Das erste Konzert der Salzburger Festspiele dirigierte ihr umstrittener Star Teodor Currentzis. Kritisiert wird der Dirigent wegen des Sponsors seiner Ensembles: einer regimenahen russischen Bank, die auf der Sanktionsliste der EU steht. Die Festspiel-Leitung hält indes an ihm fest. Ein fantastisches Konzert, das den politischen Hintergrund jedoch nicht vergessen machte.
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Kritik
Teodor Currentzis mit Schostakowitsch in Salzburg
In normalen Zeiten – aber was ist schon normal – würde dieser Text einfach nur von einer großartigen, unter die Haut gehenden Aufführung der 13. Symphonie von Dmitrij Schostakowitsch berichten. Aber es sind keine normalen Zeiten. Es herrscht Krieg. Und Teodor Currentzis, der in Russland ausgebildete und arbeitende, aus Griechenland stammende Dirigent, der Putin nie öffentlich unterstützt hat, sich aber auch nicht von ihm distanzieren will oder kann, wird seitdem heftig kritisiert.
Dirigiert hat er eine Symphonie von Schostakowitsch, die den Untertitel "Babi Jar" trägt – zur Erinnerung an ein Massaker, das die SS 1941 an mehr als 33.000 meist ukrainischen Juden in Babyn Jar bei Kiew verübte. Daran erinnert ein Denkmal, das am 1. März dieses Jahres durch russischen Raketenbeschuss beschädigt wurde. Dies geschah im Rahmen eines brutalen Angriffskrieges, welchen Wladimir Putin befohlen hat, von dessen Wohlwollen ganz offenbar die Ensembles des Dirigenten Teodor Currentzis abhängen, der gestern Abend jenes musikalisch so erstklassige Konzert leitete.
Alles ziemlich verwickelt, deshalb der Reihe nach: 1962 vertonte Dmitrij Schostakowitsch das Gedicht "Babi Jar" des jungen Lyrikers Jewgenij Jewtuschenko. Das war sehr mutig. Denn Jewtuschenko erinnerte nicht nur an den Judenmord der Deutschen Besatzer, sondern prangerte, unerhört, auch den Antisemitismus in der Sowjetunion an.
Nur widerwillig erlaubten die Parteioffiziellen, dass der bekannteste sowjetische Komponist diesen hochpolitischen und zugleich unmittelbar humanen Text vertonte. Doch auch die von Schostakowitsch in seiner 13. Symphonie vertonten Jewtuschenko-Gedichte enthalten sowjetische Propaganda – schließlich lebten die beiden in einer Diktatur. Kritik war immer nur in sehr genau dosiertem Maß und letztlich nur zwischen den Zeilen möglich.
Ein Jahr zuvor, 1961, hatte Schostakowitsch etwas getan, wofür er sich selbst hasste, weil er es nie hatte tun wollen: Er war unter Druck in die herrschende kommunistische Partei eingetreten. Schostakowitsch, der Mitläufer, der nur in seiner Musik verschlüsselt Widerstand leistete. Kann das – unter zweifellos völlig veränderten historischen Umständen – auch Teodor Currentzis für sich in Anspruch nehmen?
In Salzburg ist Currentzis einer der zentralen Künstler. Nicht nur das Eröffnungskonzert leitet er, sondern auch die vielleicht wichtigste Opernproduktion. Gestern Abend spielte das exzellente Gustav-Mahler-Jugend-Orchester, aber bei einem weiteren Konzert tritt Currentzis mit seinem ganz auf ihn eingeschworenen musicAeterna Orchester auf. Und dieses Orchester hat einen wichtigen Sponsor, die staatsnahe VTB-Bank. Und die steht wegen ihrer engen Verbindung zum Putin-Regime auf der Sanktions-Liste der EU. Kann oder muss man von Curentzis verlangen, dass er sich von Putins verbrecherischem Regime distanziert, wie mehrere Zeitungen gefordert haben?
Verteidigt Currentzis: Festspielpräsidentin Kristina Hammer | Bildquelle: picture-alliance/dpa
Kristina Hammer, die Präsidentin der Salzburger Festspiele, hält im Interview mit BR-KLASSIK dagegen: "Wenn Sie in Russland leben und Sie nehmen das Wort "Krieg" in den Mund, dann kann es sein, dass Sie bis zu 15 Jahre ins Gefängnis müssen. Und dann kann es auch sein, dass es Ihre Familie betreffen wird. Also müssen wir sehr vorsichtig sein und sehr überlegt, ob wir tatsächlich von jemandem, wo ein Orchester mit ganz vielen Musikern und deren Familien in Russland leben, eine aktive Äußerung verlangen."
