Unklarheit herrscht gerade über die zukünftige Leitungsriege der Bayerischen Staatsoper. Künstlerisch überzeugt unterdessen das Staatsorchester unter der Leitung von GMD Vladimir Jurowski. Ein ungewöhnliches Programm, ein mutiger Solist und ein grandioses Orchester - macht Lust auf Zukunft.
Bildquelle: Wilfried Hösl
Filmmusik von Arnold Schönberg? Damit würde man den Zwölftöner nicht unbedingt in Verbindung bringen. Aber Schönberg ließ sich gern darauf ein, als der Magdeburger Musikverlag "Heinrichshofen" bei zeitgenössischen Komponisten Filmmusiken zur Stummfilmbegleitung in Auftrag gab – sozusagen auf Vorrat. Genau andersherum als heute üblich, hatten die Komponisten keinen vorgegebenen Film akustisch zu untermalen, sondern freie Hand, welche emotionalen Szenarien sie mit ihrer Musik schildern wollten. Diese Freiheit scheint Schönberg besonders gereizt zu haben, und er entschied sich 1929 bei der Komposition seiner "Begleitungsmusik zu einer Lichtspielszene" für emotionale Extremzustände, die einen fiktiven Handlungsstrang zuspitzen: "Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe".
Dass uns diese Gefühle derzeit nur allzu nah sind, machte die meisterhafte Interpretation dieses Kabinettstücks durch GMD Vladimir Jurowski und sein Bayerisches Staatsorchester beklemmend deutlich. Vom schwirrend unbestimmten Tremolo des Beginns über kantable Cellolinien baut Jurowski eine thrillerartige Spannung bis zur exzessiven Drastik auf, die am Ende in flirrender Flatterzungen-Technik der Flötisten im Ungewissen versickert. Im präzise durchgearbeiteten, hochkomplexen Orchestersatz erstrahlt der typische Zwölftonsound Schönbergs in grellen Farben, expressionistisch und fahl, tänzerisch und elegisch, alles auf neun pralle Minuten verknappt – eine brillante Orchesterleistung, die Schönbergs Aktualität schlagartig zum Vorschein brachte. Bitte mehr davon!
Während Schönberg mit seiner Zwölftontechnik die Zukunft der Musik im Blick hatte, diente dem Spätromantiker Ottorino Respighi die musikalische Vergangenheit als Zufluchtsort zur Neuorientierung. Im Fall seines dritten und letzten Violinkonzerts ging er auf der Suche nach Inspirationsquellen gar in die Zeit zwischen Spätantike und frühem Mittelalter zurück. Seine Frau, eine Sängerin, hatte Respighi dazu gebracht, sich mit dem gregorianischen Choral zu beschäftigen. Sein "Concerto gregoriano" für Violine und Orchester von 1921 ist zwar nur acht Jahre früher entstanden als Schönbergs kühner Soundtrack, wirkt aber Jahrhunderte älter in seiner Reanimation einer versunkenen Welt.
Wenn man eine solche Rarität so eindrucksvoll wiederbeleben will, wie es im Münchner Nationaltheater geschah, braucht es schon einen sattelfesten Solisten vom Kaliber Frank Peter Zimmermanns. Der 59-Jährige verfügt immer noch über eine stupende Technik und bezaubert auf seiner Stradivari mit seinem edlen Geigenton. Dass er manchmal einen Lagenwechsel verschleift, mag Stilmittel sein. Und dass ihm beim satten Vibrato-Schwelgen mal die Intonation verrutscht – geschenkt. Bewundernswert ist die Neugier dieses Musikers, sich etwa für Martinůs Violinmusik einzusetzen oder eben für Respighis archaische Klangwelt, die in die Harmonik alter Kirchentonarten getaucht ist. Musik wie schwerer Samt oder dunkler Rotwein ist das, feierlich-weihevoll wie ein Gebet und pathetisch jubelnd im finalen Alleluja. Eine würdige Geste zum Gedenken an den kürzlich verstorbenen Aribert Reimann, dem das Akademiekonzert gewidmet war. Warum es als Zugabe ausgerechnet der halsbrecherische, leider nur halb bewältigte "Erlkönig" von Heinrich Wilhelm Ernst sein musste, bleibt Zimmermanns Geheimnis.
Die besonderen Qualitäten des Bayerischen Staatsorchesters kitzelte Vladimir Jurowski dann in der großangelegten Ersten Serenade von Johannes Brahms mit Verve heraus: den wunderbaren Streicherklang, die charakteristischen Holzbläser – herausragend Soloflötist Paolo Taballione – und das famose Hörnerquartett, angeführt von Johannes Dengler. Wie Schubert wollte sich Brahms mit seinen beiden Serenaden "den Weg zur großen Symphonie bahnen". Diese Serenade ist kein allzu tiefgründiges Stück und mit ihren sechs, allerdings recht abwechslungsreichen Sätzen auch etwas länglich geraten. Viel Schönes, Brahmsisches ist da aber schon drin, genretypisch Volksmusikalisches, Poetisches und im Adagio auch Variatives – weswegen Schönberg Brahms so geschätzt hat. Mit Sinn fürs Idyllische, Spielerische und Musikantische machten Jurowski und sein Staatsorchester Laune – man sollte ihnen über 2026 hinaus die Chance geben, weiter zusammenzuwachsen.
Den Mitschnitt des Konzerts sendet BR-KLASSIK am Samstag, 30. März im Abendprogramm ab 20:05 Uhr.
Sendung: "Allegro" am 19. März 2024 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (2)
Mittwoch, 20.März, 18:04 Uhr
Tobias
Mehr davon?
Ich finde es bezeichnend, dass Schönberg bei dem imaginierten Film für seine "Filmmusik" eine Szenerie wählte, die im weiteren Sinne wohl dem Genre "Horror" zuzuordnen ist.
Das scheint mir kein Zufall zu sein. Denn ich behaupte, dass dies das einzige Genre ist, in dem die von Schönberg entwickelte "Neue Musik" eine Anwendung haben kann. Denn eine Musik, die wir nicht verstehen können, die wir nicht einordnen könnnen, löst bei uns die Gefühle der Bedrohung und Angst hervor.
Mit dieser Musik kann man keinen Liebesfilm, keine Komödie untermalen. Deshalb war es auch so lächerlich, dass es vor einigen Jahren als Durchbruch für die "Neue Musik" gefeiert wurde, als in Scorseses Film "Shutter Island" fast ausschließlich "Neue Musik" verwendet worden ist. Dieser Film war ein Horrorfilm! Und die Kompositionen (keineswegs nur 12-Ton-Musik), die überhaupt nicht als Horrormusik geplant waren, eigeneten sich unfreiwillig.
Für mich zeigt all dies: Schönberg verrannte sich sich in eine Sackgasse.
Dienstag, 19.März, 16:19 Uhr
Diethart Lehrmann
Sicher durch alle Zeiten (Akademiekonzert)
Laudatio für Vladimir Jurowski und s e i n Bayerisches Staatsorchester. Keine Blumen für Blume.