Nach seinem umjubelten Debüt in Puccinis "Rondine" an der MET in New York im März 2024 legt der Tenor Jonathan Tetelman nun nach: wieder mit Puccini, seinem derzeitigen "Suchtfaktor". Im BR-KLASSIK-Interview erzählt er von seinem Werdegang als Bariton, seiner persönlichen Puccini-Technik und seinen Vorbildern, die er auf CD rauf und runter gehört hat.
Bildquelle: Ben Wolf
BR-KLASSIK: Sie haben mal gesagt, dass Sie Rockstar werden wollten, aber die Klassische Musik Sie stärker angezogen hat, als alle anderen Musikrichtungen – gab's da einen Schlüsselmoment?
Jonathan Tetelman: Das Singen hat mich seit frühester Kindheit fasziniert. Seit ich drei oder vier Jahre alt war, habe ich gerne gesungen und Musik gehört, und mit zehn habe ich meinen ersten professionellen Gesangsunterricht gehabt. Ich war Mitglied in einem Knabenchor, der American Boy Choir School in der Nähe von Princeton in New Jersey, die es mittlerweile nicht mehr gibt. Ich war Externer dort, hatte normalen Schulunterricht und dann eben Gehörbildung und all die musikbezogenen Fächer und Proben für die Konzerte, und auf Tournee gab es den Unterricht im Bus. In dieser Zeit habe ich meine Leidenschaft fürs Singen entdeckt. Die ist immer weitergewachsen, bis ich wusste, ich will Tenor werden. Das braucht allerdings ziemlich viel Zeit, Hingabe und Konzentration und geht dann doch nicht so einfach. Aber ich habe alles gegeben und es geschafft!
BR-KLASSIK: Ein Knabenchor bringt häufig Sänger hervor, aber die Begeisterung für die Oper braucht ja auch noch eine Begeisterung für die Bühne. Wann haben Sie die entdeckt?
Jonathan Tetelman: Meine erste Solo-Bühnenerfahrung hatte ich als Rock´n´Roll-Gitarrist, aber als ich dann an der Manhattan School of Music studiert habe, bin ich regelmäßig in die MET und die City Opera gegangen, um mir ein Bild davon zu machen, was es bedeutet, Opernsänger zu sein. Die Charaktere auf der Bühne haben mich gefesselt und die Kraft der Sänger zu spüren, die ohne ein Wort zu sprechen 4.000 Menschen im Publikum erreichen. Das war eine magische Erfahrung, und nach dem Singen der nächste Faktor, der mich für die Oper begeistert hat. Das Theaterspielen ist mittlerweile eines der wichtigsten Elemente für mich. Es macht die Sache noch spannender, wenn es nicht nur ums Singen geht, sondern darum, eine Person lebendig werden zu lassen.
BR-KLASSIK: Wichtig sind ja auch Mentoren, die einen da hinführen und es schaffen, einen abzuholen, woher man kommt. Wie war das bei Ihnen?
Jonathan Tetelman: In meiner Studienzeit war ich noch eine Art Bariton, eigentlich ein Tenor mit schlechter Technik. Aber ich hatte einen guten Lehrer, der mir wirklich helfen wollte, meine Stimme zu entwickeln. Das ist bei einer 18-jährigen Opernstimme eine echte Herausforderung, aber der Leiter der Gesangsabteilung an der Manhattan School of Music hat mich sehr gefördert. Er hat mich dazu gebracht, meine Musikalität und meine Technik weiterzuentwickeln und mich voll und ganz dieser Kunst hinzugeben. Als ich mich dann doch als Tenor herausgestellt habe, musste ich mich nach einem neuen Lehrer umsehen, und es hat lange gebraucht, bis ich es geschafft habe, meine Stimme in der Tenorlage weiterzuentwickeln, ohne das baritonale Register völlig zu vernachlässigen. Ich wollte meine Stimme erweitern und nicht wechseln. Ich habe dann erfolgreich mit Mark Schnaible und seiner Frau Patricia etwa drei Jahre lang gearbeitet und ständig die Aufnahmen der besten Tenöre aller Zeiten angehört. Ich habe sehr intensiv in diese Aufnahmen hineingehorcht und versucht zu verstehen, was die Sänger da machen. Zu jeder Unterrichtsstunde, also ein bis zwei Mal die Woche, habe ich eine neue Arie mitgebracht und gelernt, gelernt, gelernt. Ich glaube, das war der beste Weg, um schnell Resultate zu erzielen. Die habe ich dann mit vielen Vorstellungen und Erfahrungen gefestigt.
