"So schnell wie möglich" wollten die Münchner Philharmoniker die Nachfolge für einen Chefdirigenten klären. Nun steht das Orchester schon seit fast einem Jahr ohne Leitung da. Nachdem sich das Orchester von Valery Gergiev wegen seiner Putin-Nähe verabschiedete, übernahmen verschiedene internationale Dirigentinnen und Dirigenten die Konzerte des Klangkörpers. Einige von ihnen kämen sicherlich auch für die Nachfolge in Frage.
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Aktuell fällt vor allem ein Name: Lahav Shani. Zu Beginn der Woche heizten Medienberichten die Diskussion um seine Chancen an. Und das, obwohl der Protegé von Mehta erst zweimal mit dem Orchester auftrat. Zufällig ist der gebürtige Israeli derzeit in München. Allerdings als Gast beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, wo er sich fast schon wieder auffallend zurückhaltend gibt:
Bildquelle: Tobias Hase "Ich habe im Moment nichts zu erzählen über diese ganze Geschichte. Wenn es etwas gibt, dann werde ich das natürlich sehr gerne tun. Aber im Moment ist einfach wirklich nichts zu sagen." Mit Shani würde ein junger Shootingstar an das Dirigentenpult des Orchesters treten – und damit das neue junge Image des Orchesters unterstützen. Derzeit ist er Chefdirigent der Israel Philharmonic Orchestra und des Rotterdam Orchestras. Für die Übernahme der Münchner Philharmoniker müsste er vermutlich einen dieser Jobs aufgeben.
Bildquelle: Marco Borggreve Der polnische Dirigent war in letzter Zeit häufig als Gastdirigent bei den Münchner Philharmonikern zu erleben. Gerade in diesen Tagen dirigiert Urbański wieder dort. Er kennt das Orchester gut, ist dort beliebt und kurz nach Gergievs Weggang einer der Favoriten für den Posten. Urbański ist für sein breites Repertoire bekannt: Sein Faible für E-Musik, die romantischen Symphonien, aber auch Star-Wars-Musik würde zum Profil der Münchner Philharmoniker passen. Derzeit hat der 40-Jährige kein festes Orchester. Im Jahr 2021 gab er die Leitung des Indianapolis Symphony Orchestra auf.
Bildquelle: dpa | Vesa Moilanen "Ich hätte hohe Sympathie auch mal für eine Frau". Erst im Dezember sprach sich Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter für eine weibliche Besetzung des Postens aus. Die finnische Dirigentin Susanna Mälkki wäre bald dafür frei. Ende der Saison wird sie die Leitung in Helsinki abgeben. Mälkki ist vor allem bekannt für ihre präzise Arbeit in der zeitgenössischen Musik, erst in den letzten Jahren hat sie sich verstärkt auf die großen romantischen Symphonien konzentriert. Als sie vergangene Woche mit den Münchner Philharmonikern auftrat, reagierte sie offen: "Die Münchner Philharmoniker sind ein fantastisches Orchester und München ist eine der besten Musikstädte weltweit. Ich wäre sehr geschmeichelt und sehr interessiert, wenn sie mich fragen würden." Viel dazu sagen könne sie aber nicht. Dennoch: Eine recht direkte Antwort für eine heikle Personaldebatte. Auch weil sie im vergangenen Jahr für die Nachfolge beim New York Philharmonic gehandelt wurde.
Bildquelle: Andrew Staples Mit Daniel Harding würden die Münchner Philharmoniker ihrer Tradition treu bleiben: Mit großen Dirigenten-Namen bei internationalen Tourneen punkten. Auch der Brite ist den Münchner Philharmonikern schon durch zahlreiche Konzerte vertraut. Ein großer Vorteil Hardings ist seine Repertoire-Erfahrung: von Mozart über zeitgenössische Musik bis hin zu den großen romantischen Symphonien des 19. Jahrhunderts. Obwohl er seit 15 Jahren das Schwedische Radio Symphonieorchester leitet, ist sein Tournee-Programm vor allem von einem Aspekt geprägt: Freiheit. 2019 nahm er sich eine Auszeit, um als Pilot arbeiten zu können. Inzwischen ist er wieder zurück am Dirigentenpult und arbeitet wechselnd mit vielen verschiedenen internationalen Orchestern. Dennoch: Hardings Drang nach Flexibilität lässt die Frage offen, ob er sich derzeit wieder fest an ein Orchester binden will.
Bildquelle: Marcus Schlaf Anfang Februar wird Lorenzo Viotti mit den Münchner Philharmonikern auftreten. Damit steht ein weiterer junger Shootingstar im Fokus der Münchner. Der Schweizer ist gut vernetzt, setzt sich immer wieder auf Social Media in Szene und würde die junge Inszenierung der Münchner Philharmoniker unterstützen. Mit seinen 32 Jahren hat sich Viotti einen Namen gemacht. Derzeit ist er in seiner zweiten Saison Chefdirigent des Netherlands Philharmonic Orchestra und der Oper in Amsterdam. Aber auch andere Häuser bemühen sich um Aufführungen mit ihm. Trotz seines straffen Programms – Kapazität für ein weiteres Orchester wäre eventuell da.
