Wagners "Ring" erzählt vom Kampf um die Weltherrschaft. Ganz so politisch sieht das Regisseur Valentin Schwarz nicht. Er erzählt lieber Gruselstorys vom Wotan-Clan. Im Zusammenspiel mit Wagners Musik entsteht eine Schnitzeljagd für Wagner-Nerds. Und der bei einem Bühnenunfall verunglückte Wotan Tomasz Konieczny kann wieder singen!
Bildquelle: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Die Kritik zum Anhören
Zunächst ein paar Dinge, die für die Inszenierung von Valentin Schwarz sprechen. Am wichtigsten: Es ist fast nie langweilig. Valentin Schwarz erzählt ständig szenische Anekdoten, kleine Gschichtln, die immer einen gewissen Kniff haben. Brünnhildes Pferd Grane ist ein Mann, mit dem sie schon im vorigen Teil, in der "Walküre", zusammen war. Jetzt steht Grane zwischen Siegfried und Brünnhilde. Bei Wagner ist das eigentlich eine furiose Zweier-Liebesszene, in der eine männliche und eine weibliche Jungfrau erstmals die Freuden und Schrecken des Sex entdecken. Bei Valentin Schwarz wird daraus eine abgebrühte Dreiecksgeschichte.
Andreas Schager als Siegfried und Wilhelm Schwinghammer als Fafner | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Der schreckliche Drache ist ein todkranker, uralter Mann. Siegfried zieht ihm den Rollator weg, worauf er einen Herzschlag bekommt. Außerdem wird er sicherheitshalber noch erstochen und erstickt. Und so weiter. Ständig ist man am Rätseln und Entziffern. Was erzählt Wagner, was erzählt Schwarz, was ergibt die Differenz. Ergibt sie was? Man stellt Hypothesen auf, knobelt und tippt. Und das macht durchaus einen gewissen Spaß. Eine Art Schnitzeljagd für Wagner-Nerds. Ah, diese Mütze, die jetzt in der chaotisch-versifften Wohnung von Mime rumliegt, schönstes Klischee-Prekariat, die hatte doch der entführte Junge an, der ganz am Anfang vom "Rheingold" den Ring verkörperte. Und tatsächlich – beim Drachen Fafner ist der Kerl wieder da, jetzt ein erwachsener Mann, aber immer noch gelbschwarz angezogen. Dem Besetzungszettel entnimmt man: Es ist der junge Hagen. Typisch Valentin Schwarz: Eine Figur, die bei Wagner eigentlich erst im vierten Teil vorkommt, kriegt eine Vorgeschichte, die im ersten Teil beginnt und im dritten wieder aufgenommen wird. Jung-Hagen muss jetzt also seinen uralten Stiefvater Fafner pflegen. Umso williger assistiert er Siegfried beim Mord an dem Alten. So kommt er schneller ans Erbe.
Eine ziemlich schwarze Story, diese angebliche Netflix-Serie. Puzzlestück für Puzzlestück versteht man mehr. Jedenfalls mehr von der Inszenierung. Nur leider nicht vom Stück. Oder gar von der Welt, in der wir leben. Aber wir waren ja noch bei den Vorzügen dieses neuen Rings, soweit man das nach drei von vier Abenden sagen kann. Also: Keine Langeweile, neue erzählerische Schneisen quer durch die vier Teile – und, auch wenn empörte Alt-Wagnerianer jetzt zusammenzucken: Valentin Schwarz hat ein gutes Ohr für die Musik. Wann immer Wagner kompositorisch zur Hochform aufläuft, bei Wotans Abschied in der "Walküre" oder bei der Erda-Szene im "Siegfried", da nimmt er die sonst meist nervig kleinteilige und wuselige Bühnenaktion wohltuend zurück.
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Arnold Bezuyen (Mime)
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Arnold Bezuyen (Mime)
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Tomasz Konieczny (Wotan)
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Andreas Schager (Siegfried) | Wilhelm Schwinghammer (Fafner)
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Andreas Schager (Siegfried) | Daniela Köhler (Brünnhilde)
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Daniela Köhler (Brünnhilde)
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A. Steiner, A. Schager, A. Bezuyen, B. Buchberger
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Okka von der Damerau (Erda)
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Arnold Bezuyen (Mime)
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Nur, und das bleibt der entscheidende Einwand: Was ist der Ertrag? Wagner wollte mit seinem Drama zeigen, warum die Gesellschaft eine Revolution braucht. Und er drang in psychologische Tiefenschichten vor, die Freud entzückt hätten, wenn er musikalisch gewesen wäre. Valentin Schwarz blendet die Politik aus und schrumpft die Psychologie auf eine Gruselstory über eine schrecklich fiese Familie. Diesen stinkreichen, durch und durch kriminellen Wotan-Clan, in dem Missbrauch, Selbstmord, Mord, Erbschleicherei und Kindeshandel an der Tagesordnung sind, kann man natürlich mit wichtiger Miene als drastisches Sittengemälde und ergo als zugespitzte Gesellschaftskritik verkaufen. Es ist aber vor allem eine ziemlich knallige Kolportage: Schlimm, schlimm, diese Reichen. Schlimm, diese Designer-Villen! Und die Armen in ihren ungelüfteten Messie-Wohnungen, die sind leider auch sehr schlimm. Darauf folgt Achselzucken. Und die Hoffnung, dass sich durch die "Götterdämmerung" noch ungeahnte Perspektiven auftun.
