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40 Jahre München Musik "Die Klassik braucht starke Persönlichkeiten"

Klassikveranstalter in der Krise nach Corona? Andreas Schessl, Konzertveranstalter und Gründer von München Musik, sieht das nicht so. Im Interview erzählt er, warum er nach 40 Jahren im Geschäft immer noch Optimist ist und was die Klassik braucht, um gesellschaftlich relevant zu bleiben. In allen Altersklassen.

Konzertveranstalter Andreas Schessl | Bildquelle: Denise Medve

Bildquelle: Denise Medve

BR-KLASSIK: Andreas Schessl, Sie feiern mit Ihrer Konzertdirektion München Musik gerade den 40. Geburtstag. Wie begehen Sie das Jubiläum?

Andreas Schessl: Also richtige Pläne gemacht für eine große Feier haben wir noch nicht. Aber ich denke, dass wir das im Laufe der Spielzeit noch tun werden. Zunächst einmal feiern wir mit schönen Konzerten und einer schönen Saisoneröffnung und freuen uns darüber, dass wir überhaupt wieder live sein dürfen.

BR-KLASSIK: Welches Geburtstags-Ensemble haben Sie sich denn eingeladen?

Andreas Schessl: Für das Jubiläum am Sonntag kommen die Wiener Philharmoniker, die ja auch das letzte Konzert vor der Pandemie bestritten haben. Und es ist schön, dass sie zu unserem Eröffnungskonzert nach München kommen können.

BR-KLASSIK: München Musik ist ein glückliches Familienunternehmen. Aber auch einer der erfolgreichsten Konzertveranstalter in Deutschland. Was ist der Schlüssel zum Erfolg?

Andreas Schessl: Zuerst einmal auch viel Glück, das muss man schon ganz klar sagen. Und daneben natürlich auch bestimmte Fähigkeiten, bestimmtes Wissen, ein bestimmtes Setting. Aber auch die Umstände, die man natürlich nur sehr begrenzt beeinflussen kann. Das sieht man ja eben an der vergangenen Pandemie. Die Umstände sind einem entweder hold oder nicht.

Mit Optimismus in die Realität

BR-KLASSIK: Sie haben 2021 gegen die Corona-Regeln in Bayern geklagt. Im Rückblick: Waren Ihnen die Umstände während der Pandemie hold?

Andreas Schessl: Das war schon ein ziemlicher Schlag. Und am Anfang hat man gedacht, das dauert vielleicht ein paar Wochen. Aber schon im Mai war mir klar, dass es sehr lange dauern würde. Und ich habe dann unsere Firma und unsere Finanzen winterfest gemacht und wusste ich muss jetzt zwei, zweieinhalb Jahre bestehen, und das ist uns gelungen. Und ja, Optimist bin ich schon. Ich glaube, das sollte man auch sein. Optimist heißt ja nicht, dass man nicht auch Realist sein kann. Aber Optimist ist vielleicht derjenige, der die Chancen mehr sieht als die Risiken.

BR-KLASSIK: Und Wie sehen Sie heute die Situation für Konzertveranstalter?

Andreas Schessl: Wenn man kreativ tätig sein möchte und einen gewissen Gestaltungsspielraum braucht, um Freude am Beruf haben zu können, dann ist es eine sehr gute Wahl, Veranstalter zu sein. Und dass natürlich jeder Beruf auch Probleme und Krisensituationen mit sich bringt, das ist natürlich. Auf der anderen Seite wird man belohnt durch die Möglichkeit zu gestalten.

BR-KLASSIK: Was sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Eigenschaften eines erfolgreichen Konzertveranstalters?

Andreas Schessl: Das ist natürlich schwer zu beschreiben, wenn man selbst in dieser Rolle steckt. Aber ich würde schon sagen, dass es sehr wichtig ist, entsprechende Fachkenntnisse zu haben, zu wissen, über was man spricht. Man muss auch Fleiß aufbringen und schon sehr bereit sein, zu ungewöhnlichen Zeiten präsent zu sein. Und auch das Umgehenkönnen mit Menschen ist wichtig, auch in kurzen Zeiträumen. Empathie.

Ich bin mir nicht sicher, ob man Empathie wirklich lernen kann.
Andreas Schessl

BR-KLASSIK: Sich einfühlen in andere Menschen ist wirklich eine Kunst. Ist es etwas, was Ihnen sowieso irgendwo in die Wiege gelegt ist? Oder lernt man das einfach auch durch den vielen Kontakte zu sehr unterschiedlichen Menschen?

Andreas Schessl: Ich bin mir nicht sicher, ob man Empathie wirklich lernen kann. Ich glaube, das ist etwas, was man gerne tut. Aber was man schon lernen kann, ist, dass man gut zuhört, auf den anderen eingehen kann und mit der Zeit auch Erfahrung, etwa in der Gesprächsführung, sammelt. Aber Empathie grundsätzlich ist etwas, was, so glaube ich, vorhanden ist oder eben nicht.

