Ein Gottesdienst ohne Musik – undenkbar. So wie jetzt zu Ostern sorgen Chöre und Instrumentalensembles für den festlichen Rahmen. Einsparungen aus der Corona-Zeit und Nachwuchsmangel könnten das Kirchenmusikleben in München allerdings deutlich verändern.
Bildquelle: Wolfgang-Christian Bayer
Fast jeden Sonntag singt in der Peterskirche in München ein Chor mit Orchester. Chordirektor Sebastian Adelhardt bedient sich dafür aus einem Pool von etwa 150 freischaffenden Profimusiker:innen. Während der Corona-Pandemie waren die Ensembles zeitweise nur mit zehn Personen besetzt, lange ging gar nichts. Die Pfarrei konnte die Musiker:innen mit Ausfallhonoraren unterstützen, betont Sebastian Adelhardt: "Das ist schon so gewesen, dass wir viel in Vorlage gegangen sind für die Musiker, das Geld aber auch wieder 'reinholen' müssen. Das ist ja klar. Zu der Zeit war mein Haushaltsetat noch geringer gewesen und ist jetzt auch noch geringer."
Trotz der Unterstützung mussten einige der freiberuflichen Musiker:innen sich zwischenzeitlich beruflich umorientieren. Immerhin konnte im April das erste Konzert außerhalb der Gottesdienste stattfinden; für das nächste Jahr rechnet Sebastian Adelhardt wieder mit dem vollen Etat.
Wir leiden unter der Kirchenkrise, und Corona hat das Ganze nur noch verstärkt.
Auch St. Michael in München hat Musikerinnen und Musiker während der Corona-Pandemie durchgängig gefördert. Die Bedeutung der Musik ist hier enorm: Sechs Vokalensembles aus Profis und Laien plus Orchester sind hier angesiedelt. Corona habe nur ein blaues Auge hinterlassen, so Chordirektor Frank Höndgen. Er sieht in der Pandemie allerdings ein Brennglas, das die Entwicklungen in der Kirche beschleunigt habe: "Es gab vorher schon massive Kirchenaustritte nach dem Aufdecken der ganzen Missbrauchsfälle. Wir leiden unter dieser Kirchenkrise und Corona hat das Ganze nur noch verstärkt."
2021 stellten Anwälte das Münchner Missbrauchsgutachten vor, eine "Bilanz des Schreckens", so bezeichneten sie es damals. Bischöfe entschuldigten sich, der emeritierte Papst Benedikt XVI. räumte Fehler ein, Katholiken treten seitdem in Scharen aus ihrer Kirche aus: Allein im letzten Jahr sind laut Münchner Kreisverwaltungsrat 26.008 Menschen aus der Kirche ausgetreten – fast 20 Prozent mehr als im Jahr davor. Die katholische Kirche kämpft mit massivem Vertrauensverlust – und das hat auch Auswirkungen auf die Kirchenmusik.
Kirchenchor in Würzburg | Bildquelle: dpa-Bildfunk Dieser Vertrauensverlust in die Institution ist für Frank Höndgen das eigentliche Problem. Außerdem hätten die Leute während der Pandemie gemerkt, dass sie auch ohne Gottesdienste auskommen. "Der Bau der Michaelskirche ist leider immer noch so groß, wie er 1597 bei der Weihe auch war. Und wenn statt 300 Leuten nur noch 150 Leute in der Kirche stehen, dann macht das was mit den Menschen, die da unten drinsitzen." Es gebe zwar nun auch den Livestream als Konkurrenz, was aber keine Ausrede sein dürfe. Deshalb fordert Frank Höndgen ein Umdenken: "Wir machen Musik nicht nur für die Kunst, sondern vor allem für unsere Gottesdienstbesucher. Und wir müssen schauen, dass wir da versuchen, den Puls zu fühlen." Puls fühlen heißt ganz konkret, zum Beispiel auch einmal Frauen predigen zu lassen. Mehr Gottesdienstbesucher heißt: mehr Zugang zu geistlicher Musik und Unterstützung für diese.
