Vor 50 Jahren saßen nur wenige Musikerinnen in Orchestern, kaum ein Konzert wurde von einer Dirigentin geleitet. Werke von Komponistinnen auf den Programmen? Fehlanzeige. Seitdem hat sich viel getan. Trotzdem sind Frauen in der Klassikwelt immer noch unterrepräsentiert, zeigen Studien. Vor allem in bestimmten Positionen.
Bildquelle: picture alliance / Cultura RF | Hybrid Images
Wer im Jahr 1971 ein Orchesterkonzert besuchte, konnte die Musikerinnen auf der Bühne an einer Hand abzählen. Unter 100 Orchestermitgliedern waren im Schnitt gerade mal sechs weiblich. Dieses Bild hat sich seitdem glücklicherweise gewandelt: Frauen besetzen inzwischen 40 Prozent der Orchesterstellen in Deutschland. Das zeigt eine Erhebung des Deutschen Musikinformationszentrums (MIZ) aus dem Jahr 2020 für alle 129 öffentlich finanzierten Berufsorchester.
Fast sieben Mal so viele Orchestermusikerinnen wie vor fünfzig Jahren gibt es also – und es dürften durch den Generationenwechsel noch mehr werden. Während die Männer bei älteren Jahrgängen noch eindeutig überwiegen, dominieren die Frauen in der Altersgruppe zwischen 25 und 45 Jahren. "Die Zukunft der Orchester ist weiblich", prophezeite unisono-Geschäftsführer Gerald Mertens bereits vor einigen Jahren.
Bei den Berliner Philharmonikern ist der Frauenanteil im Orchester vergleichsweise niedrig. | Bildquelle: Monika Rittershaus Allerdings unterscheidet sich der Frauenanteil stark in den einzelnen Stimmgruppen. Beispiel Streichinstrumente: Je tiefer die Stimmlage, desto weniger Frauen finden sich in der Gruppe. In den Ersten und Zweiten Violinen sind Frauen mit rund 60% in der Mehrheit, während bei den Bratschen das Verhältnis der Geschlechter ausgeglichen ist. Bei den Violoncelli sind gerade mal 36% und bei den Kontrabässen sogar nur 15% Frauen. Auch beim Schlagwerk sowie den Holz- und Blechbläsern dominieren nach wie vor die Männer. Ausnahme: die Flöten mit einem Frauenanteil von über 65%. Das "weiblichste" Instrument im Orchester ist die Harfe: 118 Harfenistinnen und 8 Harfenisten gab es 2020 in deutschen Berufsorchestern. Die Geschlechterklischees der Instrumente spiegeln sich also auch im Orchestergraben.
Auch innerhalb der Stimmgruppen im Orchester ist das Verhältnis unausgeglichen. Je höher also die Führungsposition, desto weniger Frauen gibt es. Beispiel Streicher: In den Ersten Violinen spielen im Schnitt doppelt so viele Frauen im Tutti wie Männer. Beim Konzertmeisterposten ist es genau umgekehrt: Diese Position besetzen mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen. Die Berliner Philharmoniker haben erst im Februar 2023 zum ersten Mal eine Konzertmeisterin ernannt. Auch die Münchner Philharmoniker hatten bis 2021 nur männliche Konzertmeister in ihren Reihen.
Und noch etwas fällt auf in der MIZ-Studie: In den prestigeträchtigen Orchestern mit der höchsten Vergütung ist der Frauenanteil niedriger als im Durchschnitt. So sind bei den Berliner Philharmonikern gerade mal 21% der Orchesterstellen mit Frauen besetzt. Im Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks sind es immerhin 35%.
Oksana Lyniv ist seit 2022 Generalmusikdirektorin in Bologna und damit die erste Frau, die in Italien ein Opernhaus leitet. | Bildquelle: Michele Lapini / Teatro Comunale di Bologna Trotz des wachsenden Frauenanteils ist der Weg zu einer gerecht besetzten Orchesterlandschaft also längst nicht zu Ende. Das betrifft auch die Orchesterleitung: Nur 7% der Chefdirigent:innen international sind Frauen, so eine aktuelle Statistik des Online-Musikmagazins Bachtrack. Doch es geht aufwärts mit der Frauenquote. Während 2013 unter den meistbeschäftigten Dirigent:innen nur 4% Frauen waren, sind es zehn Jahre später schon 14%. Oksana Lyniv, Susanna Mälkki, Simone Young, Marin Alsop, Mirga Gražinytė-Tyla oder auch Nathalie Stutzmann haben sich ihren festen Platz am Pult der Spitzenorchester erobert. Als Nathalie Stutzman 2023 bei den Bayreuther Festspielen als zweite Frau überhaupt dirigierte, wertete sie das positiv: "Ansonsten war ich immer die Erste. Und dass ich die Zweite bin, beweist doch auch, dass sich auch hier etwas ändert!"
