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Der Dirigent Iván Fischer "Die Musik unserer Zeit – das ist ein Mix"

Am 11. und 12. April dirigiert Iván Fischer das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in Werken von Bartók und Mozart. Es ist seit 15 Jahren Fischers erstes Konzert mit dem Orchester. Im Interview spricht er über den Zusammenhang von Bartók und den Grünen, die Zukunft der Musik und eine neue Generation der Originalklangbewegung.

Bildquelle: Marco Borggreve

Am Pult des Symphonieorchesters des BR

Interview mit dem Dirigenten Iván Fischer

BR-KLASSIK: Im zweiten Teil des von Ihnen dirigierten Konzerts mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks werden wir die Rumänischen Volkstänze von Béla Bartók hören. Für Bartók war die Volksmusik der Ursprung sämtlicher Musik, die Basis von Kunstmusik. Arnold Schönberg aber hat das anders gesehen; er empfand Volksmusik als etwas Primitives. Er hat gesagt, höhere Gedanken und höhere Musik brauchen eine gewisse Schulung des Denkens. Wie stehen Sie zu diesen beiden konträren Aussagen?

Iván Fischer: Adorno war noch grausamer. Er hat Folklore die Eselsbrücke der Musik genannt. Aber die Frage geht tiefer, weil: Muss etwas immer moderner werden oder sucht man die Natur als Basis? Ich glaube, in der Zeit von Schönberg gab es noch keine grüne Bewegung. Und jetzt kommen diese grüne Parteien überall in der Welt, und das steht eher in Harmonie mit Bartóks Denken, das in der Musik zur Folklore zurückgreift.

Heavy Metal, Bruckner, Gamelan

BR-KLASSIK: Wir haben Glück, dass Sie seit 2004 das erste Mal wieder zu Gast sind beim BR-Symphonieorchester, weil sie das Dirigieren zugunsten des Komponierens reduzieren. Und als Komponist setzen Sie sich durchaus für eine Bandbreite der Stile ein. Ich habe gelesen, dass Sie gesagt haben, das Eklektische ist das Modernste überhaupt. Ist die zeitgenössische Musik zumindest in Deutschland auch deswegen ein bisschen in eine Nische gekommen, weil sie manchmal zu akademisch ist – modern um des Modern-Seins willen?

Iván Fischer: Die Frage kommt auf: Was ist die Musiksprache unserer Zeit – heute, im 21. Jahrhundert? Ich glaube, das ist ein Mix, weil: Wie lebt man? Man drückt auf einen Knopf im Auto, und dann kommt Musik. Was fließt aus diesem Gerät? Heavy Metal, Bruckner, indische Folklore, Gamelan-Musik aus Indonesien und so weiter. Man kann es gar nicht genau definieren, denn es kommt aus dem Handy, aus dem Aufzug, von überall her kommt Musik. Und wenn man das seriös akzeptiert, muss man sagen, dass genau dieser Mix unsere moderne Musiksprache geworden ist.

Unsere heutige Konzertform ist wunderbar, aber etwas einseitig.
Iván Fischer

BR-KLASSIK: Wenn man über Sie liest, stößt man immer wieder das Adjektiv visionär, weil Sie viel ausprobiert haben, was über die konventionelle Konzertform, wie wir sie gewohnt sind, hinausgeht. Sie haben auch einmal gesagt, das herkömmliche Konzert-Genre passt meistens gar nicht zur Musik, die wir eigentlich hören. Wie sehen Sie die Zukunft unserer Konzerte?

Iván Fischer: Eine gewisse Vielfalt wäre schon schön. Heutzutage haben wir dieses Ritual, welches wir Konzert nennen: Das Publikum sitzt im Saal, die Musiker auf der Bühne und die nächsten zwei Stunden werden so verbracht. Und es wird dann Musik gespielt, die nicht dazu passt. Zum Beispiel ein Streichquartett von Haydn. Wozu hat er das komponiert? Wahrscheinlich zum Vergnügen, wie ein Gesellschaftsspiel: In irgendeinem Zimmer setzen sich vier Musiker zusammen, um Spaß damit zu haben – aber nicht, um es von der Bühne herab aufführen zu müssen. Ich glaube, die Konzertform, so wie sie sich jetzt manifestiert, ist wunderbar, aber etwas einseitig.

Zwei Generationen von Alte-Musik-Spezialisten

BR-KLASSIK: Mozart war früher Standard bei den großen Symphonieorchestern. Das hat sich mittlerweile zumindest in Deutschland etwas geändert. Sicher auch, weil viele Spezialisten-Ensembles unterwegs sind. Sehen Sie da eine Gefahr, dass das zu einem etwas einseitigen apodiktischen Mozartstil führt – nach dem Motto: So und nicht anders muss Mozart interpretiert werden?

Iván Fischer: Das Wort "muss" passt nicht genau hierhin. Es gab eine Generation, für die es faszinierend war, die originalen Klänge wiederzufinden. Und jetzt kommt eine jüngere Generation von Alte-Musik-Spezialisten, die weniger darauf besessen sind, das Original zu rekonstruieren, sondern die wissen das schon. Sie kennen die barocke Musik- und Klangsprache. Daher gehen sie etwas kreativer mit dieser Musik um. Das begrüße ich sehr.

Sendung: "Leporello" am 12. April 2019 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Infos zum Konzert

Freitag, 12. April 2019, 20:00 Uhr
München, Herkulessaal der Residenz

Wolfgang Amadeus Mozart:
Symphonie Nr. 34 C-Dur, KV 338
Béla Bartók:
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1, Sz 36
Wolfgang Amadeus Mozart:
Symphonie Nr. 39 Es-Dur, KV 543
Béla Bartók:
Rumänische Volkstänze, Sz 68

Janine Jansen (Violine)
Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks
Leitung: Iván Fischer

Live-Übertragung im Radio auf BR-KLASSIK
Übertragung im Video-Livestream auf br-klassik.de/concert

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