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Kommentar - Publikumsreaktionen Sind Buh-Orkane akzeptabel?

Nach der Bayreuther "Götterdämmerung" gab es einen Buh-Orkan von brutaler Phonstärke – für das Regie-Team, aber auch für die Brünnhilde und den Dirigenten. Ein Fall von kollektiver Enthemmung, wie man sie sonst nur aus dem Internet kennt. Was ist da passiert – und muss man das akzeptieren? Diskutieren Sie mit!

Bildquelle: picture-alliance/dpa

Kommentar

Sind Buh-Orkane in Bayreuth und anderswo akzeptabel?

Es war eine Hinrichtung: Kaum war der letzte Ton der "Götterdämmerung" verklungen, entlud sich der geballte Zorn des Publikums in ohrenbetäubenden Buhsalven, in Geheul und Gejohle - wie man im Videostream auch nachträglich noch erleben kann. Da hatte sich offenbar viel angestaut, nach 16 erduldeten "Ring"-Stunden. Richtig los ging’s dann beim Auftritt des Inszenierungs-Teams, das gnadenlose Ausbuhen und Abwatschen. Warum eigentlich? Weil ein jetzt 33-jähriger Regisseur einen etwas anderen Blick auf die Tetralogie hat als die alteingesessene Wagner-Gemeinde? Weil er Fragen stellt statt Antworten zu geben? Und den "Ring des Nibelungen" für seine eigene Generation neu erzählt? Valentin Schwarz mag damit gescheitert sein. Ihn derart abzustrafen, finde ich nicht fair.

Vom Skandal zum Kult

Schließlich haben auch frühere "Ring"-Inszenierungen von Patrice Chéreau oder Frank Castorf erst Skandale ausgelöst – und wurden später, runderneuert in der Werkstatt Bayreuth, Kult. Ein alter Haudegen wie Castorf hat den Feuerwall sichtlich genossen, Schwarz konnte einem leidtun. Zumal Bayreuth-Regisseure ja immer unter dem Erwartungsdruck stehen, zu den altbekannten Stücken etwas Neues, noch nie Dagewesenes sagen zu müssen. Im Affekt mögen solche Missfallens-Bekundungen ja noch verzeihlich sein, das Nachtreten in den sozialen Medien aber macht die Sache toxisch, weil alles rasend schnell Verbreitung findet – und willige Multiplikatoren.

Mangelnder Respekt

Sängerinnen- und Dirigenten-Bashing, auch das gab es nach der Bayreuther "Götterdämmerung", geht für mich erst recht nicht. Schließlich ist Cornelius Meister mit viel zu wenig Probenzeit für den gesamten "Ring" eingesprungen! Und Sängerstars verdienen in jedem Fall Respekt, auch wenn ihre Leistung mal nicht so toll war: Tagesform, Indisposition, Konditionsschwäche oder was auch immer – das ist doch menschlich. Vor allem das Publikum der Mailänder Scala ist ja für sein gnadenloses Ausbuhen berüchtigt. Und für seine "Bravi" in die Schlusstöne hinein.

Ich bin gegen beides. Mich nervt auch das traditionelle Bayreuther Getrampel auf die Bodendielen des sanierungsbedürftigen Festspielhauses, mit dem auch mäßige Sängerleistungen kritiklos bejubelt werden. So viel Krach, so viel Krawall, so viel Gebrüll – für meine Ohren nichts als Lärm. Bayreuth ist halt schon ein ganz spezielles Pflaster, da regen sich die Leute gerne auf. Ich halte es da mit den Japanern – dort wird in der Oper nie gebuht. Mal nicht zu klatschen, kann doch auch eine angemessene Reaktion sein.

Sendung: "Allegro" am 12. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (15)

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Dienstag, 16.August, 16:23 Uhr

Dr. Michael Strobel

Sensibelchen

Ach Du liebe Zeit! Heute fallen alle gleich in Ohnmacht, wenn man nicht jeden Mist "ganz toll" findet und sich Widerspruch regt. Seit ich 1970 anfing in die Oper zu gehen, habe ich schon ganz andere Buhstürme erlebt, ohne daß jemand danach gleich traumatisiert war und psychologische Betreuung brauchte. Ich stelle fest: das Publikum in Bayreuth lebt und ist erfreulich gesund und munter.

Dienstag, 16.August, 07:55 Uhr

Zaus

Zu Buhen, ist ein Bayreuth eine völlig übliche Missfallensäußensäußerung. Jeder, egal ob Sänger, Dirigent oder Regisseur weiß, dass er damit rechnen muss, wenn er nicht gut ist. Das hat auch nichts mit mangelndem Respekt zu tun, sondern stellt lediglich eine Beurteilung einer Leistung dar. (Wenn überhaupt jemand respektlos war, dann Schwarz gegenüber dem Werk Wagners.) Jeder kann ja gerne Mitleid mit dem Ausgebuhten haben, aber von anderen zu verlangen, seine Meinung für sich behalten zu müssen, ist schon recht absurd.

