Tony Bennett und Lady Gaga dann die hintersinnigen Texte zu "I’ve got you under my skin" oder "You're the top" singen, sind wir auf dem Jazzolymp angekommen. Sentimental kann man aber auch werden, denn Ende November hat Bennetts Familie auf Grund seiner Alzheimererkrankung seinen endgültigen Rückzug von der Bühne bekannt gegeben. (Ulrich Habersetzer)

John Coltrane: "A Love Supreme live in Seattle" (IMPULSE 00602438499977)

Cover John Coltrane: A Love Supreme live in Seattle | Bildquelle: IMPULSE! John Coltrane: A Love Supreme live in Seattle | Bildquelle: IMPULSE! Schön klingt das erstmal nicht. Nebengeräusche, das Schlagzeug ist zu laut, das Saxophon zu leise, das Klavier kommt von rechts außen, die beiden Bässe grummeln irgendwo herum. ABER: Das macht nichts! Diese Musik ist die pure Energie. Sie hat einen Magnetismus, dem ich mich beim Hören nicht mehr entziehen konnte. Einmal aufgelegt und an den Schuhkarton-Sound gewöhnt, fesselt einen das, was da passiert, komplett.
1965, am 2. Oktober: John Coltrane, damals schon der prägende Saxophonist der Jazzwelt, steht im "Penthouse" in Seattle auf der Bühne, die Musiker seines legendären Quartetts bei ihm, dazu die Saxophonisten Paroah Sanders und Carlos Ward sowie der Bassist Donald Garrett. Gemeinsam spielen sie Coltranes zehn Monate vorher aufgenommenes viersätziges Meisterwerk "A love supreme", erweitert um Interludes zwischen den vier Sätzen. Die Aufnahme wurde Ende 2020 entdeckt und sie ist von entscheidender Bedeutung: John Coltrane geht hier mit bekanntem kompositorischem Material den Schritt hin zur großen Offenheit in seiner Musik. Das verstört! Das hat auch mal keine Melodie mehr, obwohl ganz viel thematische Kraft in der Musik steckt. Das hat keinen Rhythmus, obwohl die Musik zum Bersten swingt. Das ist ein Tongewitter, obwohl Harmonien klar zu hören sind.
Legen Sie das Album nach dem Weihnachtstrubel und der Festtagsseligkeit auf und hören Sie es komplett an. Eine bessere Musik um Altes hinter sich zu lassen und gestärkt in die Zukunft zu blicken, gibt es kaum! (Ulrich Habersetzer)

YUMI ITO & SZYMON MIKA: "EKUAL" (Hevhetia 0217-2-331)

Cover Yumi Ito & Szymon Mika: Ekual | Bildquelle: Hevhetia Yumi Ito & Szymon Mika: Ekual | Bildquelle: Hevhetia In sieben Kapiteln wird auf diesem Album aus immer wieder neuen, spannenden Blickwinkeln eine Geschichte von romantischer, sich sehnender, leidenschaftlicher Liebe erzählt. Yumi Ito, die Schweizer Sängerin polnisch-japanischer Herkunft, vermag das in wunderbarer Weise. Wortlos beredt in schwebenden Vokalisen und jauchzenden Improvisationen, aber vor allen Dingen, wenn sie den Sinn ihrer Texte mit dem Klang jeder gesungenen und gespielten Note so verschmilzt, dass eine lockend tönende, ungemein facettenreiche Poesie entsteht. Die kreiert auch der virtuose Gitarrist Szymon Mika mit einer Vielfalt von Tongebungen während er sich mühelos zwischen ostinaten Figuren und avancierten Melodieverläufen bewegt. Obertonreiche Flageoletts, ein Wechselspiel von abgedämpften und leuchtenden Tönen, nur kurz - aber umso effektvoller auch mal kräftig angeschlagene Akkorde und Perkussion auf dem Korpus seines Instrumentes. Was für ein Zauber den beiden gelingt. Man lauscht gebannt. So soll es sein. Bravo! (Beate Sampson)