Die wachsende Distanz vieler Menschen zur Kirche bekommt auch die Domsingschule München zu spüren. Anknüpfend an eine Tradition aus dem 16. Jahrhundert bekommen Kinder hier seit über 30 Jahren eine kostenlose Gesangsausbildung: Zweimal pro Woche kommen sie zur Chorprobe, erhalten zudem Einzelunterricht in Stimmbildung und gestalten als Gegenleistung Gottesdienste in der Frauenkirche musikalisch mit. Domkantor Benedikt Celler ist besorgt, denn seit Jahren schrumpft das Interesse: "In Bezug auf den Nachwuchs merken wir, dass vor allem der Weg über die Grundschulen ein bisschen schwieriger wird. Wenn man anklopft und sagt, man kommt von der Kirche, dann stößt man jetzt nicht unbedingt auf Wohlwollen." Wer aber bereits dabei ist, liebt das Miteinandersingen: "Besonders an diesem Chor ist die Gemeinschaft. Ich meine, wir singen seit 12 Jahren zusammen. Das ist etwas, was man woanders nicht findet."
Besser sieht es wiederum bei den Augsburger Domsingknaben aus. Sie hatten schon letztes Jahr mit der Matthäuspassion ein erstes großes Passions-Konzert nach drei Jahren. Am Nachwuchs mangelt es hier nicht. Gerade die Konzerte sind wie gewohnt ausverkauft. Nur was den Vorverkauf angeht, gibt es hier seit Corona eine größere Zurückhaltung. Es spiele sich mehr an der Abendkasse ab, meint Domkapellmeister Stefan Steinemann. Ein Verhalten, das wohl nach den vielen Verschiebungen und Absagen der Pandemie geblieben ist. Doch trotz der guten Zahlen wägt er sich nicht in Sicherheit. "Wir schauen auch immer mit einem wachsamen Auge darauf, wie die Entwicklungen sind. Und wir versuchen auch, unseren Teil auch als kirchliche Institution dazu beizutragen, dem ein Stück weit entgegenzuwirken."
Miteinander zu singen und zu musizieren – das stiftet Gemeinschaft, so Benedikt Celler. "Kirchenmusik ist eines der größten Pfunde, die einfach vielerorts die meisten Menschen bindet an eine Pfarrei." Es ist deshalb wichtig, Chöre und Instrumentalensembles auch weiterhin zu finanzieren. Schon allein, weil Musik in der Kirche ohne die Kirche nicht funktioiniert. Die finanzielle Förderung bei der Dommusik ist glücklicherweise sicher.
Sendung: "Allegro" am 04. April 2023 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (3)
Donnerstag, 06.April, 17:24 Uhr
Pfetscher, Georg
Kirchenmusik
Ich stimme mit dem Vorgesagten total überein. Die Musik bringt uns näher zum Allerhöchsten. Gerade in der heutigen Zeit (Kirchenaustritte etc.) ist sie unverzichtbar!!!
Donnerstag, 06.April, 10:18 Uhr
Ella
MEDIEN!
Das ist vor allem auch den Medien geschuldet! Eine derart subjektive Berichterstattung (nahezu schon Diffamierung/Hetze) führt unweigerlich dazu, dass die Massen wie gewollt darauf reagieren! Seit mindestens zehn Jahren hört man seltsamerweise nichts mehr von den Missbrauchsskandalen in Familien, Schulen/Internaten (Odenwald etc.) ...
Eine derartige Abwertung der kath./ev. Kirchen (jedoch interessanterweise nicht der Sekten wie Zeugen Jehovas, Scientology etc.) führt unweigerlich zu dem gewünschten Ergebnis!
Musik und allen voran Kirchenmusik ist aus der Seele von wunderbaren Menschen zur Heilung der Seele entstanden und wird nicht durch eine subjektive Berichterstattung ausgelöscht werden! Hier läge u. a. die Aufgabe der öffentlich-rechtlichen in einer aufgeklärten Zivilisation, wenn dies gewollt wäre!!
Dienstag, 04.April, 10:47 Uhr
Gufo
Kirchenmusik
Nicht nur die Kirchenmusik ist in der Krise. Auch bei BR-Klasik fristet die Kirchenmusik ein Mauerblümchendasein. Nur äußerst selten hört man eine der wunderbaren Messen, und dies nicht einmal an den Sonntagen vormittags. Kirchenmusik gehört genauso zu unserem Kulturgut wie Symphonien,Violinkonzerte, Sonaten etc. Sie hat mehr Aufmerksamkeit verdient.