Es ist unsichtbar, flüchtig und nur an bestimmten Orten zu erleben: das Echo. Schon in der Antike hat es die Menschen fasziniert. Heute kann man es mithilfe moderner Technik genau lokalisieren und akustisch perfekt einfangen. Dafür hat sich ein Schweizer Team in die Berge begeben, mit mehreren Mikrofonen und einem "Kunstkopf". In einer preisgekrönten Radiosendung des Schweizer Rundfunks stellt Autorin Bettina Mittelstraß das Projekt vor - und taucht tief in Geschichte, Mythos und Klang des Echos ein. Hier erzählt sie, wie sie mit den Echo-Jägern in die Berge aufbrach.
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Echo-Effekte in den Bergen zu vermessen - ist das mehr als eine vermessene Idee? Was ist so spannend am Echo, dass sich ein Sänger aufmacht, den Widerhall seiner Rufe in den Bergen zu kartografieren - wieder und wieder wie vom Jagdfieber erfasst? Um das herauszufinden, muss man die angestaubten Wanderschuhe aus dem Berliner Keller holen und in die Schweiz reisen: nach Luzern und von dort den Vierwaldstättersee entlang in den Kanton Schwyz ins Muotathal.
Stimmvirtuose Christian Zehnder | Bildquelle: © Heiner Grieder An einem regnerischen Junitag treffe ich am "Unteren Roggenloch" auf die Macher von "Echo Topos Schweiz". So heißt das Projekt des Schweizer Stimmvirtuosen Christian Zehnder, der für die Echo-Jagd ein audio-technisch hoch aufgerüstetes Expeditionsteam zusammengestellt hat. Oben auf der "Tor-Alp" will das Team zwischen zwei steilen Felswänden die Echos von Zehnders Rufen aufzeichnen. Wo genau, ist noch unklar. So unklar wie der von regennassen Wolken umnebelte Weg bergauf.
Die nassen Steine knirschen unter den Füßen, und es ist rutschig auf dem Weg durch den wilden Bödmeren Wald - ein alter Wald mit bis zu 500 Jahre alten Bäumen über einem der größten Höhlensysteme Europas. Mystisch wirkt das, und zwischen den von weißen Nebelschwaden verschleierten Bäumen erscheint mir Narziß - der verirrte Jüngling aus der antiken Sagenwelt. Ich meine, deutlich seine 2.000 Jahre alten Rufe zu hören: "Ist jemand hier?" Und schon antwortet die Nymphe Echo - auf die Rufe der ganz realen und gegenwärtigen Echo-Jäger.
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Mit Kopfhörer anhören: Ausschnitt aus der Sendung "Echo - von der Suche nach Widerhall"
(Bild: Nicolas Poussin, "Echo und Narziss")
Auf dem beschwerlichen Weg erzählen die Musiker John Brennan und Christian Zehnder und die Tontechniker von ihrer Suche - nach Echo, nach Resonanz, nach Begegnung, nach Geschichte, nach Raum und Verortung, nach Identität. Zehnder hat die App "Echotopos" entwickelt, eine Art digitales Echo-Archiv. Mithilfe dieser App kann man die Stellen mit den besten Echos in den Bergen finden - und selbstgefundene Echos in die Echo-Karte eintragen.
BR-Tontechniker Fabian Zweck und der Kunstkopf | Bildquelle: BR Für die Aufnahmen der Echos verwendet das "Echo Topos"-Team einen Kunstkopf. Diese Aufnahmen habe ich im Studio des Bayerischen Rundfunks für die preisgekrönte Hörfunksendung "Echo - Von der Suche nach Widerhall" weiterverarbeitet. Auch für die Aufnahmen, die im Studio entstehen, verwendet Tontechniker Fabian Zweck punktuell einen Kunstkopf. Dieser macht dreidimensionales Hören möglich. "Binaurales recording" nennt man das zugrunde liegende Aufnahmeverfahren. "Binaural, weil mit Aufnahmen über nur zwei Spuren beim Hörer ein dreidimensionaler akustischer Raumeindruck erreicht wird - ein 360 Grad Surround-Effekt", erklärt Fabian Zweck. Während der Aufnahmen stecken zwei Mikrofone tief in den Ohren des künstlichen Kopfes. Er sieht aus wie der einer Schaufensterpuppe und besteht aus einem Material, das dieselbe Dichte hat wie Schädelknochen und Fleisch.
Mit dem Kunstkopf kann das menschliche Hören imitiert werden. Und das ist weit komplexer als der reine Stereo-Effekt, was größtenteils an der Form von Kopf und Ohren liegt, sagt Fabian Zweck: "Dass wir die Richtungen des Schallereignisses ziemlich genau bestimmen können, liegt daran, dass die Form der Ohren und des Kopfes den Schall unterschiedlich einfärbt - mal dumpfer, mal heller. Das Gehirn verarbeitet diese Klangfärbungen und ermöglicht so unsere Raumwahrnehmung." Um die Aufnahmen, die mit dem Kunstkopf gemacht wurden, wirklich genießen zu können, sollte man also Kopfhörer aufsetzen. Ansonsten mischen sich die beiden Tonspuren, und der 360-Grad Effekt geht verloren.
Über Kopfhörer hört man den Raum, in dem der Kunstkopf stand.
Der Kunstkopf wird in den letzten Jahren häufiger mal im Studio eingesetzt. Schon deshalb, weil inzwischen viele Menschen unterwegs Podcasts über ihr Smartphone anhören. Immer mehr Autoren und Redakteure kommen auf die Idee, diese Technik auch im Feature oder Hörspiel einzusetzen - eine Technik übrigens, die bereits auf die 1920er Jahre zurückgeht. Sie wurde auch schon in den 70er Jahren für Hörspiele eingesetzt - allerdings nie für ganze Sendungen. Das lohnt sich nur dann, wenn man den Hörer in eindrucksvolle Räume mit vielen Schallereignissen führt: zum Beispiel die Bergwelt, in der ein Echo erschallt.
Freitag, 2. Dezember 2016, 19.05 Uhr
"Echo - Auf der Suche nach Widerhall"
von Bettina Mittelstraß
Eine Sendung von SRF2 Kultur, produziert in den Studios des Bayerischen Rundfunks in München