Ein Robin Hood für die Künstler:innen. Das möchte der Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sein. Deswegen finanziert er die arbeitsrechtliche Klage eines Chorsängers gegen die Salzburger Festspiele. Was hinter den Vorwürfen steckt.
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Ist das Beschäftigungsmodell unzulässig, mit dem die Salzburger Festspiele seit Jahrzehnten die Sänger*innen der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor verpflichten? Das soll ab dem 24. April 2023 am Arbeits- und Sozialgericht Wien geklärt werden. Hinter der Klage eines einzelnen Zusatzchorsängers gegen den Salzburger Festspielfonds steckt aber mehr: Der Gang vor Gericht soll eine Tür öffnen für Solistinnen und Solisten, die sich um Entschädigungen aufgrund abgesagter Vorstellungen im Corona-Sommer 2020 und darüber hinaus geprellt sehen. Dabei hat der Kläger einen namhaften Mitstreiter, nämlich den Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, seit 2021 Bayerischer Kammersänger.
Der Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke auf der Bühne. | Bildquelle: picture alliance / SvenSimon | Malte Ossowski Kurze Rückschau in die erste Phase der Pandemie: Im Frühjahr 2020 hatte die Politik erste Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus ergriffen. Am 10. März 2020 traten in Österreich Regelungen in Kraft, die das öffentliche Leben und damit auch Kunst- und Kulturveranstaltungen zum Erliegen brachten. Die Salzburger Festspiele konnten als einziges der großen Musikfestivals in einem sommerlichen Fenster mit modifiziertem Programm stattfinden, bevor im Herbst ein neuerlicher Lockdown verhängt wurde. Für Künstler*innen eine schwierige Zeit. Weil die Auftrittsmöglichkeiten fehlten, floss häufig auch kein Geld. Ablinger-Sperrhacke hatte sich schon früh für die Interessen seiner Berufsgruppe eingesetzt und etwa 2021 gemeinsam mit Christian Gerhaher gegen den Kultur-Lockdown in Bayern geklagt.
Noch früher, nämlich bereits im ersten Lockdown, hatte sich in Österreich eine anwaltliche Vertretung von Freischaffenden dafür eingesetzt, dass ausgefallene Vorstellungen kompensiert werden. Das wurde im Kulturstaatssekretariat ausgehandelt, und in der Abschlusssitzung im Mai 2020 ging es dann um einen entscheidenden juristischen Begriff: den der Force Majeure, der Höheren Gewalt. Jürgen Meindl, der die Sektion Kunst und Kultur im Bundeskanzleramt leitet und im Festspiel-Kuratorium ein Vertreter des Bundes ist, hat damals bestätigt, dass dieser Rechtsbegriff für die Salzburger Festspiele 2020 nicht greifen würde. Die Begründung: Es gab ja ein alternatives Festspielprogramm. Weil also nicht von Höherer Gewalt die Rede war, folgert Ablinger-Sperrhacke: "Wir gingen von Kompensationen aus." Doch im September 2020, also nach dem erfolgreichen Ersatzprogramm in Salzburg, hat sich abgezeichnet, dass die Festspiele die Künstler*innen, die für die komplett abgesagten Produktionen engagiert gewesen waren, nicht entschädigen würden. Für Ablinger-Sperrhacke nicht nachvollziehbar: "Wenn Force Majeure nicht gilt, dann gibt es auch keine Basis für Vertragsauflösungen. Also hätten diese Leute ausbezahlt werden müssen. Das ist aber nicht geschehen." Für ihn bildet das die Ausgangsbasis der jetzt laufenden arbeitsrechtlichen Klage.
Was sagen die Salzburger Festspiele zu den Vorwürfen? Lukas Crepaz, der Kaufmännische Direktor, äußert sich gegenüber BR-KLASSIK: "Hätten wir die Festspiele 2020 in Zeiten einer Pandemie und größter Unsicherheit einfach abgesagt, könnte es diese Klage gar nicht geben. Wir haben aber, auch auf hundertfachen Wunsch von Künstlerinnen und Künstlern und unter großen Anstrengungen, alles dazu getan, dass Festspiele stattfinden konnten." Zum Begriff der Höheren Gewalt setzt Crepaz hinzu: "Wir berufen uns nicht ausschließlich auf Höhere Gewalt und haben außerdem versucht, alles, was 2020 nicht stattfinden konnte, soweit möglich auf 2021 zu verschieben." Großteils sei das auch gelungen, weshalb sich Crepaz vehement gegen die Vorwürfe von Ablinger-Sperrhacke stellt. Außerdem betont er, dass Ablinger-Sperrhacke weder für eine Produktion 2020 engagiert gewesen war, noch wurde eine Produktion mit ihm auf 2021 verschoben oder ein Vertrag mit ihm aufgelöst.
