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Kritik - "Iphigenie" bei Bayreuth Baroque Muckibuden-Männer-Welt

Den Griechen geht auf dem Weg nach Troja buchstäblich die Luft aus: Göttin Diana ist verärgert und fordert Königstochter Iphigenie als Menschenopfer. Der düstere antike Mythos, von Nicola Porpora 1735 vertont, erweist sich im Markgräflichen Opernhaus als so mitreißendes wie vergnügliches Duell zwischen Verstand und Gefühl. Das Publikum war begeistert.

Szene aus "Iphigenie" bei Bayreuth Baroque 2024. | Bildquelle: Clemens Manser

Bildquelle: Clemens Manser

Hervorragende Sänger zu verpflichten, reicht in der Barockoper leider nicht aus: Es müssen auch Künstler sein, die keine Angst vor großen Gefühlen haben dürfen. Und wenn ein Abend so richtig gelingen soll, müssen sie diese Emotionen sogar in vollen Zügen genießen, und zwar in schneller Abfolge - Frust, Wut, Verzweiflung, Trauer, Liebe, alles durcheinander. Wie das geht und wie es allen Beteiligten selbst bei einem ernsten Thema Spaß macht, das wurde bei der Eröffnung des Bayreuther Barockfestivals deutlich.

Cencic inszeniert mitreißend und spannend

Gut, das Markgräfliche Opernhaus ist als UNESCO-Weltkulturerbe so überwältigend, dass die Augen notfalls auch über die prächtige Ausstattung wandern können, wenn es auf der Bühne mal langweilig sein sollte. Diesmal allerdings, bei der Premiere von "Iphigenie in Aulis", war kaum Zeit, das Gebäude zu bewundern, so spannend und mitreißend erzählte Festivalchef Max Emanuel Cencic als Regisseur die antike Geschichte, die in Wahrheit topaktuell ist.

Schon Porpora wusste: Erst denken, dann handeln

Es geht um einen Rebellen, der den Gehorsam verweigert, nicht nur den gegen seine Vorgesetzten, sondern auch den gegen die Götter. Anders ausgedrückt: Es geht um den ewig währenden Kampf zwischen Kopf und Herz, zwischen Verstand und Gefühl. So gesehen ist es tatsächlich ein Werk der Aufklärung, obwohl der einst viel gefeierte Komponist Nicola Antonio Porpora seine Oper schon 1735 herausbrachte, also ein paar Jahrzehnte, bevor Immanuel Kant Selbstverantwortung predigte und dringend dazu aufforderte, erst zu denken und dann zu handeln - eine Devise, die heutzutage ja leider wieder schwer unter Druck geraten ist, nicht nur bei Wahlen.

Energiegeladen und voller Spielfreude

Bei "Iphigenie in Aulis" versöhnt Göttin Diana am Ende noch mal die Kopf- und Bauchmenschen miteinander. Es geht also unentschieden aus. Was das Publikum begeisterte und zu stehenden Ovationen hinriss: Die sechs Solisten waren dermaßen energiegeladen und von ansteckender Spielfreude, dass aus dem Trauerspiel ein Fest der Ausgelassenheit wurde, auch dank der Ausstattung von Giorgina Germanou, die das griechische Feldlager als eine Art Kriegstempel entworfen hatte, mit einem Altar vor blutrotem Horizont. Dreckverschmierte Statisten, streckenweise splitternackt, stehen für die raue Männerwelt, die für den Sieg alles opfert - zur Not auch die titelgebende Iphigenie: Auf dass die verärgerte Göttin Diana endlich für guten Segel-Wind und in der Folge für einen Triumph über Troja sorgen möge!

Erkälteter Cencic überzeugt trotzdem

Odysseus ist hier ausnahmsweise kein listenreicher Sympathieträger, sondern ein gefährlicher Fanatiker. Großartig, wie akrobatisch Nicolò Balducci die Rolle wuchtete, und eminent anrührend, wie Maayan Licht den herzensguten und tapferen Gegenspieler Achill sang, dem die Liebe zu Iphigenie wichtiger ist als der Gehorsam gegenüber dem Himmel. Festivalleiter Cencic ließ sich als Agamemnon erkältungsbedingt entschuldigen, trat jedoch trotzdem auf und enttäuschte keineswegs. Undankbar die Titelrolle: Iphigenie ist erst verzweifeltes, dann demütiges Opferlamm und somit etwas eindimensional in ihren Emotionen. Jasmin Delfs wirkte trotz ihrer raumfüllenden stimmlichen Präsenz in dieser Muckibuden-Männer-Welt etwas verloren, obwohl sie zum Finale auch den Part der Diana übernahm.

Bayreuth Baroque zum Nachhören

Am Sonntag, 15. September, überträgt BR-KLASSIK die "Iphigenie" aus Bayreuth. Von 20:03 Uhr an live im Radio und als Stream auf br-klassik.de

Lebendige Barockmusik

Dirigent Christophe Rousset trug mit seiner eleganten, unaufgeregten Wandlungsfähigkeit zum Gesamterfolg bei: Nichts ist in der Barockmusik schlimmer als Eintönigkeit. Damit Funken schlagen können, sind schnelle Wechsel von Tempo, Lautstärke und Ausdruck wichtig, was nicht hektisch wirken sollte, sondern aufrichtig, impulsiv. Insgesamt eine in jeder Hinsicht lohnende Wiederentdeckung und ein so vergnüglicher wie nachdenklicher Festivalauftakt von "Bayreuth Baroque".

Sendung: "Allegro" am 6. September ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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