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Kritik – Igor Levit bei den Salzburger Festspielen Unstete Welt

Igor Levit ist kein Künstler, der sich wegen seiner Kunst als von der Welt entkoppelt empfindet. Ganz im Gegenteil. Mit äußerst wachem politischen Bewusstsein twittert er und bezieht Stellung zu aktuellen Themen. Neben Daniil Trifonov oder Yefim Bronfman trat er nun in der Reihe Solistenkonzerte bei den Salzburger Festspielen auf. Doch mit seinem Programm setzt er sich doch von seinen bisherigen musikalischen Schwerpunkten ab. Er schaut auf die deutsche Romantik, spielt sogar Oper. Und zeigt das alles aber so gar nicht biedermeierlich gemütlich.

Pianist Igor Levit bei den Solistenkonzerten der Salzburger Festspiele 2022 | Bildquelle: Marco Borrelli

Bildquelle: Marco Borrelli

Es ist ein mächtiger Beginn. Béla Bartóks Klavierstücke "Im Freien" sind perkussiv, dissonant, und so wie Igor Levit das im Großen Festspielhaus in Salzburg spielt, auch unerbittlich. Man hört den Krieg in "Mit Trommeln und Pfeifen", dem Eröffnungsstück. Man hört die Innerlichkeit eines Schocks in der anschließenden Barcarolla. Und man hört bei Levit auch immer den Swing, den Spaß an der Rhythmik und an der Moderne. Es ist lässig und hart zu gleich. Es ist erzählend-konkret und gleichzeitig abstrakt. Levit setzt auf Gegensätze, auf Extreme. Das beginnt bei der Dynamik, die er bei diesem Konzert bis an die Grenzen ausreizt. Das setzt sich aber auch fort in dominanten Mittelstimmen. In mit Freude ausgespielten Störtönen. In kleinen Staccato-Momenten, die er quer durch die Stücke seines Programms immer wieder einstreut.

Levit setzt auf Kontraste

Das Programm ist sowieso ungewöhnlich. Levit geht – nach dem modernistischen Beginn – den Weg in die deutsche Romantik. Und dort in die Abgründe. Schumanns "Waldszenen" folgen auf Bartók. Ebenfalls Naturstücke. Levit eröffnet diese zärtlich, mit samtenem Anschlag, fließend. Schon im zweiten Stück, dem "Jäger auf der Lauer", aber setzt er ähnliche Akzente wie bei Bartók. Setzt wieder auf Kontraste. Das Ende der "Verrufenen Stelle" übertönt ein Martinshorn von draußen. Das zeigt, in welche dynamischen Grenzbereiche Levit hier hineingerät. Das funktioniert aber als Metapher für den fernen Alarm, der gerade über der Welt schwebt. Levit spiegelt sein Künstler-Dasein generell in die Wirklichkeit. In dem er die Musik an diesem Abend im Vortrag so sehr mit Gegensätzen belegt, gerät die "klassische Konzert-Welt" ins Wanken, ins Widersprüchliche, ins Wirkliche.

Der Höhepunkt nach der Pause: Wagner

Diese Herangehensweise findet nach der Pause ihren Höhepunkt: das Vorspiel zu Wagners "Tristan" in einer Klaviertranskription. Ein Skelett der Partitur, leer, alles Rauschende, alles Wogende ist hier einzelnen Tönen gewichen. Die Radikalität von Wagners unsteter Harmonie klang nie so gegenwärtig wie hier. Igor Levit beginnt wieder leise, kaum hörbar, lässt das Schwanken der Welt im "Tristan" in der Gegenwart ankommen, als unstetes Herzstück einer unsteten Welt. Was für ein unheimliches Programm.

 Ein abgründiger Abend mit Bezug zur Gegenwart

Pianist Igor Levit bei den Solistenkonzerten der Salzburger Festspiele 2022 | Bildquelle: Marco Borrelli Pianist Igor Levit am 24. August bei den Solistenkonzerten der Salzburger Festspiele 2022 | Bildquelle: Marco Borrelli Atacca geht Levit in Liszts h-Moll-Sonate über. Glättet die Wogen in pianistischer Virtuosität, nur um auch hier immer wieder durch markante Mittelstimmen, dynamische Extreme und pochende Staccati darauf hinzuweisen, dass auch ein pianistisches Glanzstück die Welt nicht retten wird. Es ist ein abgründiger Abend, der sich aber, auch wegen Levits geistreicher Interpretation, nicht gänzlich in den Abgrund ziehen lässt. Verstand und auch der Mut auch ein wenig mit dem konventionellen Verständnis von Werkstreue zu brechen, verankern die Musik im Hier und Jetzt. Gegenwärtiger kann klassische Musik kaum klingen. Auch wenn das große Festspielhaus als Saal akustisch fast ein wenig zu groß für Levits dynamische Extremstudien ist.

Sendung: "Allegro" am 25. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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