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Bayreuther Festspiele Mit mehr Visionen in eine erfgolgreiche Zukunft

Die Wagner-Festspiele waren bei ihrer Gründung eigentlich als Gegenentwurf zum normalen Opernbetrieb gedacht. Derzeit kämpft der Festspielbetrieb allerdings mit komplizierten Strukturen, erstmals sind viele Vorstellungen nicht ausverkauft. Bayreuth-Experte Florian Zinnecker meint: In Zukunft muss Bayreuth wieder visionärer werden.

Florian Zinnecker | Bildquelle: Maria Feck

Bildquelle: Maria Feck

BR-KLASSIK: Wer nach Bayreuth kommt, hat ein klares Beuteschema: Richard Wagners Opern. So war es immer und so soll es bleiben. Oder doch nicht?

Florian Zinnecker: Ich finde das ganz erstaunlich. Ich habe mich mal erkundigt und war erstaunt zu hören, wie wenig die Festspiele eigentlich wissen, wer ihr Publikum ist. Man weiß natürlich, welche Kartenkategorien beliebter sind, aber das war es auch schon. Das finde ich deswegen so erstaunlich, weil die Festspiele ja eigentlich sozusagen so als die Hochburg des Kulturmarketings und die Erfindungsstätte des Kulturmarketings gelten. Andere Institutionen haben immer ganz neidisch dorthin geschaut, wie die das mit dieser Publikumsbindung machen. Und jetzt zeigt sich: Das war eigentlich eher Zufall. Denn wenn man sich anschaut, wie kompliziert der Kartenbestellprozess jahrelang war, dann war das ja eigentlich eher ein Kartenbestell-Verhinderungsprozess. Man musste viele Jahre bestellen, wurde viele Jahre abgelehnt, und dann bekam man irgendwann den Zuschlag. Das ist nun nicht gerade kundenfreundlich. Dazu gibt es im Festspielhaus die berühmten unbequemen Stühle. Also das ist alles überhaupt nicht auf den Komfort des Publikums sind ausgerichtet, sondern man guckt sich sozusagen Wagner in Bayreuth immer eher trotzdem an. Dieser Kult um die Festspiele ist ja trotz all dieser Dinge entstanden und hat wunderbar funktioniert.

Radio-Tipp

Das komplette Interview mit Florian Zinnecker können Sie in der Pause der Eröffnungspremiere mit dem neuen "Parsifal" hören, die BR-KLASSIK am 25. Juli 2023 ab 15:05 live aus dem Festspielhaus überträgt.

BR-KLASSIK: Wer Wagner will, der hat auch eine gewisse Leidensbereitschaft mitgebracht. Das scheint irgendwie nicht mehr der Fall zu sein.

Florian Zinnecker: Aber dennoch ist die Frage, die hinter dieser dieser Thematik steht, natürlich viel größer als nur die Frage: Wie sprechen die Festspiele ihr Publikum an? Und wie gut sind sie darin? Denn was sind denn die Festspiele heute überhaupt? Wofür stehen Sie außer für sich selbst? Was sind sie außer ein Denkmal ihrer selbst in ihrer eigenen Geschichte? Man kommt nach Bayreuth, weil es zum Sommer dazugehört. Ich kann da auch für mich sprechen. Für mich gehört das auf eine Art ja auch dazu. Ich habe auch ab einer gewissen Außentemperatur Lust, Wagner zu hören und habe fast so eine Art Heimweh. Aber die Frage nach der Identität und nach dem nach dem Stellenwert der Festspiele stellt sich mehr denn je aus meiner Sicht

BR-KLASSIK: Stellt diese Frage sich denn irgendjemand da? Wissen Sie das? Gibt es da so einen Kreis der Weisen?

Wenig Zeit für die großen Fragen

Florian Zinnecker: Eigentlich ist das ja sozusagen der Job der Festspielleitung. Und da hört man und merkt man ja sehr deutlich, dass die mit ganz anderen Sachen beschäftigt ist, nämlich mit dem laufenden Geschäft, bei dem so viel schiefgeht. Und so bleibt für die ganz große Frage offenbar nicht so viel Zeit.

BR-KLASSIK: Schief laufen – heißt das jetzt finanziell, weil Katharina Wagner nicht nur die künstlerische Leiterin ist, sondern eben auch die Geschäftsführerin. Oder eher von diesem Werkstatt-Gedanken her, dass ein solides Arbeiten möglich ist und gemeinsames Entwickeln und Reifen der Stücke. Stattdessen gibt es Sängerinnen und Sänger, die kurzfristig absagen, Dirigenten und Dirigentinnen nicht kommen, oder Regisseure werden zu teuer und dann eben doch nicht eingeladen.