Jonas Kaufmann ist ein Ausnahmesänger – und mein Idol
BR-KLASSIK: Können Sie ein paar der großen Vorbilder nennen, deren Aufnahmen Sie stundenlang gehört haben?
Jonathan Tetelman: Der Erste, dem ich sehr intensiv zugehört habe, weil seine Aufnahmen auch leicht verfügbar für mich waren, war und ist der wunderbare Jonas Kaufmann. Er war mein Idol und ist es immer noch, weil er ein toller Musiker und Künstler ist und diese baritonale Farbe hat. Ich spüre eine starke Verbindung zu dieser Stimme. Anfangs war ich skeptisch und mochte es nicht, wie er gesungen hat, und dann habe ich verstanden, wie textverbunden er singt, woher er seine Farben und die Dynamik für seine Gestaltung nimmt und wie besonders seine Stimme ist. Er ist wirklich ein Ausnahmesänger – und ich habe ihn gern und häufig angehört. Dann bin ich natürlich auf Carreras und Domingo gekommen, von denen es diese enorme Bandbreite an Aufnahmen gibt. Und meine Tenorhelden aus früheren Zeiten sind Bergonzi, Giacomini, Di Stefano, und mittlerweile gehe ich noch weiter zurück und höre sehr viel Gigli, Tamagno oder Vinay, denn mich interessiert die erste Version des modernen Tenors von vor über hundert Jahren.
BR-KLASSIK: Das ist spannend, denn da geht man ja zurück in die Zeit derer, die noch zu Puccinis Lebzeiten gesungen haben. Ist so bei ihnen die Wahl auf das veristische Fach – Puccini und Verdi – gefallen, oder ist das etwas, das die Stimme bestimmt?
Jonathan Tetelman: Ich glaube wirklich, die Frage des Opernfachs ist wie die Rolle des Sprechenden Hutes in "Harry Potter". Du tust alles, um das zu werden, was du sein möchtest, aber letztendlich sind andere Aufgaben für dich vorgesehen. Ich habe nie damit gerechnet, dieser eher italienische, heldische Spinto-Tenor zu werden. Ich hatte mit Mozart und Belcanto gerechnet, aber die Gelegenheiten haben sich geboten, und ich habe festgestellt, dass es zu mir passt, zu meinem Typ Mensch. Und dann ist meine Technik mit diesem Repertoire gewachsen, ziemlich schnell sogar. Ich lerne enorm viel durch dieses Repertoire, das mich auserwählt hat.
Jonathan Tetelman und Asmik Grigorian als tragisches Paar in Puccinis "Madama Butterfly": Am 11. Mai 2024 sendet BR-KLASSIK live zeitversetzt aus der MET ab 20:03 Uhr
BR-KLASSIK: Sie haben einen chilenischen Hintergrund und sind aufgewachsen in den USA. Wie haben Sie den Sprachzugang gefunden und wo Ihr Italienisch gelernt?