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Alles in dieser Inszenierung ist auf Clan-Chef Wotan fokussiert. Tomasz Konieczny singt ihn mit wohltönendem, manchmal etwas orgelndem, aber ungemein voluminösem Bassbariton. Ein weitaus bessere Leistung als in der "Walküre", die er wegen seines Bühnenunfalls abbrechen musste. Seine Gegenspieler, die Nibelungen Alberich und Mime, haben gegen diesen Macho-Gott auch gesanglich keine Chance: Olafur Sigurdarson als Alberich ist vor allem laut, Arnold Bezuyen als Mime überspielt stimmliche Probleme mit forcierter Charakterdarstellung.
Lesen Sie hier weitere Kritiken der diesjährigen Aufführungen bei den Bayreuther Festspielen.
Okka von der Damerau als Erda | Bildquelle: © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath Erstmals eine große Rolle im Festspielhaus übernimmt Daniela Köhler als Brünnhilde. Sie strahlt Kraft und Intensität aus, allerdings ist ihre Stimme im Piano nicht sehr flexibel, und die Spitzentöne bleiben matt. Trotzdem: Ein beachtliches Debut. Sehr stark wieder Okka von der Damerau als Erda. Und Andreas Schager als Siegfried hat schier unendliche Kraftreserven. Schager powert und er powert noch mehr und es macht ihm nichts aus. Höchst eindrucksvoll – da nimmt man in Kauf, dass an den leisen Stellen die weiche Seite des Helden, die es zumindest bei Wagner ja auch gibt, etwas unterbelichtet bleibt.
Mit Leidenschaft stürzt sich Dirigent Cornelius Meister in diese oft ein wenig unterschätzte Partitur. Es wird sein bislang stärkster Abend. Gewiss, er tendiert dazu, manchmal irgendwelche Einzelheiten quasi mit Spotlicht etwas allzu sehr zu zelebrieren. Manche Temposchwankungen wirken willkürlich. Und dann wackelt es gelegentlich. Aber Meister hat etwas zu sagen. Auch wenn noch nicht alles ausgereift ist: Es gärt. Und das passt eigentlich gar nicht so schlecht zur Inszenierung.
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Hier finden Sie die Premieren vom "Rheingold", "Walküre" und "Siegfried" zum Anhören.
Die Premiere der "Götterdämmerung" überträgt BR-KLASSIK am 5. August ab 16 Uhr im Videolivestream und ab 20.04 Uhr zeitversetzt im Radio.
Sendung: "Allegro" am 4. August 2022 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (6)
Freitag, 05.August, 12:39 Uhr
Bertram Eljon Holubek
Beeindruckend!
Wütende Buhs beeindruckten, als 2022 die Oper ›Siegfried‹ von Valentin Schwarz zu Ende ging. Die Webseite inFranken.de wunderte sich darüber, weil doch das »bunte Konzept« des Ösis jetzt aufzugehen begänne. Aber sehr viele Zuschauer wünschten sich eben den Ring vom alten Wagner, und nicht eine schrille Comedy von Schwarz. Kritiker rühmen das verhunzende "Regie-Theater", weil es angeblich allein die Oper modernisiert und trägt. Doch dieselben linken Typen sorgen gnadenlos dafür, dass die originale Kultur als nicht mehr hoffähig und zeitgemäß gilt. Könnte Schwarz einen normalen Ring inszenieren? Der hat seine Magie so wenig unter Kontrolle wie der Schwarz-Alberich, mit oder ohne Ring.
Donnerstag, 04.August, 19:06 Uhr
dr.hafner
ring22
schade, dass die bayreuther festspiele nicht mehr in der lage sind,
einen ring mit sinn zu erstellen
Donnerstag, 04.August, 17:50 Uhr
Volkmar
Siegfried
Man muss nicht Altwagnerianer sein,um ob des Dauerunfugs dieser Inszenierung entsetzt den Kopf zu schütteln.Wenn die Qualität einzig darin besteht,dass es nicht langweilig ist ,zeigt sich,dass man die Bedürfnisse der Spassgesellschaft bedienen möchte und dem Zeitgeist hinterher hechelt.Gutgemachter Wagner ist nie langweilig.
So aber leistet man dem geistig-kulturellen Verfall Vorschub mit Trivialität und Beliebigkeit.
Dass auch das musikalische Niveau darunter leidet ist folgerichtig. Das darf keine Zukunft haben und hat auch keine.Das Genie RW wird auf alle Fälle überleben.
Donnerstag, 04.August, 16:22 Uhr
Petzold
Ring - bareuth
Die zeitversetzten Übertragungen finde ich "scheisse". Original mit den entsprechenden Pausen sind Erlebnis. Zeitversetzt ohne Pause Stress. Kein Opernhaus mutet das einem zu. Die späten Zeiten bringen meinen bio-rhytmus füreinander. Bei den 3. Akten musste ich passen.
Donnerstag, 04.August, 11:31 Uhr
Gufo
Ring
Forsch und ohne Schuldgefühl schreiben Regisseure Handlungen und Texte um. Die ersten dieser scheinbar unfehlbaren Klasse wagen sich sogar schon an die Musik.Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis ein Torso präsentiert wird, der mit der Wagnerschen Urfassung nicht das Geringste mehr zu tun hat.Doch dem größeren Teil des Publikums scheint dies zu gefallen.Also wird die Talfahrt munter weitergehen.
Donnerstag, 04.August, 10:08 Uhr
Bernhard Berger
Der Ring...
....als Daily opera, damit es nicht langweilig wird! Meint man, das Publikum sei zu mehr Ernsthaftigkeit nicht mehr fähig? Nein, so ist es nicht, das beweisen die vielen Buhs, die diesen Schmarren nicht goutieren.