Jonas Kaufmann und Giacomo Puccini – dieses Gespann führt auf allen großen Opernbühnen dieser Welt immer wieder zu überwältigenden Erlebnissen. Zum 100. Todestag des Italieners tourt der Münchner Tenor gerade durch die Konzertsäle – und löst auch hier Entzücken aus.
Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Music
Dieser Mann muss sich nicht einsingen, er hat's einfach drauf. Schon die erste Arie des Cavaradossi, "Recondita armonia" (aus der "Tosca"), gelingt Jonas Kaufmann grandios. Die Stimme spricht perfekt an, sitzt, trägt, entfaltet sich – und ist auch in der extremen Höhe nach wie vor ungefährdet da. Faszinierend auch die gelassene Ruhe, die Kaufmann hier verströmt. Große Beruhigung im Publikum. Man weiß ja nicht – Kaufmann ist jetzt 55 … Aber diese Puccini-Hommage in der Münchner Isarphilharmonie wird sein Abend – trotz der zauberhaften Begleitung durch die italienische Sopranistin Valeria Sepe.
Die junge Neapolitanerin (auch sie, wie Kaufmann, am Schluss umjubelt) hat ein Problem: das Piano. Ihr in der Mittellage leicht herber Sopran ist immer auf 180. Er prunkt mit einer leuchtenden Höhe, öffnet sich aber viel zu plötzlich. Die Stimme trifft einen unmittelbar ins Mark – aber nicht ins Herz. Und die klanglichen Eruptionen passen nicht zur zart-traurigen Mimi in der "Bohème" und auch nicht zur verletzlichen Cio-Cio San in der "Butterfly". Nimmt sich Valeria Sepe mal ins Piano zurück, gerät die Stimme intonatorisch leicht aus dem Ruder. Bei Toscas "Vissi d’arte" sieht und hört man, wie sie sich auf ihren Höhenflug in der zweiten Strophe richtiggehend vorbereitet – und prompt verliert sie wegen der Konzentration auf die Technik den Blick auf die Rolle. Schade, denn dann bleiben nur mit Aplomb gesungene Arien, aber keine Charaktere. Keine Menschen. Keine Schicksale. Wenig Schmerz, wenig Sehnsucht, wenig bedingungslose Liebe. Und das bei Puccini, dem Schöpfer der tragischsten, fragilsten und hinreißendsten Frauenportraits der gesamten Opernliteratur.
Von der Leidenschaft, der Innigkeit und den Verletzungen dieser Frauen erzählt dafür oft das Orchester, die dunkel grundierte Deutsche Staatsphilharmonie – auch wenn Dirigent Jochen Rieder ein bisschen zu oft heftig rudernd Lautstärke von seinem Ensemble einfordert. Doch immer wieder legen die Musikerinnen und Musiker kostbare, in vielen Farben schillernde Klangteppiche aus.
Herzzerreißend nimmt Jonas Kaufmann als Cavaradossi Abschied von der Welt – und gibt als Rodolfo (da ist er mit seiner Mimi schon durch die seitliche Bühnentür entschwunden) seinem verliebten Jüngling noch einen hohen Schlusston mit, den Puccini für den Tenor gar nicht vorgesehen hatte. Aber wenn einem dieser Ton schon einigermaßen mühelos zur Verfügung steht, halten wir es mit den Italienern: "Come no", wieso also nicht? Eine Gala verträgt das …
Mitten im Duett Pinkerton/Cio-Cio San aus dem ersten Akt der "Madama Butterfly" rügt Kaufmann souverän, ohne aus der Rolle zu fallen, mit drohendem Zeigefinger eine Zuhörerin im Rang, die munter und unverschämt während der Musik mit blitzendem Handy fotografiert. Zum musikalischen Highlight des Abends gerät das Duett Manon/Des Grieux aus dem 2. Akt der "Manon Lescaut": bei diesem dramatisch aufgeladenen Wortgefecht der beiden Verliebten taucht Valeria Sepe mit überzeugendem Furor in ihre Rolle ein. Kaufmann hält mit dunkel strahlender Brillanz dagegen. Phantastisch.
Nach fast zweieinhalb Stunden endet diese Gala – mit Calafs "Nessun dorma" aus der "Turandot" als fünfter und letzter Zugabe. Jetzt ist Jonas Kaufmann hörbar müde – aber sein triumphales "Vincerò" reißt das Publikum in der vollbesetzten Münchner Isarphilharmonie endgültig aus den Sitzen. Er ist und bleibt ein Phänomen …
Sendung: "Allegro" am 4. November 2024 um 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Samstag, 16.November, 14:25 Uhr
Lisa Glockenspiel
Kaufmann in der Isarphilharmonie
Lang, lang ist es her, kam ein junger Tenor daher, attraktiv und gut bei Stimme, anders halt.
Vom Einsingen hat er nie etwas gehalten, lt. seiner Aussage. In zahlreichen Vorstellungsbesuchen wünschte ich mir sehr, er hätte dieses getan und bräuchte nicht Zeit um erst im 3. Akt voll dazusein. Einsingen ist angebracht, egal ob erst in der Garderobe oder beim flotten Fahren zum Ort des Geschehens. Er wurde schon längst von einem anderen Tenor überholt, übertroffen, abgelöst. Der ist phänomenal, ein Traumtenor, der andere.
Sonntag, 03.November, 18:24 Uhr
Brigitte Steinert
Einsingen
"Dieser Mann muss sich nicht einsingen..." Was versteht der Kritiker hier unter "Einsingen"? Dass der Sänger sich erst im Lauf des Konzerts warmläuft? Das wäre ein fataler Fehler. Einsingen ist das Aufwärmen der Stimme VOR dem Auftritt. Es ist wie bei Sportlerinnen und Sportlern. Erst wenn die Muskeln warm sind, kann gefahrlos mit dem Sport begonnen werden. Und professionelles Singen hat nicht nur, aber doch manches mit Sport zu tun, weil es eben nicht nur eine geistige sondern auch eine körperliche Arbeit ist. Ich bedauere diese journalistische Unkenntnis oder zumindest Flapsigkeit.
Sonntag, 03.November, 16:16 Uhr
Franz Büchel
Kaufmann-Gala in der Isarphilharmonie
Der Lokalmatador kam, sang und siegte ! Ich kann die Eindrücke des Verfassers hier in vollem Umfang bestätigen. Der "König der Tenöre" bewies bei seinem "Heimspiel" in der Isarphilharmonie, dass er es nach wie vor drauf hat und sein Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißen kann.
Puccini's traumhafte Melodien und Jonas Kaufnann - das past einfach zusammen ! So manchen Unkenrufen und einigen Corona-Infektionen zum Trotz, JK ist in der Welt der Tenöre nach wie vor das Maß aller Dinge.
Natürlich kann man auf höchstem Niveau immer auch das noch so kleinste Haar finden. Deshalb füge ich mit einem leichten Augenzwinkern hinzu: Dieser Konzertabend war Klassik, die wirklich begeistert !
Franz Büchel