Jonathan Tetelman: Die korrekte Aussprache muss man meiner Meinung nach als sehr junger Mensch entwickeln. Ich hatte immer ein gutes Ohr, konnte gut imitieren, ob das Comicfiguren waren oder Menschen. Ich habe sogar meiner Mutter am Telefon vorgemacht, meine Schwester zu sein. Italienisch musste ich lernen. Ich übe täglich, aber ich bin weit entfernt davon, es fließend zu sprechen. Spanisch habe ich auch nie gelernt, denn ich wurde im Alter von sechs Monaten adoptiert und kenne meine chilenische Verwandtschaft gar nicht. Wer weiß, woher das alles kommt? Vielleicht ist es genetisch, oder es ist die Fähigkeit, sich anzupassen. Ich höre einfach hin und versuche, eine Verbindung zu mir herzustellen. Die einzige Blutsverwandte, die ich kenne, ist jedenfalls meine kleine Tochter. Meine Eltern hatten mit der Oper nichts zu tun, mein Vater arbeitete als Rechtsanwalt und meine Mutter als Architektin, aber sie haben meine Liebe zur Musik und zum Gesang immer unterstützt. Ich bin ihnen so dankbar dafür und fange jetzt an, ihnen wenigsten ein bisschen was dafür zurückzugeben.
BR-KLASSIK: Jetzt singen Sie in New York an der MET gleich zwei große Premieren nacheinander: zwei Puccini-Rollen, die sehr unterschiedlich sind, auch wenn beide Stücke tragisch enden. Welcher von den beiden – Pinkerton in "Madama Butterfly" oder Ruggero in "La Rondine" – ist Ihnen emotional näher?
Mieser Charakter, geniale Musik: Jonathan Tetelman als Pinkterton in "Madame Butterfly" an der MET | Bildquelle: © Richard Termine / Met Opera Jonathan Tetelman: Ich kann jetzt schlecht Pinkerton wählen, weil er so ein… naja, ein unangenehmer Typ ist. Aber ich muss ihn natürlich doch auswählen, weil er diese unglaublich schöne Arie und ein göttliches Duett singt. Diese Musik ist einfach umwerfend, leider ist sein Charakter das Gegenteil. So ist das eben, und das macht die Geschichte umso spannender, dramatischer und realistischer als etwas Hübsches und Perfektes. Diese Tragödien sind wichtig in der Oper.
BR-KLASSIK: Jeder Komponist birgt ein paar Gefahren für die Stimme, selbst Mozart kann eng machen, und bei Puccini, denke ich, ist es sehr gefährlich, sich mitreißen zu lassen und gegen große Klangwellen aus dem Orchester anzustemmen. Haben Sie einen inneren Alarm, der Sie davor bewahrt?
Jonathan Tetelman: Also, ich kann Ihnen ja ein paar meiner Techniken preisgeben, die mir gute Dienste leisten: Erstens konzentriere ich mich auf meine Atmung. Sobald etwas schwierig wird, ich Druck verspüre, nehme ich das Gas raus und atme und dann kann ich die Situation lösen. Falls nicht, muss ich über meinen weichen Gaumen justieren, denn damit bekommt man mehr Stimmbandschluss und Resonanz. Normalerweise ist das die Lösung, mich darauf zu konzentrieren. Aber falls doch nicht, verschließe ich meine Ohren über die zugehaltene Nase und höre auf meinen inneren Klang. So kann man verhindern, dass man übersteuert, zu viel gibt und sich schadet.
BR-KLASSIK: Für manche ist die Musik von Puccini auch zu viel der Emotionen. Brauchen Sie ein Gegengewicht zu diesen Opern?
Jonathan Tetelman: Ich bin gerade auf Puccini abonniert, ich befinde mich quasi im Land der Tränen und Schmerzen. Aber ich genieße es eigentlich, all diese Emotionen zu spüren. Wirklich, ich bin absolut süchtig danach und will gar nichts anderes singen. Ich liebe dieses Gefühlsbad, weil die Gefühle wechseln und ich darin wachsen und mich entwickeln kann. Für mich ist Puccini gerade Alles, und ich genieße es total, ein Puccini-Tenor zu sein.
Sendung: Opernabend, Samstag, 11. Mai ab 20:03 Uhr
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