Sonntag, 14.August, 23:32 Uhr

Heller

Buhs in der Oper

Nach einer derartigen Provokation von Inszenierung noch auf respektvolle Reaktion zu hoffen ist doch wohl naiv.Wo war der Respekt des Regieteams vor Text und Noten der Partitur?
Es war eben keine neue Sicht auf das Werk noch kritische Aneignung,sondern billigster Klamauk mit zerstörerischer Absicht und Energie dargeboten.Publikumsschelte ist da völlig unangebracht.Die unzähligen Aktiven vor,auf und hinter der Bühne haben mein Mitgefühl.Frau Wagner muss aufpassen,dass aus BF nicht ein beliebiges Event a la ESC wird,wenn es nicht gar
schon zu spät ist .

Sonntag, 14.August, 11:38 Uhr

Pet E. Teichreber

Recht auf Buh-Rufe

Wagner hat auch für den Ring genaue Regieanweisungen hinterlassen. Seine Nachkommen haben versucht sich an diese haltend seiner Aufforderung "Kinder macht neues" den Ring immer wieder neu interpretierend zu inszenieren oder inszenieren zu lassen.
Wagner's Opern sind immer wieder eine Herausforderung : Für Regisseure, Dramaturgen, Bühnrnbilder, Sänger, Musiker Dirigenten (männlich oder weiblich). Aber : auch für das Publikum. Zuhören zusehen, sich auseinandersetzen mit dem Gesamtkunstwerk, zu versuchen zu verstehen - ist die Aufgabe des Publikums. Diese Aufgabe hat das Publikum bei diesem Ring anscheinend nur unzureichend verstanden und übernommen und erfüllt.
Ich konnte nicht mit Herrn Schwarz diskutieren. Ich hatte nur den visuellen Eindruck. Herrn Schwarz's Gedanken scheinen mir in der Götterdämmerung zumindest nachvollziehbar, die anderen Teile zu sehen war mir nicht vergönnt. Deshalb meinerseits : Respekt vor dieser Regiearbeit unter den erschwerten Bedingungen.

Sonntag, 14.August, 10:16 Uhr

Thomas Langner

Shitstorm

Man stelle sich vor: Da ist leidenschaftlicher Wagnerianer, der 10 Jahre auf sein teures Ticket wartet, möglicherweise von weit her anreist, seinen Urlaub dafür verplant, sich darauf freut wie Bolle und dann diesen Ring serviert bekommt. Dass da die Emotionen hochkochen, ist doch wohl mehr als verständlich.

Sonntag, 14.August, 08:31 Uhr

Peter aus Ammerland

Sind Buh-Orkane akzeptabel

Nach dem Lesen Ihres Kommentars:
Buuuh!!! Pfeifff!!! Trampel!!!

Samstag, 13.August, 22:20 Uhr

Paul

Mal was Aphoristisches

Ein Buhsturm ist ein Zeichen, dass sich ein Kulturvolk noch nicht völlig aufgeben hat.

Der Endpunkt der Zivilisation ist erreicht, wenn alles mit der Gleichgültigkeit aufgenommen, wie sie die Besucher einer Vernissage, bei der die sogenannte "Modernen Kunst" gezeigt wird, vorführen. Man findet alles irgendwie "interessant", aber letztlich geht einem alles am Allerwertesten vorbei.

Also in diesem Sinne: Es lebe der Buhsturm.

Einschränkend muss allerdings auch gesagt werden, dass die Bayreuthbesucher nun wirklich alle wissen müssten, für was für einen Mist das "Neueste Bayreuth" unter der Schreckensherrschaft der Urenkelin steht. Spätestens mit der Einladung von Schlingensief zur Parsifal-Inszenierung war doch klar, dass man die Seele für zeitgeistiges Lob in der Mainstream-Presse verkauft hat.

Sind die Besucher jetzt alles Masochisten, die sich gerne foltern lassen, um anschließend mit einen kathartischen Buhsturm das Seelengleichgewicht wiederherzustellen?

Samstag, 13.August, 09:09 Uhr

Paul

@Müller

Verstehe ich Sie richtig, wenn ich Sie so interpretiere: Die musikalische Interpretation und die szenische Gestaltung sind völlig egal, das Publikum sollte ehrfürchtig vor der Musik Richard Wagners schweigen, wenn es sich angsichts der Mängel in den erstgenannten Kategorien nicht zu einem Beifall durchringen kann?

Ich finde eine solche Position grotesk. Die Leute sind weit gereist, haben finanzielle Opfer gebracht, nur um die Werke des geschätzten Komponisten völlig entstellt zu sehen. Hier ist wirklich die Redewengung "Wagner würde sich im Grabe umdrehen" angebracht.

Es muss eine auch eine negative Bewertung geben, sonst verliert ja auch der positive Applaus jede Bedeutung.

