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Dirigentin Emmanuelle Haïm beim BRSO Klangzauber von Purcell und Händel

In England wird Emmanuelle Haïm "Ms Dynamite of French Baroque" genannt. Die Französin gilt als eine der interessantesten Künstlerpersönlichkeiten der Alte-Musik-Szene. Im BR-KLASSIK-Interview spricht die Dirigentin über ihre Liebe für die Musik von Henry Purcell und Georg Friedrich Händel. Diese Woche gastiert sie beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.

BR-KLASSIK: Wenn man ins Programmheft schaut, dann stehen da zwei Namen: Henry Purcell und Georg Friedrich Händel. Der eine war Engländer, der andere ein Deutscher. Auf den ersten Blick könnte man meinen, das ist ein Abend mit typisch englischer und typisch deutscher Barockmusik. Dem ist aber nicht so. Denn die französische Musik zum Beispiel hat schon zu Purcells Zeit, also im 17. Jahrhundert, die englische Musik beeinflusst. Wie kam das?

Emmanuelle Haïm: Als Charles der II. aus dem französischen Exil zurück nach England ging, hat er viele französische Musiker nach England mitgenommen. Sie haben ihre Art zu spielen mitgebracht, zum Beispiel die Stimmtonhöhe, die Inégalité, also die Art zu verzieren. Das hat sich dann gemischt mit dem, was in England war. Es gibt diese Verbindung zwischen dem Air de Cour, die man bei Purcell findet, und Händel. Er ist zuerst nach Italien gegangen, wo man Arkadien idealisierte. Es war eine perfekte Welt, voller Harmonie, die immer noch diese komplexen Liebesdinge hat, die es erlaubte, daraus unglaubliche Musik zu machen.

Für mich ist er einer der größten Komponisten Europas.
Emmanuelle Haïm über Georg Friedrich Händel

Das ist es, was wir in diesem frühen Werk von Handel haben. Da ist erstaunlicherweise viel italienischer Einfluss drin, der Einfluss französischer Literatur. Es ist also eine Art europäisches Programm. Wenn wir die Feuerwerksmusik anschauen, dann sieht man, dass Händel einen noch größeren Blick auf diese europäische Musik hatte. Für mich ist er in gewisser Weise einer der größten Komponisten Europas. Er hat etwas von den Italienern genommen, Deutsches mitgebracht, ein bisschen von den Franzosen gelernt und ist dann für die Briten der britischste Komponist geworden.

BR-KLASSIK: Diese Kantate von Händel, "Il delirio amoroso", Der Liebeswahn, hat drei große Arien, die die Instrumentalisten sehr herausfordern. Können Sie beschrieben, was Händel da macht?

Foto der Dirigentin Emmanuelle Haïm | Bildquelle: Marianne Rosenstiehl Dirigentin Emmanuelle Haïm gastiert mit Purcell und Händel beim BRSO. | Bildquelle: Marianne Rosenstiehl Emmanuelle Haïm: Also alle frühen Werke von Händel, sowohl die Kantaten als auch "La Resurrezione" und "Il Trionfo, Delirio", stammen aus einer Zeit als die Oper eine Zeit lang verboten war. Das meiste ist für Kastraten geschrieben worden, das macht es schwer zu singen, denn es gibt nicht viele Möglichkeiten zu atmen. Die Kastraten hatten so viel Luft und konnten unglaublich lange Linien singen, ohne zu atmen. Alle Instrumente, die in dieser Kantate verwendet werden, illustrieren das. Es handelt sich also um eine sehr opernhafte Kantate, in gewisser Weise haben wir am Anfang diese schöne arkadisch-bukolische Atmosphäre, mit einem kleinen Oboenkonzert, das einen schönen Spaziergang zu zweit beschreibt.

Es sind zwei Liebende. Dann stirbt der Mann. Wie kann das sein? Die erste Arie ist eine Beschreibung davon, wie die Schäferin durch den Himmel rennt, um ihn zu finden. Er muss da sein, denkt sie. Händel illustriert das durch die Solo-Geige, vielleicht hat sogar Corelli damals gespielt, wir wissen es nicht. Es ist unglaublich virtuose Musik, die Schäferin läuft in den Himmel, die Geige geht extrem hoch, beide, Sängerin und Solo-Geige haben schnelle Koloraturen, um in den Himmel aufzusteigen. Aber dann hat die Schäferin viele Zweifel: Vielleicht war er nicht so nett, vielleicht wurde er für irgendetwas bestraft und vielleicht muss er in diesem Fall in der Hölle sein. Also geht sie in die Unterwelt.

Ich bin von Musik besessen – und relativ stur. Wenn ich etwas unbedingt will, muss ich es irgendwann auch haben.
Dirigentin Emmanuelle Haïm

BR-KLASSIK: Ich habe erfahren, dass die Geigen heute Abend ein anderes Setup haben. Sie haben gebeten, dass die Geigen die E-Saite durch eine Darmsaite ersetzen, und Sie haben es den Geigern freigestellt, mit Barockbogen zu spielen. Warum haben Sie das gemacht?

Emmanuelle Haïm: Wir haben mit dem Konzertmeister geredet, was gut wäre für das Orchester, damit sie sich weiterentwickeln in puncto historisch informiertes Musizieren. Das Spielen auf dem Barockbogen hilft da enorm. Der moderne Bogen ist anders gebogen, er ist länger und schwerer und erlaubt nicht die Bogenführung, die man ganz natürlich macht, wenn man mit einen leichteren, kürzeren Barockbogen spielt. Dass die Musikerinnen und Musiker des Symphonieorchesters mit Barockbögen spielen, zeigt ihre Vielseitigkeit und Flexibilität. Sie kommen dadurch auch auf natürliche Art in eine aktivere Spielweise. Dasselbe gilt für Darmsaiten: Um Klang zu machen, muss man zwar tiefer und weicher in die Saite gehen, aber es hilft der Artikulation. Es sind sehr feine, kultivierte Spieler.

Klick-Tipp

Lesen Sie hier über das Starke Stück: Händels "Feuerwerksmusik"

BR-KLASSIK: Welches der drei Werke ist das, was Sie am meisten fasziniert?

Emmanuelle Haïm: Das ist so, als wenn Sie fragen würden, welches Ihrer Kinder sie bevorzugen. Sie sind alle interessant. Ich muss sagen, Purcell ist wirklich faszinierend, weil es einfach aussieht, aber es ist überhaupt nicht einfach. Es ist super ausgefeilt im Inneren und interessant. Alle Details sind wunderschön. Auch die unglaubliche Art, wie Händel in der "Feuerwerksmusik" für die Blechbläser und die Holzbläser schreibt ist wunderbar. Dieser noble Sound zum Beispiel im Satz "La paix", der ist so gut geschrieben: Er bringt uns wirklich den Frieden. Und "La Réjouissance" ist so fröhlich, so feurig und voller Leben. Also fragen Sie mich nicht, was ich wählen mag.

Live auf BR-KLASSIK

Freitag, 22.03.2024
20:05 Uhr
München, Herkulessaal

Henry Purcell: "The Fairy Queen", Auszüge
Georg Friedrich Händel: "Feuerwerksmusik", HWV 351
Georg Friedrich Händel: "Il delirio amoroso", HWV 99

Emmanuelle Haïm, Dirigentin
Lenneke Ruiten, Sopran
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

Das Konzert wird live auf BR-KLASSIK übertragen.

Sendung: "Leporello" am 22. März ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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