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Die Zukunft der Münchener Biennale Das sind die Neuen

Zwei Frauen stehen bald an der Spitze der Münchener Biennale: Manuela Kerer und Katrin Beck. 2026 werden sie das Festival erstmals selbst gestalten. BR-KLASSIK stellt beide im Interview vor.

Manuela Kerer und Katrin Beck (rechts) werden die Münchener Biennale von 2026 an leiten. | Bildquelle: Astrid Ackermann

Bildquelle: Astrid Ackermann

BR-KLASSIK: Zunächst mal ganz profan: Woher kennen Sie beiden sich eigentlich?

Manuela Kerer: Wir kennen uns im Grunde schon seit Längerem. Aber näher von einer Produktion aus Innsbruck, wo ich im Rahmen von "Die sieben Leben des Maximilian" – das war ein Konzept der Stadt und des Landes Innsbruck und Tirol – eine Oper geschrieben habe. Katrin war dort die Leiterin des künstlerischen Betriebsbüros. Und wir haben gemerkt, dass wir einfach gut zusammenpassen, dass wir auch gut miteinander lachen können. Aber vor allem, dass es sich gut anfühlt, zusammenzuarbeiten.

Katrin Beck: Und auch wenn wir uns immer wieder aus den Augen verloren, haben wir uns immer wieder getroffen und gemerkt, dass wir uns viel zu sagen haben und einen wunderbaren gemeinsamen Humor besitzen.

BR-KLASSIK: Das ist eine schöne Basis. Wann und vor allem wie ist dann der Gedanke in Richtung Biennale gereift?

Manuela Kerer: Das war so eine Art von Beschnuppern. Obwohl wir uns kannten und wussten, dass wir gut zusammenarbeiten können, haben wir auch gemerkt, dass es bei so einem Festival um etwas anderes und gleichzeitig um viel mehr geht. Wir haben gesprochen, wie die Zukunft des Musiktheaters für uns aussehen kann und wohin es gehen soll und festgestellt: Das kann nur gut gehen mit uns.

Keine Konkurrenz zum jetzigen Führungsteam der Münchener Biennale

BR-KLASSIK: Kam denn vom derzeit amtierenden Führungsduo Manos Tsangaris und Daniel Ott sowie von der Stadt München konkret der Auftrag zur Biennale?

Katrin Beck: Nach so einer langen Phase unserer Vorgänger ist ein Wechsel gut für alle beteiligten Seiten – also für das Festival, für die Stadt und auch fürs künstlerische Team. Wir haben uns da nicht irgendwie als Konkurrenz gesehen, sondern es war klar, da soll ein Wechsel passieren. Und deswegen haben Manuela und ich uns aktiv ins Spiel gebracht.

BR-KLASSIK: Die offizielle Vorstellung von Ihnen beiden war im Februar in München, wo dann wie so oft auch ein paar Allgemeinplätze gefallen sind. Da war die Rede von der Öffnung und der Verankerung, die man ausbauen möchte.

Kathrin Beck: Ja, das sind natürlich Schlagworte, die gerade sehr en vogue sind. Aber wir meinen es schon sehr ernst. Diese Öffnung in den Stadtraum ist bei uns verbunden mit einer Vermittlungsarbeit, die wir sehr, sehr ernst nehmen. Wir nennen sie eine aufsuchende Vermittlungsarbeit, eine Arbeit, die wir gerne ausweiten möchten und von der wir denken, dass sie extrem wichtig ist. Und zwar nicht nur für Kinder und Jugendliche. Wir möchten sie wirklich auf alle Altersklassen beziehen. Das bedeutet aber auch, dass wir in die Stadt diffundieren und dieses wunderbare Genre des neuen Musiktheaters neu erlebbar machen wollen.

Junges Publikum begeistern

BR-KLASSIK: Haben Sie da schon konkret etwas vor Augen, gerade beim jungen Publikum? Wo könnte man da anpacken, bei dem doch manchmal so abstrakten oder eben etwas beängstigenden Genre des zeitgenössischen Musiktheaters?