Und wie sieht's bei den Komponistinnen aus? Leider gilt hier nach wie vor: Werke von Frauen sind rar in den Konzertprogrammen. In der Saison 2020/21 spielten die Berliner Philharmoniker insgesamt 97 Werke – nur 3 davon von Komponistinnen. Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks führte in der gleichen Saison nur 4 Kompositionen von Frauen auf – bei 222 Werken insgesamt. Und bei der Dresdner Staatskapelle stand kein einziges Werk einer Komponistin auf dem Programm. Das ermittelte die Stiftung DONNE Women in Music.
Die in Südkorea geborene Komponistin Unsuk Chin ist seit Jahrzehnten international erfolgreich. 2024 bekam sie den Ernst von Siemens Musikpreis. | Bildquelle: dpa-Bildfunk/Rui Camilo Doch es tut sich was. Während vor zehn Jahren unter den meistgespielten Komponist:innen laut Bachtrack nur 1% Frauen waren, sind es aktuell über 10%. Besonders beliebt waren 2023 Stücke von Clara Schumann, Fanny Mendelssohn und Lili Boulanger. Immer mehr Orchester setzen auch Werke zeitgenössischer Komponistinnen aufs Programm, im vergangenen Jahr besonders oft von Sofia Gubaidulina, Caroline Shaw, Anna Clyne und Ernst-von-Siemens-Musikpreisträgerin Unsuk Chin.
Chancengleichheit für musikschaffende Frauen – dieses Ziel hat die Klassikwelt noch lange nicht erreicht. Doch der Trend der vergangenen Jahre geht in die richtige Richtung.
Kommentare (9)
Montag, 11.März, 16:59 Uhr
Stephanie Lesch
Artikel redigiert
Wurde dieser Artikel nachträglich redigiert? Im Crescendo Newsletter und auch hier in den Kommentaren wird bezug genommen auf Dinge, die ich im Artikel nicht (mehr?) finden kann, namentlich Frauen und Klassik -Kritik/Journalismus. Keine entsprechende Anmerkung der Redaktion zu finden... Wie erklären ich mir denn das..?
Antwort von BR-KLASSIK: Der Artikel unserer Autorin wurde nicht nachträglich redigiert. Hier war nie von Klassik-Kritikerinnen die Rede. Dieses Thema kam erst durch Kommentare der Internet-Community auf und wird in der Kommentarspalte diskutiert. Im Crescendo Newsletter vom 11. März wurde dies falsch dargestellt. Der Autor des Newsletters hat die entsprechende Passage inzwischen korrigiert.
Montag, 11.März, 08:47 Uhr
Ralf Pauli
Frauen in der „Klassik“
Sie schreiben über Orchester. Die Führungspositionen in den Opernhäusern sind überwiegend männlich besetzt (Intendanten, künstlerische Leitungen, „Regie-Stars“). Die Frauen sind tätig in den freien Berufen und sind bei der Kinderbetreuung auf ihre Partner angewiesen. Mit einer Kinderpause riskieren die Ausstatterinnen, Bühnenbildnerinnen, Sängerinnen und Regisseuinnen ihre Beschäftigungsmöglichkeiten in einer sehr freien Branche. Ob das so sein muss? Ob das geändert gehört? Das sind Fragen, die man unabhängig von dieser Lage stellen könnte.
Samstag, 09.März, 12:52 Uhr
Suggia
Zu wenige Frauen in den Medien
@ Mairhofer: Frauen schreiben keine schlechteren und keine besseren Kritiken, sie sind genauso gut wie männliche Journalisten. Nur lassen sie die Männer, die in den Redaktionsstuben das Sagen haben, nicht ran. Meine Nachbarin, freie Journalistin, kann davon ein Lied singen. Die Männer bleiben gerne unter sich. In manchen Opernmagazinen sind von zehn Autoren neun Männer. Das ist unfair gegenüber den Frauen, die hart kämpfen müssen, um in diesem schönen Beruf Fuß zu fassen. Warum sollte er nur den Männern gehören?
Freitag, 08.März, 19:46 Uhr
Felicitas
Qualität statt Quote
Wissen Sie nicht, dass Orchesterstellen, sowohl tutti als auch Konzertmeister, nach einem Vorspiel hinter einem Vorhang entschieden werden ?
