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Kritik - Verdis "Falstaff" in Nürnberg Liebe auf dem Affenfelsen

Verwahrlosung ist auch nur eine Chance, und sei es, sich zu blamieren: Am Staatstheater Nürnberg ist Verdis Abschiedswerk in einer ungewöhnlichen Deutung zu sehen, wofür es viel Beifall gab. Das Orchester begeisterte mit kecker Ausgelassenheit.

Falstaff | Bildquelle: Pedro Malinowski

Bildquelle: Pedro Malinowski

Also Mut hat er, der Regisseur David Herman: Da hält sich ein alter, weißer Mann für unwiderstehlich - und ist es in diesem Fall sogar. Der Zeitgeist, er wurde also ganz gehörig auf die Hörner genommen.

Mutiges Regiekonzept von David Herman

Falstaff | Bildquelle: Pedro Malinowski Umschwärmter Plattenbau-Bewohner: Claudio Otelli als "Falstaff" am Staatstheater Nürnberg | Bildquelle: Pedro Malinowski Shakespeares "Falstaff" mal nicht als fetter, eitler, verkommener Genussmensch, der seiner gerechten Strafe zugeführt wird, sondern als umschwärmter Plattenbau-Bewohner, der seine Tage am Kebab-Stand verdämmert und gerade deshalb für die gelangweilten Frauen der besseren Gesellschaft zum bizarren Toy-Boy wird. Für dieses ungewöhnliche Regie-Konzept gab es erstaunlich wenig Buhrufe, dafür sehr freundlichen, wenn auch nicht gerade überschwänglichen Beifall. Der Applaus wäre vermutlich auch weniger gutwillig gewesen, wenn Dirigent Björn Huestege und die Staatsphilharmonie Nürnberg nicht dermaßen ausgelassen und befreit aufgespielt hätten. "Falstaff" ist ja bekanntlich Giuseppe Verdis Abschiedsoper und klingt mitunter arg sentimental und altersweise. So dagegen perlte sie fast so keck wie das Werk eines Berufsanfängers, der seinem Sturm und Drang freien Lauf lässt.

Lässiger Ton: Staatsphilharmonie Nürnberg unter Björn Huestege

Herrlich, wie souverän das Orchester den gewollt beiläufigen, lässigen Konversationston traf, nie schleppend, nie träge, immer munter vorwärts eilend, ohne dabei jemals zu stolpern. Dieser Verdi ist nicht aufgeregt, sondern aufregend mit seiner fröhlich-unbeschwerten Laune, die sich nicht schert um die Mode. Damals, 1893, war nämlich bereits der Verismo angesagt, die Opern wurden deutlich wilder, lauter, volkstümlicher, auch greller. All das hat mit "Falstaff" nichts zu tun. Und so plauderten sich alle Beteiligten recht beiläufig durch diese vollkommen aus der damaligen und umso mehr aus der heutigen Gegenwart gefallene Handlung.

Falstaff: Umschwärmter Sozialrentner

Fastaff | Bildquelle: Pedro Malinowski Die "lustigen Weiber von Windsor" entdecken Falstaff als Toy Boy. Inszenierung von David Herman am Staatstheater Nürnberg. | Bildquelle: Pedro Malinowski Manches an David Hermans Deutung geht auf, anderes nicht. Was Satire ist, ist nicht immer ohne Weiteres auszumachen. So residieren die sogenannten "lustigen Weiber von Windsor" in einer lichtdurchfluteten Bauhaus-Villa mit Swimming-Pool und Porsche vor der Tür und behaupten, sich nichts aus Geld zu machen. Was sie an Falstaff fasziniert, bleibt offen, denn Claudio Otelli, der Sänger der Titelpartie, ist äußerlich eher als Langweiler dargestellt, Typ lethargischer Sozialrentner mit falschen Freunden. Leider bleibt er auch stimmlich recht blass. Gleichwohl scheint er mit seiner aggressiven Gleichgültigkeit die Frauen zum Träumen anzuregen.

Kostümbildnerin Carla Caminati steckt ihn am Ende in ein Zottelkostüm wie ein Yeti, was ihn wohl als altertümliches Macho-Idol charakterisieren soll, als Projektionsfläche für Männlichkeit. Da mag sich jeder seinen eigenen Reim drauf machen, ebenso auf die neonbunten Flower-Power-Bademäntel, in denen der Chor zum Finale erscheint. Der "Falstaff" ist heutzutage immer ein Risiko, solche Saufkumpane und Frauenhelden findet schon lange nicht mehr jeder lustig, insofern geht es schon in Ordnung, das Geschlechterverhältnis etwas schillern zu lassen und dem Publikum Rätsel aufzugeben.

Bühnenbild aus Spanplatten: vorne Problemviertel, hinten Luxusmeile

Falstaff | Bildquelle: Pedro Malinowski Ein "Affenfelsen" aus Spanplatten. Bühnenbild von Jo Schramm für "Falstaff" am Staatstheater Nürnnberg. | Bildquelle: Pedro Malinowski Dass alle anderen Männer mal wieder als uniforme Anzugsträger herhalten müssen, um ihre Spießigkeit auszustellen, dass dann auch noch ein Schimpanse sein Unwesen treibt, der wohl für machohafte Eifersucht und Wut steht, ist etwas arg plakativ. Bühnenbildner Jo Schramm hatte einen wahren Affenfelsen aus Spanplatten zimmern lassen, vorne Problemviertel, hinten Luxusmeile: Das machte was her in seiner kühlen Sterilität.

Unter den Solisten glänzte Chloë Morgan als verliebte Nannetta, auch die stets spielfreudige Emily Newton als Alice Ford und Almerija Delic als robuste Mrs. Quickly überzeugten. Der Schlusseffekt wird hier nicht verraten, nur so viel: Es knallt. Das passte dann wieder gar nicht zu Verdis versöhnlicher Botschaft, wonach die ganze Welt Narretei ist und sich Aufregung nicht lohnt. Und Falstaff? Dem ist sowieso alles egal. 

Sendung: "Allegro" am 23. Januar 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Donnerstag, 26.Januar, 16:40 Uhr

Opernfreund

Oper oder Theater?

Es ist sehr bedauerlich, dass in dieser Kritik (wie in sehr vielen anderen Kritiken dieses Rezensenten) wenig über die musikalische Qualität dieser Opernaufführung zu lesen ist. So weit ich mich erinneren kann, ist "Falstaff" mit rund 10 Solisten besetzt. 4 davon werden gerade mal so am Rande erwähnt. Haben die übrigen gar nicht gesungen, schlecht gespielt, waren sie vielleicht gar nicht besetzt?
Nach meinem Verständnis handelt es sich bei einer Oper um Musik-Theater. Die Musik steht also an erster Stelle; Oper ohne Musik und deren Interpretation ist schwer vorstellbar. Ein Blick auf die Homepage des Staatstheaters scheint diese Annahme auch zu bestätigen: Bei der überweigenden Anzahl der beteiligten Personen handelt es sich um MusikerInnen.
Vielleicht sollte der BR wieder Musik-Kenner als Rezensenten in die Oper entsenden - oder werden im Gegenzug künftig vielleicht Musiker über das politische Geschehen in Berlin berichten?

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