Chor und Orchester von Currentzis nehmen allerdings nicht nur das Geld der sanktionierten Bank, sondern gehen offenbar auch mit Unterstützung des Staatskonzerns Gazprom in Russland auf Tournee. Und Currentzis ist im Kontext des St. Petersburger Wirtschaftsforums aufgetreten, einer Machtdemonstration des Diktators Wladimir Putin. Andererseits: Gestern Abend stand zwar eines jener regimenah finanzierten Ensembles auf der Bühne, der musicAeterna Chor, aber auch zwei andere, das Gustav-Mahler-Jugend-Orchester und der Salzburger Bachchor. Sie alle haben Anspruch darauf, dass ihre überragende künstlerische Leistung anerkannt wird – und überragend war sie zweifellos dank Currentzis.
Der tritt diesmal gar nicht in seinem gewohnten Rebellen-Look mit Flatterhemd und Springerstiefeln auf, sondern ganz seriös im schwarzen Anzug. Und das Konzert beginnt mit einem jüdischen Totengebet, dem Kaddisch, das der Moskauer Kantor Naftali Wertheim sehr berührend vorträgt. Ganz ohne Show macht es der wirkungsversessene Currentzis dann aber doch nicht: Auf dem fortissimo-Höhepunkt des ersten Satzes, der das Gedicht über das Massaker bei Babyn Jar vertont, stehen plötzlich alle Orchestermusiker auf.
Ein theatralischer Effekt, den Currentzis gar nicht nötig hätte. Denn die minutiöse Probenarbeit, die er geleistet hat, ist in jedem Takt hörbar. Nicht nur die Präzision der jungen Musikerinnen und Musiker ist beeindruckend, sondern vor allem der gemeinsame Spirit, die fantastische Dynamik, die unter die Haut gehenden Momente nahe am Verstummen und die überwältigende Kraft der Tutti-Ausbrüche. Solist Dmitry Ulyanov imponiert mit seinem Bassvolumen. Ein tolles Konzert, vom Publikum bejubelt. Die Frage an Currentzis bleibt: Reicht es, auf die humane Kraft der Musik zu vertrauen, ohne weitere Worte – wenn die eigenen Ensembles von der Nähe zum Regime eines Massenmörders abhängen? Anders gefragt: Wieviel wahres Leben gibt es im falschen? Schostakowitsch hatte zu dieser Frage eine Menge zu sagen. Musikalisch.
Sendung: "Allegro" am 20. Julia ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (6)
Mittwoch, 27.Juli, 21:24 Uhr
Marianna
CUrrentzis
Wer von uns würde sich ermessen klar Stellung zu beziehen, wenn alle seine Familienangehörigen und Freunde in Bedrängnis kämen?
Freitag, 22.Juli, 17:33 Uhr
Christine Schubert
Currentzis
Wie wäre es wenn der Bayerische Rundfunk Currentzis verteidigen würde, so wie es die Präsidentin der Salzburger Festspiele getan hat? Dadurch ließe sich ein mutiges und längst fälliges Zeichen seitens der mittlerweile leider voreingenommenen und heuchlerischen Presse setzen.
Freitag, 22.Juli, 09:40 Uhr
Renate Wolf
Currentzis
Wie blöd muss man eigentlich sein, um zu begreifen, in welcher Situation sich Currentzis befindet? Soll er, um sich zu profilieren, die Existenz seiner Musiker auf's Spiel setzen? Habt ihr Journalisten aus eurer Komfortzone immer noch nicht ausreichend Papier mit überflüssigen Kommentaren bedeckt? Bin nur noch entsetzt. Was soll er denn eurer Meinung nach tun? In Hamburg geht man damit intelligenter um.
Die schwierige Situation, in der sich Currentzis befindet, wird im Artikel ausführlich beschrieben, liebe Frau Wolf - und ein definitives Urteil ausdrücklich nicht gefällt. Kein Grund also für Beleidigungen.
Herzlich
BR-KLASSIK
Freitag, 22.Juli, 07:26 Uhr
Joseph Matkares
Teodor Currentzis
...auch in unserem Lande müsste man mit der Hetze aufhören gegen jeden, der sich nicht aktiv gegen Putin äußert.Eine freie Meinungsäußerung beinhaltet auch die Möglichkeit, eine Meinung nicht zu äußern. Dafür gibt es viele Gründe, diese müsste man nicht erklären müssen.
Donnerstag, 21.Juli, 17:39 Uhr
Birgit Steen-Hoefflin
Currentzis
Endlich mal ein sachlicher Beitrag,der auf die äußerst schwierige Situation von Currentzis,der für 200 Musiker + Familien Verantwortung Trägt hinweist.Wer ihn kennt und sich mit seiner Grundeinstellung beschäftigt,kennt seine Haltung.
Mittwoch, 20.Juli, 15:49 Uhr
Annette Stiller
Currentzis
Meine Güte, kann man das nicht endlich mal ohne das ganze moralische Getue so stehen lassen? Es war ein grandioses Konzert! Mit einem grandiosen Dirigenten! Basta! Das ewige Geschwätz von Rebellenlook und Theatralik, fällt Ihnen angesichts dieser besonderen künstlerischen Arbeit gar nichts anderes ein? Was für ein Armutszeugnis!!!