Manuela Kerer: Uns ist es ganz wichtig, die Qualität hochzuhalten. Wenn man von Musikvermittlung spricht, dann denken viele: Da wird jetzt einfach mal vereinfacht, damit es jeder versteht. Das wollen wir nicht. Wir sind total überzeugt von der zeitgenössischen Musiksprache. Wir sind auch überzeugt davon, was die zeitgenössische Musik und auch das zeitgenössische Musiktheater vermag. Wir wollen Übersetzungen anbieten und die jungen Leute begeistern. Das ist jetzt ein großes Wort. Aber um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wir wollen ein Festival im Festival für junge Ohren, für junge Menschen und wir wollen diese Altersklassen auch wirklich ernst nehmen, ihre Themen aufgreifen und sie ansprechen. Oft passieren die Produktionen für junges Publikum auf den Nebenbühnen. Wir wollen sie auf unsere Hauptbühne bringen. Außerdem wollen wir auch jemandem den Auftrag dafür geben. Das muss jemand sein, der einen wirklich total von den Socken haut.  

Für Kinder zu schreiben – das ist für mich als Komponistin die Königsdisziplin.
Manuela Kerer

Katrin Beck: Natürlich ist Musiktheater wirklich eine komplexe Kunstform, das ist uns sehr bewusst. Aber wir wollen zeigen, dass es eine sehr lebendige Kunstform ist. Und wir wollen auch etwas öffnen, was derzeit vielleicht etwas hermetisch wirkt oder für manche eben nicht so den Zugang hat. Und Öffnen heißt für uns: Wir lassen auch zuschauen, bevor das Produkt ganz fertig ist. Und damit schaffen wir Vorfreude und Neugierde.

BR-KLASSIK: Interaktivität – ein gerne verwendetes Wort, das aber nicht immer eingehalten wird. Also auch die Zielgruppe, die man erreichen will, mit ins Boot holen?

Manuela Kerer: Absolut! Wir wissen ja aus der neurologischen und neuropsychologischen Forschung, dass es einen großen Unterschied macht, ob ich jetzt nur zuschaue oder auch selbst etwas mache. Und deswegen sind uns zum Beispiel auch Koproduktionen in der Stadt mit verschiedenen Institutionen wichtig. Trotzdem müssen wir uns auch treu bleiben.

MUSIK UND POLITIK

BR-KLASSIK: Ein zeitloses Thema ist Musik und Politik, vielleicht besonders präsent im zeitgenössischen Musiktheater. Wie halten Sie es denn damit? Es gibt ja regelmäßig auch Künstlerinnen und Künstler, die sagen: Ich habe mit Politik nichts am Hut, ich mache nur Musik, und Musik sei nicht politisch. Was sagen Sie dazu?

Manuela Kerer: Grundsätzlich muss Musik alles können und auch alles aushalten. Wir selber sind ja auch sehr interessiert an der Weltpolitik. Natürlich kriegen wir alle mit, was gerade in der Welt um uns herum passiert. Und ganz egal, ob ich ein Liebeslied schreibe oder eine politische Meinung in einem Stück wiedergebe – irgendwo beeinflusst es mich doch. Ich will jetzt gar nicht dieses Thema aufgreifen, dass sich ein Künstler zu irgendetwas äußern muss. Aber trotzdem bildet sich jeder von uns seine Meinung. Und ich denke, es ist auch sehr wichtig zuzulassen, wenn jemand die Politik thematisieren möchte. Natürlich ist besonders die zeitgenössische Musik auch ein Spiegel unserer Gesellschaft, und insofern muss da alles Platz haben.

BR-KLASSIK: Wollen Sie sich als Führungsduo mit auf die Fahnen schreiben, explizit Komponistinnen stärker zu fördern?

