Er galt als genial und schwierig: Julius Eastman. Er war jahrzehntelang vergessen – jetzt steht sein Name endlich auch auf Münchner Konzertplakaten. Vor 40 Jahren hatte er mit John Cage, Meredith Monk und Pierre Boulez zusammengearbeitet.
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Julius Eastmans Leben ist die Geschichte von einem, der um jeden Preis er selbst sein wollte und damit gleichzeitig vielen viel zu viel war. "Was ich mir wünsche, ist, in vollen Zügen das zu sein, was ich bin, in vollen Zügen schwarz, in vollen Zügen Musiker, in vollen Zügen Homosexueller", postulierte der vielfach begabte Sänger, Tänzer, Pianist, Komponist und Performer in den 1970er-Jahren. Doch mit seinem Hang zur Provokation sang und komponierte er sich in der weißen Heteroblase der amerikanischen Ostküsten-Avantgarde oft in Schwierigkeiten hinein.
1975 referiert Eastman in offen sexuellen Worten zu Musik von John Cage über ein "neues System der Liebe", während sich auf der Bühne parallel dazu ein Paar entkleidet. Unverantwortlich, unerhört, so empfindet das Publikum die Performance. Cage ist auch da – und überhaupt nicht amused. Die beiden entzweien sich und Eastman kehrt Buffalo und Cage den Rücken, er zieht nach New York City und arbeitet mit anderen namhaften Kolleginnen und Kollegen zusammen: Meredith Monk, Arthur Russell, Zubin Mehta, Pierre Boulez. All das schon eine beachtliche Leistung, als schwuler schwarzer Komponist. Denn so offen und experimentierfreudig die New Yorker Avantgarde-Szene der damaligen Zeit auch gewesen sein mag: Das, was der 1940 geborene Eastman damals in seiner Musik und mit seinen Performances an Fragen zu Sexualität und Genderidentität aufwirft, übersteigt für viele die Grenzen des Hinnehmbaren. Seine Stücke provozieren schon im Namen: Gay Guerrilla, Evil Nigger. Offensive, fordernde Musik, mit der Eastman kontinuierlich sein Image als provokantes Genie unterfüttert. Lasziv und stolz.
Lange gut geht das jedenfalls nicht. Schon in den 80er-Jahren nimmt Eastmans Leben eine tragische Wendung. Freier Fall. Nachdem er seinen Job am Konservatorium verloren hat, verfällt er dem Alkohol, nimmt harte Drogen, magert ab bis auf die Knochen. Als er die Miete nicht mehr zahlen kann, verliert er auch seine Wohnung, die Polizei setzt ihn auf die Straße, beschlagnahmt seine Partituren. Sein neues Zuhause ohne Zuhause: Parks und Obdachlosenunterkünfte.
1990, mit nicht einmal 50, stirbt Julius Eastman vereinsamt, verarmt und vergessen in einem Buffaloer Krankenhaus an Herzversagen. Mehr als 30 Jahre ist das jetzt her.
Dass die Musikwelt Eastman nun wiederentdeckt, ist vor allem ein Verdienst der Black Lives Matter-Bewegung. Bei Demos und Kundgebungen erklang Eastmans Musik in Städten wie Philadelphia, Los Angeles und New York vor einer größeren Menschenmenge. Wütend und dringlich. Und sie schwappt rüber zu uns, diese Musik, die so gut in unsere Zeit passt und in nichts der Musik seiner Zeitgenossen Reich, Riley, Glass und Cage nachsteht. Julius Eastman hat sich durchs Leben getroubelt. So wie’s aussieht, ist seinem Klangrauschpostminimal – oder dem, was davon übrig, was im Räumungschaos nicht verloren gegangen ist – ein besseres Ende beschieden als ihm: ein Ende ohne Ende.
Im Februar und März ist die Musik von Julius Eastman live im Münchner Lenbachhaus zu erleben. Die Münchner Philharmoniker und das Münchner Kammerorchester sowie das Schweizer Kukuruz Quartett widmen dem afroamerikanischen Komponisten eine Konzertreihe. Auf dem Programm stehen u. a. Eastmans Stücke Femenine (1974), Prelude to the Holy Presence of Joan d’Arc (1981), Evil Nigger (1979) und Gay Guerrilla (1979).
Der BR schneidet das Konzert vom 14. März mit und sendet den Mitschnitt am Dienstag, den 5. April um 22.05 Uhr in der Sendung Horizonte.
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