Florian Zinnecker: Das alles im Grunde alles der Job der Festspielleitung – und das ist ja nicht nur Katharina Wagner, sondern dazu gehören ja noch einige weitere Köpfe: für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen und für gute Bedingungen, dass da – in  Anführungszeichen – gute Kunst entstehen kann. Das ist mit dieser Struktur, die die Festspiele haben, meiner Meinung nach gar nicht so einfach.

Komplizierte Machstruktur in Bayreuth

BR-KLASSIK: Was heißt denn Struktur? Ist das jetzt die Machtstruktur? Ist das was Hierarchisches? Oder ist das das, das eben manche immer noch darauf vertrauen, das gute Rezept von Richard funktioniert?

Florian Zinnecker: Es sind einfach erstaunlich viele Leute da und dafür zuständig, dieses Haus zu leiten. Wir können es ja mal durchgehen. Also: Es gibt Katharina Wagner, die offiziell so heißende Festspielleiterin. Es gibt Ulrich Jagels, den kaufmännischen Direktor, der ja auch schon der dritte binnen zehn Jahren ist. Dann gibt es eine Gesellschafterversammlung mit vier Köpfen, dann gibt es einen achtköpfigen Verwaltungsrat. Die Festspiele werden ja getragen vom Bund und vom Freistaat Bayern, von der Stadt Bayreuth und dem Förderverein der Festspiele, der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Diese vier Parteien sind in diesen Gremien vertreten. Dabei ist eine zentrale Figur Georg von Waldenfels, der Präsident der Freunde von Bayreuth, dessen Machtposition man überhaupt nicht unterschätzen sollte. Und dann gibt es ja noch die Richard Wagner Stiftung. Darin ist unter anderem die Familie Wagner vertreten. Denen gehört das Haus. Die haben nun so gut wie nichts mehr zu sagen in dem Festspielgetriebe, aber die gibt es nun mal. Und jetzt kann man berechtigterweise sagen: Nichts ist so langweilig wie die Strukturen eines Opernhauses. Ist doch wichtig, was auf der Bühne passiert. Allerdings knirscht es dabei regelmäßig so laut und es gibt so viele Probleme, dass es wirklich ein Wunder wäre, wenn sich das nicht irgendwann auf die Kunst niederschlägt.

BR-KLASSIK: Bisschen wie bei Kafka, also wie im Schloss. Wenn ich mir das jetzt so anhören, ich habe mir schon gar nicht die verschiedenen Gremien alle merken können!

Florian Zinnecker: Das versteht man auch nicht. Also, interessanterweise ist Bayreuth überhaupt nicht das einzige Opernhaus mit einem Verwaltungsrat. Es ist nur das einzige Opernhaus, bei dem man weiß, dass es den gibt, weil er sich immer wieder selber ins Gespräch bringt und weil er sich – das wird ja von der Festspielleitung auch immer lauter beklagt – eben auch in die Kunst und in künstlerische Entscheidungen einmischt.

BR-KLASSIK: Nehmen wir noch mal ein konkretes Beispiel: die diesjährige neue "Parsifal"-Inszenierung. Die arbeitet mit AR-Brillen, also Brillen, wo eine zweite Realität, eine dritte Realität, je nachdem, wie man das nummeriert, geschaffen wird. Wie muss man sich das vorstellen? Der Regisseur kommt, sagt, „ich möchte das so haben“, und alle sagen ja?

Florian Zinnecker: Das wäre der Idealzustand. In diesem Fall war es so, dass zwischen diesem Satz des Regisseurs „ich hätte das gerne so“ und der Realisierung vier Jahre lagen und am Ende auch nicht die perfekte Lösung, sondern ein schaler Kompromiss. Der Wunsch wäre natürlich gewesen, dass das ganze Publikum, also knapp 2000 Menschen, eine solche Brille bekommen, um diese technisch hinzugefügten Sphären auch sehen zu können. Es gab dann aber einen solchen Konflikt um die Frage, wie man die finanziert. So war das Ganze fast vier Jahre in der Schwebe. Und als es dann jetzt im Frühjahr eine Lösung gab, dass also nicht 2000, sondern ungefähr 300 Menschen eine solche Brille bekommen können. Da will man nicht Regisseur sein.

BR-KLASSIK: Und da sehen Sie den Grund darin, dass einfach zu viele Köche in diesen Brei mitmischen.

