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Kritik – Jonas Kaufmann in Verona Opernkrimi mit Startschwierigkeiten

Vor drei Jahren hat Tenor Jonas Kaufmann das Opernpublikum in der Arena von Verona zum ersten Mal mit einer Operngala entzückt. Seitdem kommt er immer wieder – zumindest für einen Auftritt pro Saison. Jetzt hat er für die letzte "Tosca"-Vorstellung im Veroneser Festspielsommer 2024 den Cavaradossi in Puccinis "Tosca" übernommen.

Jonas Kaufmann | Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Music

Bildquelle: Gregor Hohenberg / Sony Music

Es soll Opernfans geben, die dem Tenor Jonas Kaufmann hinterherreisen: von München nach Wien und Hamburg, Paris und Neapel – und auch mal nach Verona. Vor drei Jahren hat der gebürtige Münchner mit einer Operngala sein umjubeltes Arena-Debüt gegeben, und seither lässt er sich immer wieder in Münchens Schwesterstadt blicken – heuer einmal in der Rolle des Cavaradossi in der allerletzten "Tosca"-Vorstellung der Saison.

Verona, 30. August 2024: In den Schaufenstern künden Cashmere-Pullover und dicke Jacken vom kommenden Winter, und draußen erzählen der blaue Himmel und die 35 Grad Hitze eine andere Geschichte – die vom ewigen Sommer. In der Arena, dem großen Amphitheater der Stadt, wird noch gespielt – und hier hat sich eine Sängertrias versammelt, um gemeinsam unterzugehen. Rein opernmäßig, versteht sich. Denn in Puccinis "Tosca" überlebt keine der drei Hauptpersonen.

REGIE? FEHLANZEIGE

Es dauert ein bisschen, bis diese Vorstellung Fahrt aufnimmt. Das liegt erst einmal an der Regie, die keine ist – und auch am Bühnenbild, das keines ist. Beides verantwortet der Argentinier Hugo de Ana. Dass diese Produktion seit 2006 immer wieder zu sehen ist, hat Puccini nicht verdient. Die riesige Bühne der Arena di Verona zu bespielen ist eine Herausforderung. Aber wer dort das Krimi-Kammerspiel "Tosca" zeigen will, sollte eine Idee haben. Hugo de Ana hat keine.

BÜHNE OHNE ATMOSPHÄRE

Arena di Verona | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bilck in die Arena di Verona | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ein riesiger Engelskopf beherrscht die Bühne, hat aber zweieinhalb Stunden lang keine Funktion. Der erste Akt spielt nicht in der Kirche, aber auch sonst nirgends; der zweite Akt hat nichts von einem Palazzo, aber dafür die Anmutung eines Hinterhofflohmarkts für religiösen Kitsch, in dem Tosca zufällig ein Messer findet, mit dem sie Scarpia von vorn und von hinten erstechen kann. Im dritten Akt wird Cavaradossi erschossen, die Titelheldin geht über eine Treppe nach hinten ab und fährt, plötzlich auf dem Engelskopf stehend, in den Himmel auf. Lichteffekte Fehlanzeige, von Atmosphäre keine Spur – und die tonnenschweren Brokatvorhänge mit meterlanger Schleppe, die Tosca als Kleider tragen muss, hindern sie mehr als einmal beim Gehen und Aufstehen. Eine Zumutung.

DREI WELTKLASSESÄNGER RÄUMEN AB

Und jetzt beginnt das Wunder dieses Abends: Elena Stikhina lässt sich von diesen Einschränkungen nicht irritieren und singt mit bezaubernder Innigkeit und großen leuchtenden Bögen. Ihr aus dem Nichts aufblühendes"Vissi d’arte" ist hinreißend – und mutig, denn die Geräuschkulisse im Publikum ist nicht zu unterschätzen. Es vergeht keine  Minute, ohne dass etwas zu Boden fällt: Flaschen, Programmhefte, Operngläser oder Gehhilfen … Die Stikhina spielt auch, sofern die Last ihres Kostüms das zulässt. Das Orchester unter Daniel Oren geht diese Poesie mit, unter dieser Zurückhaltung leidet das gewaltige Te Deum im ersten Akt ein wenig. Da wäre mehr katholisch-barocke Klangwucht nicht verkehrt. Toscas fieser Gegenspieler Scarpia ist Ludovic Tézier in der Stimmform seines Lebens. Da dröhnt und poltert nichts, die Gefährlichkeit kommt immer aus dem Piano und macht Gänsehaut. Abstoßend gut spielt Tézier die körperlichen Übergriffe dieses Machtmenschen, der sich alles erlaubt, weil er sich alles erlauben kann.

AUCH JONAS KAUFMANN ÜBERZEUGT MIT PIANOKULTUR

Und Jonas Kaufmann? Der fremdelt ein wenig in dieser Produktion und gewinnt erst allmählich so richtig Profil. Auch er geht die Partie nicht mit Stentortönen an, sondern zeigt in einem verträumt-elegischen, erst zum Schluss auftrumpfenden "E lucevan le stelle", dass da ein unglücklich-unschuldiger Mensch vom Leben Abschied nimmt, der sich nicht so recht erklären kann, was er falsch gemacht hat. Es ist immer noch eine seiner besten Rollen, er hat die Höhe und das Legato, er gestaltet nach wie vor großartig. Und dass Singen Arbeit macht (vor allem Open Air bei 30 Grad), darf man mit Mitte 50 hören. Fazit: Drei Meistersänger retten Puccinis "Tosca". Und alle drei werden sie gefeiert.

Sendung: "Piazza" am 31. August 2024 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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