Die neue Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin, Joana Mallwitz, ist gestern in ihre erste Saison gestartet. Am Abend präsentierte sie die ersten Sinfonien von Sergej Prokofjew, Kurt Weill und Gustav Mahler. Der Saal tobte: Berlin hat einen neuen Klassikstar.
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An ihr kommt in Berlin niemand vorbei. Plakatiert in der ganzen Stadt, setzt das Konzerthausmanagement alles auf die junge neue Chefdirigentin, die in diesem Jahr ihren Abschied als Generalmusikdirektorin in Nürnberg feierte. Mut und Magie verspricht der Trailer mit ihr für die neue Saison. Dank Joana Mallwitz soll sich das Orchester im Haus am Gendarmenmarkt deutlich abheben von den anderen Klangkörpern der Stadt, den weltberühmten Philharmonikern, den beiden Rundfunkorchestern und den drei Opernorchestern.
Sie ist die erste Frau als Chefdirigentin in der Hauptstadt, sie wagt es und sie gewinnt. Drei erste Sinfonien hat sie für ihren ersten Konzertabend gewählt. Prokofjews Symphonie classique, eine Auseinandersetzung mit dem späten Haydn, aber voll verschobener Rhythmen, ist ein Klassiker des Konzertsaals aus dem Jahre 1917. Mallwitz präsentiert ihn voller Energie, heiter, klassisch, alle Brüche herausarbeitend und tänzerisch. So bewegt, dass sie fast ein breiteres Podest bräuchte.
Dirigtentin Joana Mallwitz | Bildquelle: Sima Dehgani Kurt Weills erste Sinfonie, die Berliner Sinfonie, vier Jahre später entstanden, ist expressionistisch, optimistisch, aus einem Satz bestehend. Weill merkt im Notentext an, sie solle anstürmend, wild, abstürzend, aufrauschend, bittend, mystisch und zuversichtlich klingen - all diese Farben einer Großstadt lässt Joana Mallwitz elegant mit feiner Gestik leuchten, die typisch Weill'sche Harmonik, die wir später aus der Dreigroschenoper kennen, schwebt im Raum.
Das ist ein einzigartiges Klima, das gibt es nirgendwo auf der Welt wie in Berlin.
Mallwitz dirigiert alle drei Werke auswendig. Es ist einfach hinreißend schön, ihr zuzuschauen, ihren gewandten Bewegungen und den noblen, ästhetischen Gesten zu folgen, die sich in die einzelnen Stimmgruppen auffächern. Mahlers erste Sinfonie ist ein Gebirge, zerklüftet, voller grandioser Ausblicke, melodisch und dissonant und wieder: die Dirigentin als Ausdruckstänzerin.
Wer die einzigartige, grandiose Interpretation von Claudio Abbado erinnert, wird manch Linie vermissen und Tiefenauslotungen, aber das Konzerthausorchester klang selten so motiviert, so engagiert und begeistert. Mallwitz, strahlend und verschwitzt, unglaublich sympathisch und überhaupt nicht abgehoben oder maestrohaft, genießt den Jubel zum Schluss. Der Kultursenator springt auf und pfeift vor Begeisterung wie bei einem Rockkonzert. Ebenso die Schauspielerin Katja Riemann. Der Saal tobt. Madonna statt Maestro. Berlin hat einen neuen Klassikstar.
Sendung: "Allegro" am 1. September 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK