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Die Sopranistin Anna Prohaska über Bachs Johannes-Passion Optimale Verbindung für Kopf und Herz

Am 23. und 24. März 2017 singt die Sopranistin Anna Prohaska als Solistin in Bachs "Johannes-Passion" - mit Chor und Symphonieorchester des BR unter Herbert Blomstedt. Im Interview spricht die Sängerin über ihr Verhältnis zu Bach und darüber, wie wichtig es ist, normal zu bleiben.

Bildquelle: © Holger Hage / DG

BR-KLASSIK: Anna Prohaska, Sie sind als Opern-, Lied- und Konzertsängerin unterwegs. Jetzt singen Sie unter Herbert Blomstedts Leitung die "Johannes-Passion". Ist das für Sie eher eine Herausforderung oder eine Erholung?

Anna Prohaska: Ich würde sagen, Bach ist nie eine "Erholung", und auch keine Musik, die man nebenbei hören kann. Bach ist eher eine ziemliche Auseinandersetzung. Er ist für mich der einzige Komponist, der Kopf und Herz optimal miteinander verbindet - ohne dass ich sagen könnte, was jeweils überwiegt. Man kann die Musik analysieren und gleichzeitig genauso begeistert sein von ihrem emotionalen Gehalt. Und rein stimmlich ist Bach auch nie eine Erholung. Zwar liegt mir die Musik, wenn ich das so sagen darf - ich habe das Gefühl, dass meine Stimmlage und Stimmfarbe sehr gut zu Bach passen. Aber es ist dann schon sehr heikel, die Intonation immer so rein hinzubekommen, wie es sein sollte. Dazu mit wenig Vibrato zu singen, die Töne schön an- und abschwellen zu lassen.

BR-KLASSIK: Und wenn man das Vibrato weglässt, reduziert man die Musik auf das Wesentliche?

Anna Prohaska: Das kann man schon so sagen. Die Stimme wird dadurch auch instrumentaler. Ich singe in der "Johannes-Passion" zum Beispiel mehrmals mit Flöten zusammen. Da erkennt man, wie ähnlich das klingt von der Sopranlage her. Aber auch von der Art her, wie mit dem Atem umgegangen wird.

Die Johannes-Passion - ein heikles Stück

BR-KLASSIK: Wie nähern Sie sich der Gestaltung ihres Parts an: Bereiten Sie den schon zu Hause vor oder bleibt da auch eine große Offenheit für die Proben und die Musiker, mit denen Sie gemeinsam im Konzert auftreten?

Sopranistin Anna Prohaska | Bildquelle: © Holger Hage / DG Anna Prohaska | Bildquelle: © Holger Hage / DG Anna Prohaska: Ich habe das Stück erst einmal gesungen - vor acht oder neun Jahren mit der Berliner Domkantorei. Ich erinnere mich, dass ich sehr nervös war. Die "Johannes-Passion" ist nämlich ein heikles Stück: Man singt als Sopran am Anfang und am Ende und dazwischen sitzt man auf der Bühne. Bei unseren modernen Aufführungen singen die Solisten nicht im Chor mit, wie etwa unter John Eliot Gardiner. Man hat relativ wenige Möglichkeiten, die Stimme warm und frisch zu halten.

Für die Münchner Aufführung unter Blomstedt habe ich den Notentext noch einmal neu studiert. Ich merkte: OK, an die Musik kann ich mich erinnern, aber technisch hat sich bei mir in den letzten Jahren doch einiges verändert. Ich habe im Vergleich zu früher, wo alles noch ein bisschen mädchenhaft und unreif war, ein bisschen mehr Möglichkeiten - zum Beispiel ein größeres Volumen. Ich freue mich auf die Wiederbegegnung mit diesem Werk.