600 Konzerte im Jahr

BR-KLASSIK: Sie veranstalten im Jahr um die 600 Konzerte. Wie viele hören Sie sich da eigentlich an?

Andreas Schessl: Ich versuche eigentlich immer da zu sein, wenn irgendwie möglich. Aber natürlich hat es Grenzen. Aber so 180 bis 200 Konzerte sind es schon, würde ich sagen. Und ja, das mache ich auch gerne.

BR-KLASSIK: Erinnern Sie sich eigentlich an Ihr erstes selbst veranstaltetes Konzert?

Andreas Schessl: Oh ja, da kann ich mich gut daran erinnern. Also erstens hatte ich ja die etwas außergewöhnliche Situation, dass ich meinen Vater engagiert hatte (Anmerk. d. Red.: der Bratschist Franz Schessl). Sein Quartett hat gespielt im Schloss Blutenburg. Ein kleiner Saal mit 170 Plätzen stand zur Verfügung. Und natürlich war da erstmal Aufregung. Ich hatte ja noch nie ein Konzert organisiert. Aber es hat eigentlich alles gut geklappt, und ich hatte großes Glück, von Anfang an auch Freunde zu haben, die mich unterstützt haben. Wer macht die Garderobe? Wer macht den Pausenausschank? Und ja, das war schon sehr schön. Und wir haben die Konzerte immer zweimal veranstaltet, weil ich damals schon wusste, mit nur einem Konzert kann ich gar keine vernünftige Gage zahlen.

Wir dürfen nicht denken, dass morgen das Publikum verschwinden würde. Ich bin da viel positiver.
Andreas Schessl

BR-KLASSIK: Viele sprechen derzeit von der Klassik-Krise. Man spricht vom "grauen Meer", damit sind die grauen Haare gemeint, also das zu alte Publikum. Wie erleben Sie das? Gibt es wirklich ein Problem mit einem zu alten Publikum beziehungsweise mit dem Desinteresse der Jugend?

Andreas Schessl: Zunächst einmal: Wir freuen uns über Publikum jeden Alters, jeder Haarfarbe, jeder sonstigen Farbe, jeder Sprache. Aber ich denke, wir dürfen nicht vergessen, dass auch schon vor 30, 50 und 70 Jahren darüber geklagt wurde, das Publikum sei überaltert. Und ich glaube, dass das nur zum Teil richtig ist. Klassische Musik und auch das das Ins-Konzert-Gehen können Menschen in einer bestimmten späteren Lebensphase besser praktizieren als zum Beispiel junge Eltern, die Kinder zuhause haben. Aber das ist sicher ein Thema, und es ist unsere Aufgabe, junge Menschen immer wieder hereinzuholen, damit sie dann auch später ins Konzert gehen. Was man zu sagen an musikalischer Erziehung oder Unterricht genießen kann, wenn man jung ist, das bringt einen wieder zurück zur Klassik, zu Musik, zum Konzert, wenn man ein bisschen älter ist. Aber wir dürfen jetzt nicht denken, das morgen das Publikum verschwinden würde. Ich bin da viel positiver.

Musik ist auch sinnstiftend, friedlich und entspannend.
Andreas Schessl

BR-KLASSIK: Hat sich das Konzertpublikum verändert in den vergangenen 40 Jahren?

Andreas Schessl: Ich würde schon sagen, dass sich verändert hat. Dass klassische Musik zum Glück weniger elitär geworden ist und es eigentlich aus wirtschaftlicher Sicht keine Zugangsschranken mehr gibt. Es gibt bei den Münchner Philharmonikern, beim BRSO Karten für weniger als ein Kinoticket. Das ist ein demokratischer Preis. Die Schranke oder die Schwelle ist das Bildungssystem und der Zugang zum Musikunterricht. 50 Prozent des Musikunterrichts an Grundschulen fallen aus. Das ist eine Katastrophe. Das ist sehr, sehr traurig, und das halte ich für einen Schaden über die reine musikalische Erziehung hinaus. Musik ist ja doch auch etwas Sinnstiftendes, Friedliches und Entspannendes. Es sind viele Dinge, die da im Menschen passieren, und wenn das nicht mehr geweckt wird, ist das ein großes Problem.

BR-KLASSIK: Und wie gewinnt man die Jungen?

Andreas Schessl: Ich glaube, neben Education und musikalischer Früherziehung sind die wichtigsten Botschafter der Musik tatsächlich immer wieder starke Künstlerpersönlichkeiten. Die können Menschen hineinholen ins Konzert. Wenn jemand sagt: "Eigentlich bin ich gar kein großer Schlagzeug- oder Orgel-Fan. Aber da gibt es eben einen Cameron Carpenter, einen Martin Grubinger – Persönlichkeiten, die Ausstrahlung haben." So etwas brauchen wir: starke Persönlichkeiten.  

Sendung: "Meine Musik" am 07. Oktober 2023 ab 11:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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