Florian Zinnecker: Zu viele Köche und natürlich auch ein Vorsitzender des Verwaltungsrates mit einer eigenen künstlerischen Meinung. Georg von Waldenfels hat auch in Interviews selber schon gesagt, er hält die Szenerie in den Bayreuther Produktionen für überschätzt. Er findet eigentlich die Musik viel wichtiger, wenn schon, dann doch bitte traditionelle Inszenierungen. Das ist schon eine Aussage, wenn ein Verwaltungsratsvorsitzender mit solchen Worten an die Öffentlichkeit geht und sich auch in klare Opposition zur Festspielleiterin stellt, deren Chef er ja ist. Denn wir reden ja über eine GmbH, und somit sind Katharina Wagner und Ulrich Jagels in ihrer Rolle als Geschäftsführer ja Angestellte der Bayreuther Festspiele. Alles sehr kompliziert. Und insofern ist die Frage, wer denn nun eigentlich das Sagen hat, ist viel komplizierter, als man meinen könnte.

Bayreuths Zukunft liegt im Visionären

BR-KLASSIK: Mit anderen Worten: Diese Brillen, dieser Weg in die Zukunft mit einem neuen, einem virtuellen Blick ist eigentlich eine Augenwischerei?

Florian Zinnecker: Ach naja, ich finde das eigentlich toll, dass dieser Versuch gemacht wird. Selten genug gibt es auch in Bayreuth wirkliche echte Experimente. Das ist jetzt ja sozusagen wie vor 120 Jahren die Erfindung des Scheinwerfers oder so. Damit würde ich das fast vergleichen, und damit werden neue Dinge möglich. Ob das jetzt in der Neuproduktion alles eingelöst wird, weiß ich nicht. Ich bin mir sehr sicher, ausgeschöpft wird es damit noch nicht sein, sondern das ist jetzt ein Beginn. Und umso bedauerlicher fände ich es, wenn das jetzt nun schon ausgebremst oder behindert würde. Denn wozu, wenn nicht hierzu gibt es denn Bayreuth, dass für so etwas dann auch Geld, Energie und Konzentration da ist.

BR-KLASSIK: Sind die Bayreuther Festspiele also eher was für Freaks, also für Leute, die auch bereit sind, sich eben auf diesen Werkstatt-Gedanken einzulassen? Oder was für die Romantiker und Träumer, die sagen: Wir wollen alles so wie vor 120 Jahren.

Florian Zinnecker: Also für Letztere glaube ich sicherlich nicht. Schließlich sind die Festspiele etwas für Leute, die in der Kunst was suchen, was ihnen die Realität nicht geben kann.

BR-KLASSIK: Ist das auch das, was Sie sich von den Festspielen wünschen?

Florian Zinnecker: Ich würde mir von den Festspielen wünschen, dass sie viel visionärer werden, als sie sind. Im Moment sind sie es nämlich nicht so besonders. Die Festspiele versuchen gerade, mit aller Kraft, ein ganz normales Opernhaus zu sein, mit professionellen Strukturen, mit in einer funktionierenden Verwaltung. Schwierig genug. Aber für diese Art von Normalbetrieb gibt es ja schon all die anderen Opernhäuser. Denn Bayreuth wurde mal als die Ausnahme und das Gegenmodell dazu entworfen. Das könnte das Labor sein, und ich würde mir sehr wünschen, dass man sich dafür mehr als bisher die Zeit und die Konzentration nimmt. Ich komme jetzt nicht umhin, die totzitierte Phrase von Richard Wagner jetzt auch noch zu erwähnen: Der wird ja immer zitiert mit dem Satz „Kinder, schafft Neues“ Und ich würde da dringend sagen: Macht doch mal!

Sendung: Live aus dem Festspielhaus - ARD Radiofestival, 25. Juli 2023 ab 15:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

Kommentare (1)

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Mittwoch, 26.Juli, 11:16 Uhr

Gufo

Brillen

Was soll das Gejammere, dass nur 300 von 2000 Besuchern die Brille bekamen. Zinnecker bezeichnet doch selbst die Brille nur als " Versuch". Hätten alle 2000 die Brille verpasst bekommen und sie nachher aus welchen Gründen auch immer abgelehnt, wäre das Geschrei auch wieder groß . Nein, man sollte die Erfahrungen der 300 in Ruhe analysieren und dann entscheiden, ob die Brille eine Bereicherung für Wagners Musik ist. Denn trotz allem Werkstattgerede ist die Musik das Zentrum, um das sich alles dreht.

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