Julian Lage: "Squint" (Blue Note 0602435521510)

Cover Julian Lage: Squint | Bildquelle: Blue Note Julian Lage: Squint | Bildquelle: Blue Note Nicht zu fassen, was die sechs Saiten bei diesem Gitarristen alles können: Sie singen, sie jubilieren, sie grooven, sie heulen rockig auf und sie wandern mit größter Lässigkeit durch noch so vertrackt jazzige Tonfolgen. Richtig abgefahren klingt das manchmal. Aber eben nie angestrengt. Oder gar: anstrengend. Ganz das Gegenteil ist hier der Fall: Der 1987 geborene amerikanische Gitarrist Julian Lage ist ein Meister des Hörlust-Weckens. "Squint" (Blinzeln, Schielen) heißt die 2021 erschienene CD seines Trios mit Jorge Roeder (Bass) und Dave King (Schlagzeug). Darauf zu finden sind hauptsächlich Eigenkompositionen des Bandleaders - die klingen bluesig, lyrisch, ironisch, schimmern in feinen Querbezügen zwischen Stilen und Genres. Stundenlang könnte man staunend und voller Vergnügen verfolgen, wie dieser junge Gitarrenstar, der ganz schmächtig und unspektakulär aussieht, aber die Finger so elegant auf dem Griffbrett tanzen lässt wie kaum ein anderer, die Töne zieht und knetet und genüsslich ausschwingen lässt. Das Zuhör-Glück ist perfekt, wenn Julian Lage am Schluss, wie ein musikalisches Augenzwinkern, auch noch eine herrlich schnulzige Melodie aus einem Western-Film ("Call of the Canyon", 1942) auf seiner "Telecaster"-E-Gitarre zum schillernden Schluchzen bringt - und dabei durch seine enorme Spiel-Eleganz auch noch jeden Anflug von Kitsch stilvoll umgeht. Herrlich! Da gibt’s nur eines: das ganze Album nochmal von vorn! (Roland Spiegel)

Leléka: "Sonce u serci" (Fine Music FM 321-2 )

Cover Leléka: "Sonce u serci" | Bildquelle: Fine Music Leléka: "Sonce u serci" | Bildquelle: Fine Music Leléka heißt "Storch" auf ukrainisch und der Storch bringt bekanntlich die Babys. "Sonce u serci" (Sonne im Herzen) ist das erste Baby von Leléka, ein erstes komplettes Album, nach zwei kürzeren EPs. Die Berliner Band um die ukrainische Sängerin Viktoria Leléka gibt es seit 2016, in diesen fünfJahren hat das Quartett kontinuierlich seinen Sound und Stil verfeinert. Natürlich ist die Stimme von Viktoria Leléka das Erste, was einen anspricht. Ich verstehe zwar kein Wort, die Texte sind auf ukrainisch, teilweise sind es Volkslieder, teils Eigenkompositionen, aber wie sie flüstert, schimpft, schreit, trauert oder jubiliert beim Singen, das vermittelt die Bedeutung, auch ohne die Worte zu verstehen. Auf der Homepage von Leléka finden sich alle Texte in englischer und deutscher Übersetzung, ein gutes Feature.
Aber Viktoria Lelékas Stimme macht "Sonce u serci" nicht allein so außergewöhnlich. Das herausragende, äußerst plastische Bassspiel von Thomas Kolarzcyk trägt die Stimme perfekt, dazu kommen die subtilen, fein-gesponnenen Harmonien von Pianist Povel Widestrand und die kraftvollen Rhythmen von Jakob Hegner. Das ist perfekt ausbalancierter Weltmusik-Jazz, an dem sicher nicht nur reine Jazzfans ihre Freude haben können! Und: Es ist das erste Baby, hoffentlich dürfen wir uns auf eine richtige Leléka-Großfamilie freuen! (Ulrich Habersetzer)

MICHAEL MAYO: "BONES" (Artistry Music ART7074 )