Bildquelle: Frans Jansen Mit der gebürtigen Litauerin rückt eine weitere Frau für den Posten als Chefdirigentin in den Mittelpunkt. Im Jahr 2016 sorgte sie international für Aufsehen, als sie als erste Frau das Birmingham Symphony Orchestra übernahm. Ihren Vertrag hat sie dort aber nicht verlängert, ab April wird ihr Posten anders besetzt. Zeit und Raum hätte sie somit für ein neues Orchester – jedoch hat sie angekündigt in nächster Zeit etwas kürzer treten zu wollen.
Sendung: "Allegro" am 20. Januar 2023 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (11)
Samstag, 21.Januar, 10:57 Uhr
Mike Barfuß
Chefdirigent
Liebe Leute, den ganzen Laden ZUSPERREN wäre am besten. Das Klassik-"Business" ist am Ende. Zuviel Dekadenz hat das System ruiniert. Immer diese dumme deutsche Sucht nach "Shooting-Stars"! Es gibt nur noch 2 lebende Dirigenten der alten Schule (oder habe ich einen vergessen?): Blomstedt und Janowski. Alle anderen sind Kasperln. Marionetten der Agenturen und des verlotterten Systems.
Samstag, 21.Januar, 10:03 Uhr
paul-ludwig voelzing
nachfolge gergiev
ich finde den titel "nachfolge gergiev" nicht gerade feinfühlig. wer möchte die NACHFOLGE gergiev(s) überhemen, politisch wie künstlerisch. und wer hätte nicht gern die nachfolge jansons übernommen?
harding scheidet zwar nicht musikalisch aus, aber eine rattle-verdopplung braucht münchen wirklich nicht!
Samstag, 21.Januar, 09:55 Uhr
Gufo
Nachfolge
Ich finde es befremdlich, um nicht zu sagen beschämend, dass kein deutscher Dirigent dabei ist.Bezeichnend für die " Kulturnation" Deutschland.
Samstag, 21.Januar, 00:17 Uhr
Kurt Schiemenz
Nachfolge für Gergiev
Gergiev ist fachlich schwer zu ersetzen!
Celebidache und er haben große Fußstapfen hinterlassen. Ich glaube, dass beide Frauen, sowohl Susanna Mälkki als auch Mirga Kražinite Tyla, diesem Spitzenorchester wertvolle neue Impulse geben könnten.
Freitag, 20.Januar, 17:14 Uhr
Helmut Trawöger
Chefdirigent
Markus Poschner ! Ein Münchner der ALLE Voraussetzungen für diese GROSSE Aufgabe mitbringt !
Freitag, 20.Januar, 16:41 Uhr
Peter Perry
Chefdirigent
Daniel Harding oder
Lahav Shani
Freitag, 20.Januar, 13:35 Uhr
Ein Leser
wer übernimmt?
Qualität und Fundiertheit der Kommentare spiegeln ein vermehrt festzustellendes Dilemma von
BR-Kultur wider, wo zuunehmend an der Oberfläche gesurft wird.
Freitag, 20.Januar, 12:34 Uhr
Jürgen Brennich
Nachfolger aus München
Wie wäre es eigentlich, wenn man hier auch Markus Poschner als Münchner Urgestein in Betracht ziehen würde….in Bayreuth, in Linz, in der Schweiz, in den USA…gefeiert!!!
Freitag, 20.Januar, 09:46 Uhr
Leser
wer übernimmt?
Art und Qualität der Kommentierung der Kandidaten zeigt ein zunehmendes Dilemma von BR.Klassik immer mehr an der Oberfläche zu surfen
Freitag, 20.Januar, 08:58 Uhr
Leserin
Fehler im Artikel
Liebe Redaktion,
Mirga Gražinyt?–Tyla ist eine Litauerin, nicht eine Lettin.
Viele Grüße!
Freitag, 20.Januar, 01:21 Uhr
Rüdiger
"Shootingstars" mit einem "Faible für E-Musik"
Oh Mann, dieser Artikel zeigt das ganze Elend des heutigen Klassikbetriebs und auch des ihn kommentierenden Journalismus auf.
Keiner der hier gehandelten Namen verspricht einen Ausbruch aus der durchaus existierenden Krise. Entweder gediegene Langweile oder Pseudo-Avantgarde, die niemand hören will. Ein Deutscher ist natürlich niemals mehr ein Kandidat, die Frage ist nur, ob man einfach als Ausländer oder doppelt als Ausländerin und Frau punktet, oder spielt man den Supertrumpf als Israeli aus?
Da die Autorin das Wort "Shootingstar" zweimal gebraucht: Hat sich nicht diese ganze Starsystem verbraucht? Warum zahlt man Millionengehälter für ein paar Wochen Anwesenheit und ein paar Konzerte. Es wäre besser man würde einen Dirigenten verpflichten, der ganze Jahr mit dem Orchester arbeitet und für eine Verankerung des Orchesters im Bewusstsein der Münchener zu sorgen, die den Spaß ja letztlich finanzieren.