Ein kleines Dorf am Rande des französischen Jura, auf halbem Weg zwischen Genf und Lyon. Kein Bahnhof, kein Hotel, kein Einkaufszentrum und am Wochenende nicht mal ein Bus. Nur in der Dorfmitte eine große Benediktiner-Abtei aus dem 9. Jahrhundert. Und genau hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, findet jedes Jahr im Herbst eines der wichtigsten Alte-Musik-Festivals Europas statt, das Festival d'Ambronay.
Bildquelle: Bertrand Pichène
An den vier Wochenenden zwischen 15. September und 8. Oktober gastierten in Ambronay international bekannte Interpret:innen wie William Christie, Dorothee Oberlinger oder Patricia Petibon. Zu den über 20 Konzerten und den vielfältigen Veranstaltungen im Rahmenprogramm kamen mehr als 10.000 Besucher in die ländliche Idylle.
Bildquelle: Wolfgang Schicker Der zentrale Konzertort des Festivals in Ambronay ist die Klosterkirche mit ihren mächtigen weißen Säulen und ihrem hohen gotischen Gewölbe. Hier brachte das französische Ensemble "Les Ombres" eine längst vergessene Oper des Musketiers und Musikers André-Cardinal Destouches auf die Bühne. Ensembleleiter Sylvain Sartre ist begeistert von dem Ort und empfiehlt, "wenn man die Gelegenheit hat, auch einmal bei Sonnenuntergang in die Kirche zu gehen, wenn das schöne Abendlicht auf die weißen Steinmauern trifft." Die alte Abtei wieder zu einem kulturellen Zentrum zu machen, war mit einer großen Kraftanstrengung der Gemeinde und des Departements verbunden, denn die große Klosteranlage, die auf die Zeit Karls des Großen zurückgeht, ist seit ihrer Zerstörung während der Französischen Revolution lange Zeit mehr oder weniger verfallen. Schließlich wurden die Gebäude vor über vierzig Jahren zum nationalen Kulturerbe erklärt sowie nach und nach saniert. Ein Kulturzentrum wurde eingerichtet und eine Handvoll Alte-Musik-Fans gründete das Festival d’Ambronay. Seither ist das Festival enorm gewachsen und hat eine professionelle Struktur bekommen. Im eigenen CD-Label werden wichtige Neuerscheinungen der Szene veröffentlicht.
Die Sendung vom Festival d'Ambronay können Sie hier eine Woche lang nachhören.
"Natürlich hat alles mit dem Festival angefangen", sagt Isabelle Battioni, die Generaldirektorin des Kulturzentrums, "aber darüber hinaus arbeiten hier das Jahr über etwa 20 Leute an der Realisation verschiedener Projekte, zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Schulen, Altenheimen oder Krankenhäusern." Als zweite wichtige Säule der Kulturarbeit nennt Battioni die Förderung junger Musikerinnen und Musiker am Beginn ihrer Karriere. Es gehe nicht um die musikalische Ausbildung, die finde an den Hochschulen statt, sondern um eine Art Starthilfe in den Beruf: "Wir bringen Ihnen die Dinge näher, die es braucht, um als Musiker arbeiten zu können: Konzertmöglichkeiten zu finden, Gelder zu beantragen und all dies."
Schaut man auf das Programm dieses Jahres, fällt sofort die Mischung zwischen etablierten Künstler:innen und Ensembles sowie spannenden Newcomern auf. So konnte man etwa zwischen dem Ensemble 1700 von Dorothee Oberlinger und der hohen Vokalkunst der britischen Ora Singers die Geburt eines neuen Ensembles erleben: den ersten Auftritt von "L’Assemblée", gegründet von der jungen Cembalistin Marie van Rhijn und ermutigt vom Kulturzentrum in Ambronay. "Wir haben sie dabei unterstützt", erzählt Isabelle Battioni, "und sie hier untergebracht. Es ist ein hervorragendes Programm entstanden mit sehr viel unveröffentlichter Musik. Und genau darum geht es uns hier. Das versuchen wir den jungen Talenten näherzubringen, die wir begleiten."
Alles was wir gelernt haben, muss an die künftige Generation weitergegeben werden
Bildquelle: Bertrand Pichène William Christie ist eine der lebenden Legenden der Alten Musik, mit seinem Ensemble "Les Arts Florissants" einer der Pioniere der Historischen Aufführungspraxis in Frankreich, und er war auch in diesem Jahr wieder zu Gast in Ambronay. "Ich bin fast von Beginn des Festivals an dabei gewesen. Der Gründer Alain Brunet hatte uns eingeladen, herzukommen. Und daraus ist eine enge Freundschaft entstanden. Und so habe ich die Entwicklung dieses Ortes mitverfolgt." Der 78-jährige Altmeister stand in diesem Jahr mit dem 27-jährigen Barockgeiger Théotime Langlois de Swarte auf der Bühne und beide hatten hörbar Spaß daran. Die junge Generation zu unterstützen, daran liegt William Christie viel, der lange Zeit an der Akademie des Kulturzentrums in Ambronay unterrichtet hat. "Da geht es ganz einfach um die Weitergabe, um den Transfer", so William Christie. "Alles, was wir gelernt haben, muss an die künftige Generation weitergegeben werden. Seit einigen Jahren pflegen wir nun schon Freundschaften mit einer sehr jungen Generation von Leuten, die um die 50 Jahre jünger sind! Sie brauchen mich und uns. Und wir brauchen sie. Das bringt Freude und Zufriedenheit. Und die geben wir vielleicht gleichzeitig auch mit unserer Musik weiter."
Das Festival d’Ambronay kümmert sich aber nicht nur um die junge Musikergeneration, sondern auch um den Nachwuchs beim Publikum. Neben den Konzerten in der Abtei gehört der Nachmittag den Familien. Im "Espace Festivalier" gleich bei der Kirche ist einiges geboten. So können sich die Eltern in der Bar einen Kaffee oder ein Gläschen Wein gönnen, während die Kinder das Jonglieren lernen oder sich beim Trommelkurs verausgaben. Einer der Helfer aus dem Festival-Team ist Camille und er findet das einen guten Ansatzpunkt, sich bereits jetzt um das Publikum von morgen zu kümmern: "Diese Workshops gibt es während des gesamten Festivals und ich denke, das ist großartig, vor allem weil eben das Publikum, das sich für Konzerte mit klassischer Musik interessiert, zunehmend älter wird; und da ist es eine gute Sache, nachmittags mit den Kindern hier teilnehmen zu können und vielleicht am Abend noch ein Konzert zu besuchen."
Überschattet wurde das diesjährige Festival d’Ambronay von einem tragischen Todesfall. Am zweiten Festival-Wochenende, mitten in einem Konzert mit der Cappella Mediterranea unter der Leitung von Leonardo Garcia Alarcon, sackte der Bariton Alejandro Meerapfel unvermittelt auf offener Bühne zusammen. Ein plötzlicher Herztod vor den Augen Hunderter schockierter Zuschauer, ausgerechnet in einem Oratorium mit dem Titel "Die Gabe des ewigen Lebens". Alejandro Meerapfel war oft in Ambronay zu Gast gewesen, er wurde nur 54 Jahre alt.
Sendung: Tafel-Confect am 8. Oktober 2023 ab 12:05 Uhr
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