Grundsätzlich wäre es auch schön, wenn eine derarige heftige Ablehnung Konsequenzen hätte. Doch muss man realistischerweise sagen: Das "Regietheater" ist anscheinend politisch gewollt (über die Gründe will ich mich hier nicht näher auslassen), und man macht einfach weiter, egal wie verhasst es ist.

Samstag, 13.August, 08:33 Uhr

Axel Peppermüller

B U U H

Also ich war 10 Jahre an der Staatsoper Wien tätig und dort wurde auch gerne Buh gerufen.
Teils zu Recht und aber auch zu unrecht.Ich kenne einige prominente Sänger die aus Angst
ausgebuht zu werden nicht mehr alleine vor den Vorhang gingen.
In meiner Berliner Zeit wurde an der Deutschen Oper Berlin bei Premieren von modernen
Opern wie verrückt gebuht, erinnerte mich oft an Kölner Karneval.Das war aber auch sehr
grenzwertig.
Ich persönlich habe noch nie Buh gerufen, da ich es besser finde gar nicht zu Klatschen.

Freitag, 12.August, 23:13 Uhr

Udo Martin

Buh-Orkane

Nun, vielleicht ist Manchem die Hutschnur etwas zu laut geplatzt. Aber die Sicht- und Hörweise sowie die jeweilige Reaktion mag auch da on abhängen, ob ich dem Ganzen auf dem dienstlich verfügbaren Kritikerplatz folge oder ob mich die Teilhabe an den hilflosen Gehversuchen eines Jungregisseurs a priori eine vierstellige Summe an Euronen gekostet hat. Im Übrigen: Da wie in vielen anderen Lebensbereichen mittlerweile ja auch die Oper ‚für alle‘ da sein muss, kann ich mich über Outfits und Verhaltensweisen zwar wundern, aber das ist dann eben so.

Freitag, 12.August, 17:35 Uhr

Wolfgang Müller

Buh-Orkane

Vielen Dank, Herr Leipold!! Das, was man da zu hören bekam, klang nicht wie eine kulturelle Veranstaltung, sondern wie Geräusche aus einem landwirtschaftlichen Großbetrieb ... Wieviel Gefühl haben diese Buh-Schreier eigentlich für Musik, wenn sie, dem herrlich verklingenden Des-Dur-Akkord am Schluss keine Chance zum Nachschwingen lassend, einfach losbrüllen?? Oder gar, wie in Tristan, in den verlöschenden Schlussakkord hineinklatschen? Ist Bayreuth zu einem Treffpunkt von Musikbanausen verkommen?

Freitag, 12.August, 13:31 Uhr

Wolfgang Kröner

Ja, schweigend auseinandergehen!

Ja, schweigend auseinandergehen wäre doch auch einmal eine großartige Option! Wie nach sehr guten Konzerten in Kirchen, wo der Verzicht auf Lärm den Musikeindrücken hilft, INTENSIV nachzuklingen! Das muss nur vorher Allen KLAR gemacht werden: kein Einziger darf es übersehen haben...!!! Aber dann wäre das gerade am "Weihefestspielort" Bayreuth toll: alle haben ja bezahlt und sich damit schon zu ihrer grundsätzlichen Zustimmung zu der Veranstaltung als solcher bekannt!... Die Mssenhysterie muss dringend beendet werden! Egal, ob positiv-schwärmerisch oder negativ-destruktiv!

Freitag, 12.August, 10:53 Uhr

Paul

Euphemismus in Ehren...

aber deratige Sätze stoßen schon etwas sauer auf:

"Weil ein jetzt 33-jähriger Regisseur einen etwas anderen Blick auf die Tetralogie hat als die alteingesessene Wagner-Gemeinde? Weil er Fragen stellt statt Antworten zu geben?"

Das was V. Schwaz abgeliefert hat, war eine schlimme Verhunzung, und wenn er nicht ganz verblödet ist, muss er sich auch dessen bewusst sein. Wenn man das als harmloses Fragestellen charakterisiert, macht man sich an dieser Kulturschändung mitschuldig.

Freitag, 12.August, 10:45 Uhr

Paul

@Jantz

Auf der Bühne wollen Sie es anscheind krawallig und die Werke dürfen brutalst vergewaltigt werden. Regt sich Kritik, die dann angesichts des zugefügten Leides auch eine gewisse Aggressivität in sicch birgt, dann geben Sie sich als Sensibelchen: die Kritik an derartigen Verhunzungen solle bitteschön "dezent und respektvoll" sei. Für mich sind Menschen wie Sie schlimme Heuchler.

Freitag, 12.August, 08:53 Uhr

Dr. Achim Jantz

Kommentar Fridemann Leipold

Herr Leipold hat mir aus der Seele gesprochen. Dezente und respektvolle Zurückhaltung sind leider nicht mehr zeitgemäß.
Ich könnte noch viel schreiben, halte mich aber gerne dezent und respektvoll zurück ?????? .
Dr. Achim Jantz, Hellenthal/ Eifel

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