Wenn es also in Berlin oder bei führenden Positionen weniger Frauen gibt, liegt es einzig und allein daran, dass diese bei den Probespielen eben nicht gut genug waren !
Und dass es bei Kontrabass oder Blechbläser einfach viel weniger Bewerberinnen gibt !
Auch Sie wollen doch sicher, dass die Besten spielen und nicht eine "gerecht" nach Quote ausgesuchte Frau !
Lassen Sie doch so unqualifizierte Forderungen, die mit der Realität nichts zu tun haben !
Freitag, 08.März, 14:16 Uhr
Helga Seewald
Frauenquote
Wir, die älteren Frauen haben vehement darum gekämpft, daß eine Frau bei gleicher Eignung die gleichen Chancen hat. Was im Moment propagiert wird, ist das Modell der 50iger Jahre nur umgekehrt! Also: wenn ich eine Frau bin, muss ich bevorzugt werden - das macht unseren Jahrzehnte langen Kampf um GLEICHberechtigung zu nichte!
Hören Sie doch einmal Ihr heutiges Programm an: die Kompositionen vieler Komponistinnen sind einfach nur mittelmäßige Gebrauchsmusik! Weil sie keine anderen Möglichkeiten hatten. Aber muss ich das nun verherrlichen? Nein bestimmt nicht!
Und zu Ihrer heiß geliebten Frau Mallwitz: sprechen Sie einmal mit den Musikern und vorallem mit den Sängerinnen und Sängern die mit ihr gearbeitet haben ...
Freitag, 08.März, 11:28 Uhr
Geschlechtertrennung?
Mairhofer
Warum man immer diese Trennung nun vornimmt und mit dieser Art der Berichterstattung ständig medial die Geschlechter als Konkurrenz sieht, wundert mich. Man sollte doch lieber sehen, was am Ende eines Lebens wichtig ist: Familie, Glück u.s.w.
@Suggia: Geht es Ihnen um die Qualität oder um Frauen? Hauptsache die Artikel sind brauchbar, mir ist es gleich, wer auch immer das schreibt, solange es gut ist. Das ist wohl das, was man auch schnell als verbohrt und geschlechterkompetitive Betrachtung sieht bzw. als überschießende Innentendenz bezeichnet.
Freitag, 08.März, 08:49 Uhr
Suggia
Und wo bleiben die Frauen in der Musikkritik?
Mir fällt auf, dass alle immer von Dirigentinnen, Musikerinnen und Komponistinnen reden. Aber niemand über deren Unterrepräsentiertheit in den Medien. Die Fachredakteure im Feuilleton für Musik und Oper sind immer noch überwiegend Männer, die behalten ihre Domäne für sich. Ob FAZ, Süddeutsche, Münchner Merkur, Tagesspiegel oder die Welt: überall dasselbe Bild. Nur die ZEIT hat mit Lemke Matwey und die FR mit Judith von Sternburg eine Alibifrau an der Spitze. Ansonsten kommen Frauen als Kritikerinnen nur am Rande vor. Sehr schade. Sie sind halt auch nicht so gut vernetzt wie schwule Opernfreaks. Im Radio ist es zwar ein bisschen besser, aber auch hier behaupten sich vorzugsweise Männer wie allem voran Jörn Florian Fuchs, Uwe Friedrich und Christoph Vratz als die großen Platzhirsche…
Freitag, 08.März, 06:55 Uhr
Steffen
Eine merkwürdige Schere
Immer mehr Frauen bei den Interpreten. Gleichzeitig dürfte die gesellschaftliche Aufmerksamkeit der klassischen Musik in den letzten fünfzig Jahren radikal abgenommen haben.
Wenn man diese beiden Trend also weiterspinnt, dürften in fünfzig Jahren die Frauen bei den Interpreten der (von Männern geschaffenen) Werke der Klassik dominieren, aber kein Hahn kräht danach.
Tolle Aussichten!
Donnerstag, 07.März, 22:47 Uhr
Trappe
Relativierung
Ein Problem ist die Schwangerschaft in Orchestern, dies bedeutet mehr Dienst für die Kollegen. Das ist einfach ein wertfreier Fakt. Natürlich nichts, was medial wertfrei diskutiert werden wird.
Wenn die Frauen besser werden, wird es auch mehr Frauen an Dirigentenpulten geben. Umgekehrt ist aufgrund der Quote manche Frau schon bei großen Orchestern am Werk, die ein Mann in vergleichbarer Position nicht erhalten hätte (Konzerthaus Berlin).