Cover MICHAEL MAYO: "BONES" | Bildquelle: Artistry Music Michael Mayo: "Bones" | Bildquelle: Artistry Music Die spannende Musik auf dem Debütalbum des amerikanischen Sängers und Komponisten Michael Mayo ist komplexer Jazz und zugleich ein souliges Freudenfest. Seine Stimme ist anschmiegsam. Federleicht und griffig im Ton fliegt er durch die Register, aus sonoren Tiefen hinauf in jubilierende Höhen. Wer einigermaßen Englisch kann, wird sich über die großartige Textverständlichkeit freuen. Wer Freude hat am avancierten Umgang mit Harmonien, an spielerischen Vokalimprovisationen und dem Sound einer unwahrscheinlich swingend auf den Punkt spielenden Fusion-Band ebenfalls. Die ausgetüftelten Chöre singt der 28-jährige Musiker alle selbst. Auf die Spitze der Polyphonie treibt er das Vergnügen bei einem Stück, das er alleine im begehbaren Schrank seiner New Yorker Wohnung aufgenommen hat. Da ist dann im Pressetext von rekordverdächtigen 250 Spuren die Rede. Das ist Jacob-Collier-verdächtig. Klingt aber nach dem ganz eigenständigen Erschließen kunterbunter Harmonie- und Rhythmuswelten. Eine Entdeckung und Empfehlung ist dieser energiegeladene neue Stern am Sängerhimmel - auch für alle, die gerne zu solchem Jazz im weitgedachten Sinne tanzen. Yeah. (Beate Sampson)

Enrico Rava: "Edizione Speciale" (ECM 2672)

Cover Enrico Rava: Edizione Speciale | Bildquelle: ECM Records Enrico Rava: Edizione Speciale | Bildquelle: ECM Records Nach 63 Minuten und 45 Sekunden ertönt ein Ruf und er fasst die komplette Musik zusammen, die wir bis dahin auf dem Album "Edizione Speciale" hören konnten: Ein kehliges "Bravo". Aus tiefer Seele eines Zuhörers scheint dieser Ruf zu kommen. Bravo für die Reise, auf die ihr mich mitgenommen habt! Bravo für all die Gefühle, die ich durch und mit eurer Musik erfahren durfte! Bravo dafür, dass eure Klänge mein Leben reicher gemacht haben! Bravo für Enrico Rava und sein Sextett! Der Italiener ist eine Jazzlegende. Er hat eine unstillbare musikalische Neugier und geht in jedem Bühnenmoment neu auf seine Mitspieler und seine Musik ein. Diese Spielhaltung ist auf dem Album „Edizione Speciale“ vom ersten bis zum letzten Ton zu spüren. Gemeinsam mit seinen viel jüngeren Mitmusikern zeigt Rava in dieser Live-Aufnahme, entstanden am 18. August 2019 in Antwerpen, zwei Tage vor seinem 80. Geburtstag, dass seine Art des Jazz vor allem Lebendigkeit und Hingabe ausstrahlen muss. Ein sinnliches, kantiges und trotzdem melodieverliebtes Album. Bravo, mehr gibt es nicht zu sagen! (Ulrich Habersetzer)

Craig Taborn: "Shadow Plays", ECM 2693

Craig Taborn - Shadow Plays | Bildquelle: ECM Records Bildquelle: ECM Records So muss sich ein Musiker erst einmal anzufangen trauen: Minutenlang hört man hier nur ein langsames Trillern. Diese Musik scheint zu sagen: Wart’s ab, da kommt schon noch was. Und das stimmt auch. Der amerikanische Pianist Craig Taborn, geboren 1970 in Detroit, hat die komplette Musik seines Albums "Shadow Plays" spontan improvisiert - und zwar in einem Konzert, das am 2. März 2020 im Wiener Konzerthaus aufgenommen wurde. Bald merkt man: Er erschafft mit den sieben Stücken dieses Albums eine logisch aufgebaute, größere Form. Über rund 75 Minuten spannt er einen bezwingenden Bogen. Dabei verlässt er sich nie auf Floskeln oder naheliegende Patterns, sondern scheint alles, was da erklingt, wirklich im Moment zu entdecken und zu erforschen. Das kann ganz schön schroff, harsch und monolithisch klingen. Aber immer hält man den Atem an, weil hier nichts vorhersehbar ist. Und am Ende, in einem Stück namens "Now In Hope", geht die ganze fesselnd aufgeladene Spannung in inniger Sanftheit auf: Kein Schluss wäre passender gewesen für diese sich in die Tiefen wühlende, kraftvolle und jede Hör-Anstrengung lohnende Musik. (Roland Spiegel)

