Im Oktober 1850 schreibt Robert Schumann an seinen Leipziger Verleger Bartholf Senff: "Sie empfangen hier die Waldszenen – ein lang und viel von mir gehegtes Stück. Möchte es Ihnen Lohn bringen, und wenn keinen ganzen Wald, so doch einen kleinen Stamm zum neuen Geschäft." Schumann selbst zählt die "Waldszenen" op. 82 zu seinen besten Kompositionen. Heute indes hört man diesen fein gezeichneten Zyklus von neun Stücken eher selten. Dabei ist sein Bezug zur Gegenwart hochaktuell. BR-KLASSIK sprach mit Martin Stadtfeld über dieses Starke Stück.
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Der Wald ist die Sehnsuchtslandschaft der deutschen Romantiker. Hier gewinnt der romantische Mensch Abstand zur realen Welt; hier findet er Schutz und Geborgenheit vor einer als zerstörerisch empfundenen Zivilisation. Als Schumann seine Waldszenen beendet, ist er 39 Jahre alt und die Welt längst im Umbruch. Die Erfindungen der Industriellen Revolution ziehen die Menschen in die Städte, wo der Maschinentakt den Arbeitsrhythmus vorgibt. Voller Sehnsucht ruft da der Dichter Joseph von Eichendorff im Namen vieler Romantiker den Wald an:
"O Täler weit, o Höhen, O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen Andächt'ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen, Saust die geschäft'ge Welt,
Schlag noch einmal die Bogen, um mich, du grünes Zelt!"
Schumanns "Waldszenen" erzählen vom Wald jedoch nicht nur als harmonisierenden Rückzugsort. Mitunter warten im Grünen auch Gefahr und Schrecken: Mit bedrohlichen Klängen liegt hier der "Jäger auf der Lauer", melancholisch neigen sich "Einsame Blumen" – und es gibt eine dissonant-düstere "Verrufene Stelle".
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Der Pianist Martin Stadtfeld | Bildquelle: BR Die "Waldszenen" entstehen in einer Phase, die Schumann wenige Jahre später, am Ende seines Lebens, als seine "fruchtbarste" beschreibt. Schriftsteller wie Oscar Wilde und Hermann Hesse lieben die Komposition und verstärken ihre Berühmtheit noch: Wilde etwa erwähnt die "Waldszenen" bewundernd in einer Passage seines Romans "Das Bildnis des Dorian Gray". Und Hesse ist besonders angetan von dem kleinen Stück "Vogel als Prophet", das er als "hold und geheimnisvoll" beschreibt. Martin Stadtfeld sagt zu diesem Stück: "Das ist vielleicht der Höhepunkt der 'Waldszenen'. Man horcht einem kleinen Vogel dabei zu, wie er sein Lied trällert, und das ist ja eigentlich etwas ganz Normales. Aber das bekommt auf einmal so eine prophetische Stimmung: Also das, was der Vogel zwitschert, ist eben nicht nur, dass er jetzt vielleicht balzt oder dass er vielleicht nach seinen Jungen ruft oder was auch immer, sondern es bekommt ja eine übergeordnete Ebene, etwas Prophetisches: Wenn man ihm nur genau genug zuhört, dann spricht der Vogel also womöglich Weisheiten aus über die Welt."
Stadtfeld führt weiter aus: "Und am Ende steht eben der 'Abschied'. Das finde ich sehr, sehr emotional, wenn ich es spiele, , denn es hat etwas von, dass es einem das Herz zerreißt, Abschied zu nehmen, wobei ich glaube, dass es sich eben nicht nur auf den Wald und auf diese Situation bezieht, sondern auf viel mehr: Es geht darum, dass man wahrscheinlich immer, wenn man etwas Wunderbares, Schönes erlebt, auch wieder davon Abschied nehmen muss. Das ist auch etwas, womit wir Menschen einfach umgehen müssen, und das ist wirklich hier in herzzerreißende Musik gefasst."
Schumanns "Waldszenen" sind eingängig und vom Komponisten auch für den hausmusikalischen Gebrauch gedacht. Doch man muss die Komposition nicht spielen können, um sie zu ergründen: Die "Waldszenen" sind ein musikalischer Waldspaziergang und wahlweise auch ein Angebot zur Meditation. Wenn man sich denn auf das Werk einlässt. Wie bringt es Martin Stadtfeld auf den Punkt? "Dieses Zu-sich-Finden und Zur-Ruhe-Kommen, das ist nichts, was man einfach so abrufen kann. Und da die 'Waldszenen' genau das zum Thema haben und zum Ausdruck bringen, ist es auch ein Werk, das sich nicht unbedingt beim ersten Hören erschließt. Es ist wunderschön beim ersten Hören, aber um wirklich einzutauchen in diese Welt, muss man sich auch mit dem Werk öfter mal auseinandersetzen: Dann entdeckt man wirklich, dass es sich um eines der ganz großen Meisterwerke der romantischen Musik handelt."
Robert Schumann:
"Waldszenen", op. 82
Martin Stadtfeld (Klavier)
Label: Sony Music
Sendung: "Das starke Stück" am 28. Mai 2024, 19.05 Uhr auf BR-KLASSIK