Chorszene bei den Salzburger Festspielen. | Bildquelle: SF/Marco Borrelli Wolfgang Ablinger-Sperrhacke geht es hier auch ums Arbeitsrecht. Deswegen unterstützt er die Klage des Chorsängers Martin Thoma-Stammler. Der gehört zu jenen freischaffenden Chorsänger*innen, die wegen der Absage der Aufführung von "Boris Godunow" 2020 ein Kündigungsschreiben erhalten haben. Die Proben liefen da schon seit Januar 2020. "Bis drei Tage vor Lockdown gab es sogar Kostümanproben der Salzburger Festspiele in Wien. Man hat diese Leute im vollen Lauf entlassen", kommentiert Ablinger-Sperrhacke das Vorgehen der Festspiele. Zu diesem Zeitpunkt, wendet Lukas Crepaz ein, habe es jedoch noch keine Verträge mit einzelnen Chorsänger*innen und damit auch keine Weiterbeschäftigungspflicht gegeben. Dass die Konzertvereinigung sich von ihren Mitwirkenden Verpflichtungserklärungen unterschreiben lässt, in denen sie zustimmen, nur im Sommer in Salzburg angestellt werden und die Vorproben unentgeltlich zu absolvieren, kritisiert Ablinger-Sperrhacke grundsätzlich: "Das ist einfach unzulässig: Probenantritt ist Dienstantritt laut Theaterarbeitsgesetz."
"Wir haben mit der Konzertvereinigung eine Rahmenvereinbarung, die uns bei Probenbeginn einen fertig einstudierten Chor zusagt", sagt Lukas Crepaz von den Salzburger Festspielen dazu. Er betont, dass es rechtlich gar nicht unbedingt erforderlich sei, die Sänger*innen überhaupt sozialversicherungsrechtlich und lohnsteuerpflichtig zu beschäftigen, wie ein Urteil des Verwaltungsgerichts von 2019 in der Causa Arnold Schoenberg Chor und Theater an der Wien zeigt. So sehen die Festspiele "keinerlei Fehlverhalten", sondern betrachten die Situation umgekehrt: "Wir haben über 1400 Mitarbeiter*innen, davon fast 900 Künstler*innen, im Sommer 2020 Beschäftigung gegeben – in einem Sommer, in dem es bei den meisten Kulturinstitutionen auf der ganzen Welt keine Auftrittsmöglichkeiten gegeben hat."
Es war sehr schwierig, einen Kläger zu finden, weil jeder Angst hat, sich mit Salzburg anzulegen.
Was will also Wolfgang Ablinger-Sperrhacke? Nimmt er einen verblendeten Kampf wie Don Quixote gegen Windmühlen auf? Der Tenor räumt ein, dass es "sehr schwierig war, einen Kläger zu finden, weil jeder Angst hat, sich mit Salzburg anzulegen". Deshalb hat er sich dafür entschieden, die Klage zu finanzieren. Extrachorleute hätten keine Rechtschutzversicherung, "die könnten sich eine solche Klage unmöglich leisten", sagt er. Und er fügt an, dass Thoma-Stammler nach 26 Jahren für die Festspielsommer 2021 und 2022 nicht mehr engagiert worden war. "Als Bestrafung für sein aufmüpfiges Verhalten?", fragt Ablinger-Sperrhacke. Wenn, dann jedenfalls nicht von den Salzburger Festspielen, stellt deren Kaufmännischer Direktor Crepaz klar – denn die würden nicht über die einzelnen Chorsänger*innen bestimmen: "Das ist Sache der Konzertvereinigung."
Der Fall ist also eigentlich nicht mehr als die Klage eines einzelnen Zusatzchoristen gegen den Salzburger Festspielfonds. Doch er zieht weite Kreise und gewinnt an Aufmerksamkeit. Das ist Ablinger-Sperrhacke nur recht. Er will durch seine Unterstützung das von ihm beanstandete System knacken: "Wenn geklärt wird, dass die Entlassung der Extrachorleute im Jahr 2020 rechtswidrig war, gilt das exakt genauso für die Solistinnen und Solisten. Darum wollen wir das ausjudiziert haben."
Übrigens hat Ablinger-Sperrhacke längst weiter reichende Forderungen aufgestellt: zum einen die "Feststellung der Rechtswidrigkeit der Kulturschließungen" und die damit einhergehende Entschädigungen. Zum anderen den Rücktritt von Markus Hinterhäuser und Lukas Crepaz, sowie die Einrichtung einer Künstler*innen-Kammer, in der mit Bundestheatern und Festspielen auf Augenhöhe verhandelt werden könne. Ablinger-Sperrhacke ist mittlerweile im Vorstand von art but fair international e.V. und gründet gerade einen Ableger für Österreich, der als Verein explizit freischaffende Soloselbständige im Konzertbereich und kurzfristig Theaterbeschäftigte vertritt. "Es ist wie eine zweite Berufung, die mir zwar unglaublichen Spaß macht, die aber auch sehr anstrengend ist, praktisch ein Fulltime-Nebenjob neben meiner Tätigkeit als Opernsänger." Deshalb ist es ihm so wichtig, dass diese Arbeit in eine offizielle Funktion übergeht. "Man kann nicht über Jahre Robin Hood spielen. Wir müssen unsere Bemühungen in eine institutionalisierte Form überführen." Seinen Verein wird er am 15. März gründen.
Sendung: "Allegro" am 9. März ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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