Manuela Kerer: Wir suchen grundsätzlich gute Komponistinnen und Komponisten und gute Qualität – und suchen nicht nach Geschlecht aus. Es gibt inzwischen viele sehr gute Komponistinnen. Sollte man irgendwann merken, es läuft was schief, dann muss man gegensteuern. Wenn man aber merkt, es geht ganz natürlich und man hat jetzt sowohl das eine wie das andere Geschlecht drinnen, weil man eben aufgrund von gewissen Merkmalen sucht, dann läuft es genau in die richtige Richtung. Zwei Frauen das erste Mal in Führungshand der Münchener Biennale, das wollen wir eigentlich gar nicht so thematisieren. Wir zwei sind jetzt einfach die richtigen Individuen dazu.

Wir suchen gute Qualität – und nicht nach Geschlecht aus.
Manuela Kerer

BR-KLASSIK: Natürlich. Ziel ist es, dass man gar nicht mehr darüber redet, dass man es gar nicht mehr erwähnt. Aber die letzten 50 Jahre haben ja gezeigt, dass es von alleine doch nicht so richtig zu funktionieren scheint. Wie halten Sie es jetzt mit der oft zitierten und viel verschrienen Quote?

Katrin Beck: Es wird keine Quote geben, sondern einfach die Perlen, die uns für die hoffentlich drei kommenden Festivalausgaben interessieren. Aber klar ist uns auch bewusst, dass wir – so wie wir drauf schauen und wie wir vernetzt sind – vielleicht eine etwas andere Streuung haben.  

Komponieren vs. organisieren

BR-KLASSIK: Frau Kerer, kommen Sie sich manchmal mit Ihren Rollen und verschiedenen Talenten auch in die Quere, also als Komponistin und jetzt als Festivalmacherin und Organisatorin?

Manuela Kerer: Da sprechen Sie ein ganz wichtiges Thema an, und ich merke auch, dass mein Gehirn als Komponistin schon anders funktioniert als eben als Festivalmacherin oder als Kuratorin. Wie sagt man so schön: "Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust." Da ist schon was Wahres dran. Ich würde aber eher sagen, das befruchtet mich auch. Allerdings sollte man schon wissen, in welcher Rolle man sich gerade befindet.

BR-KLASSIK: Sie, Frau Beck, sind ja schon länger in der Kulturorganisation rund um die zeitgenössische Musik tätig und haben einen großen Erfahrungsschatz. Wie hat sich denn die gesellschaftliche Debatte und das Standing des zeitgenössischen Musiktheaters oder der zeitgenössischen Musik entwickelt? Tut sich da was?

Katrin Beck: Ich sehe es als eine ganz erfreuliche Entwicklung, dass es an den Musiktheatern kaum noch einen Spielplan gibt, der pro Saison nicht wenigstens eine gute Wiederaufnahme oder auch eine Uraufführung hat. Das zeitgenössische Musiktheater hat also eine größere Selbstverständlichkeit in der Programmplanung bekommen, auch wenn da noch Luft nach oben ist. Man muss damit jetzt noch nicht zufrieden sein. Aber was die Münchner Biennale auszeichnet, ist ja wirklich diese Ballung: Wir sind ein ausschließliches Uraufführungsfestival und werden es auch bleiben.

BR-KLASSIK: Ihre erste eigens verantwortete Biennale ist – Stand heute – im Jahr 2026. Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft des Festivals?

Katrin Beck: Ich wünsche mir, dass wir als Gastgeberinnen für dieses Festival jede Menge ganz unterschiedlicher Publica erreichen, dass sich die Stadt öffnet und auch wirklich Lust hat auf dieses wunderbare Festival.

Manuela Kerer: Und ich wünsche mir ganz viel Neugier von allen Seiten, auch von mir selber. Und ich hoffe, dass ich dann im Mai 2026 in einer Produktion sitze und sage: Wow, wir haben es geschafft!

Sendung: "Horizonte" am 11. April 2023 ab 22:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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