AKI TAKASE & DANIEL ERDMANN: "ISN’T IT ROMANTIC" (BMC RECORDS 5998309303012)

Cover Aki Takase & Daniel Erdmann: "Isn’t it romantic"
| Bildquelle: BMC Records Bildquelle: BMC Records Obwohl die Pianistin Aki Takase und der Tenorsaxophonist Daniel Erdmann ihr CD-Debüt im Duo nach einem Musicalklassiker von Richard Rogers und Lorenz Hart mit sanft durchscheinender Ironie "Isn't it romantic?" genannt haben, spielen sie darauf erstmal je sechs eigene Kompositionen, bevor sie das Album mit einer herrlich nostalgischen Fassung des Standards beschließen. Die eigenen Stücke sind jedes für sich ein packender Krimi, bei dem die immer wieder unerwarteten Wendungen Teil einer bestechenden Logik werden. Die Themen sind ganz frisch und altersweise zugleich - eine neu erschaffene Jazztradition. Mit der unwahrscheinlichen Energie ihres Zusammenspiels gelingen Aki Takase und Daniel Erdmann, diesen beiden in ihrer Musik höchst diskursfähigen und sich variantenreich verständigenden Menschen, Jazzklassiker der Gegenwart, die einen vom ersten Ton an gefangen nehmen und über die gesamte Albumlänge nicht loslassen. (Beate Sampson)

Marcin Wasilewski Trio: "En attendant" (ECM 2677).

Cover Marcin Wasilewski Trio: "En attendant" | Bildquelle: ECM Records Marcin Wasilewski Trio: "En attendant" | Bildquelle: ECM Records Dieser Klavierklang: Weicher, inniger, klarer geht es nicht. Der polnische Pianist Marcin Wasilewski, geboren 1975, einst Begleiter des großen Trompeters Tomasz Stanko, spielt so, dass jeder Ton ein Genuss ist. Das hält er durch - und es wird nicht langweilig. Sein Trio mit Slawomir Kurkiewicz am Kontrabass und Michael Miskiewicz am Schlagzeug wird seit rund 15 Jahren international gefeiert – und das nicht umsonst. Alles ist organischer Fluss bei diesen Musikern. Fein, hochgradig sensibel und von besonderer Wärme ist ihr musikalisches Miteinander. In diesem traumhaft-schönen Album hat auch die Stück-Auswahl besonderen Reiz: eine Komposition von Bach (das Trio variiert hier im Klang des zeitgenössischen Jazz die zarte "Variation 25" aus den Goldberg-Variationen), die berühmten "Riders on the storm" von den "Doors" (hypnotisch hier gerade im verhaltenen Sturm dieser Aufnahme), eine Komposition der Jazz-Ikone Carla Bley ("Vashkar"), drei sehr unterschiedliche Teile eines offenbar komplett improvisierten Stücks ("In motion", wo die Kommunikation dieser Musiker auch mal eine kantig-nervöse Energie entfaltet) - und die sehr melodiöse Wasilewski-Eigenkomposition "Glimmer of Hope", die man gern auf die aktuellen Zeiten beziehen kann, auch wenn die Aufnahmen bereits vom August 2019 stammen. Das ist Musik zum Hineintauchen. Aber nicht: zum Abtauchen. Hellwach und mit sehr gespitzten Ohren genießt man diese musikalischen Schönheiten am intensivsten. (Roland Spiegel)

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Mittwoch, 29.Dezember, 21:21 Uhr

Peter Gollong

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