Die Hauptsache ist, dass man seiner eigenen Klangvorstellung treu bleibt.
Anna Prohaska

Bach kommt zu den Musikern

BR-KLASSIK: Gibt es so etwas wie eine "Bach-Schublade", die Sie aufziehen können und sagen: "Dies ist meine Stimme für Bach"? Sie singen ja alles - von Monteverdi bis zu zeitgenössischer Musik. Nächste Woche [30. und 31. März] wirken Sie an der Uraufführung von Wolfgang Rihms "Requiem-Strophen" mit. Mit anderen Worten: eine riesige Bandbreite. Hat man da ein Gespür für die eigene Stimme in den jeweiligen Epochen und ihren Anforderungen?

Sopranistin Anna Prohaska | Bildquelle: © Harald Hoffmann / DG Anna Prohaska | Bildquelle: © Harald Hoffmann / DG Anna Prohaska: Auf jeden Fall. Ich versuche das natürlich auch daran anzupassen, was zum Beispiel, der Dirigent erwartet. Oder um welchen Musikertypus es sich bei den anderen Solisten handelt. Aber trotzdem: Die Hauptsache ist, dass man seiner eigenen Klangvorstellung treu bleibt. Ich würde jetzt nicht unbedingt sagen, dass es für Bach eine eigene Schublade gibt, die man öffnet. Es ist eher so: Bach kommt zu einem und setzt sich quasi in die Stimme oder in das Instrument hinein. Er spricht zu einem.

Es war eine ganz tolle Erfahrung, die h-Moll-Messe in der Leipziger Thomaskirche gesungen zu haben - unter René Jacobs war das damals. Fast hätte ich die Perücke des alten Bach auf der Orgelempore gesehen und mir eingebildet, dass er mitspielt. Würde mich jemand fragen: "Wenn Du eine Zeitmaschine hättest, wo würdest Du hinwollen?" Ich würde am liebsten auf irgendeine Probe, damals in Leipzig unter Bach.

BR-KLASSIK: Lieber auf der Bühne oder im Publikum?

Anna Prohaska: Eher wie ein Mäuschen oder eine Fliege an der Wand. Einfach zuhören und lernen.

BR-KLASSIK: Hätten Sie gerne ein Feedback von ihm?

Anna Prohaska: Ich glaube, wenn ich mir seine Kritik zu den Sängern anhören würde, dann würde ich schon relativ genau wissen, was er an mir auszusetzen hätte. Natürlich wäre das toll gewesen, in einer dieser Proben als Sopran mitwirken zu können. Aber es waren ja alles Knaben damals.

BR-KLASSIK: Sie sind eine berühmte Sängerin, die auch von den Medien stark beachtet wird. Wie schafft man es da, so locker und authentisch zu bleiben?

Anna Prohaska: Ich bin in einer Theater- und Musikerfamilie aufgewachsen, die sich über jegliche Art von Allüren und Primadonnengehabe lustig machen würde. Natürlich respektieren sie, was ich tue. Mein Bruder befindet sich ja auch in einer ähnlichen Situation: Er ist Tenor und singt häufig am Gärtnerplatz. Wir beide können uns dann gegenseitig auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Und natürlich gilt das auch für meine Freunde. Ich lebe immer noch in Berlin, der Stadt, in der ich zur Schule gegangen bin und studiert habe. Und ich habe dort immer noch Freunde aus den verschiedensten Bereichen: auch Ärzte oder Handwerker.

BR-KLASSIK: Es hilft also auch, normal zu bleiben?

Anna Prohaska: Man muss seinen Freunden ja auch erklären, was es bedeutet, diesen Beruf auszuüben. Manche sind da halt toleranter und verstehen, wenn man sich mal drei Monate nicht meldet. Andere eher weniger, die beschweren sich. Da muss man dann auswählen. Und das ist hart. Aber man kann sich nicht mit zuviel Negativität umgeben oder mit Leuten, die Energie auffressen. Denn unser Beruf zieht selbst viel Energie. Man sollte sich am besten mit positiven Menschen umgeben. Das heißt nicht, dass man nicht auch gerne Menschen mit Problemen hilft. Aber wenn jemand die ganze Zeit nur jammert, und man selbst für den Beruf die Energie aufrecht erhalten muss - das ist dann kontraproduktiv.

Das Gespräch für BR-KLASSIK führte Kathrin Hasselbeck.

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